Warum die Kosten bei öffentlichen Bauten durch die Decke gehen

Dieses Mal hat es die Katholische Kirche erwischt. Die Kostenexplosion auf dem Domberg in Limburg ist bemerkenswert, wie vorher schon bei der Hamburger Elbharmonie. dem Stuttgarter Bahnhof, dem Berliner Flugfeld und tausenden anderen öffentlichen Bauten. Von etwa 3,5 Millionen € bei der Kostenschätzung sind die Baukosten auf eine hohe zweistellige Summe in der Endabrechnung angestiegen.

Das ganze System der Kostenprognose bei öffentlichen Bauten ist krank, kriminell und verantwortungslos. Das hat systematische Gründe bei der Vergabe von Planungsleistungen.

Viele öffentliche Bauherren wollen sich in ihren Bauten sonnen und gieren nach Anerkennung und Architekturpreisen. Der Weg dahin führt über die freihändige Vergabe an einen Stararchitekten oder über einen Architekturwettbewerb. Freihändige Vergabe ist im öffentlichen Sektor aber nur bis zu einem Honorarvolumen von 200.000 € netto möglich, was einer Bausumme von etwa 2 Millionen € entspricht. Darüber hinaus ist bei öffentlichen Aufträgen ein europaweites Vergabeverfahren erforderlich. In vielen Bundesländern verordnen die zuständigen Verwaltungen einen Wettbewerb, wenn der Bauherr Zuschüsse aus der Kasse einer übergeordneten Verwaltungseinheit haben möchte, wenn es also um sogenanntes Fördergeld geht. Fast alle Planungsvergaben für Großbauten laufen deshalb über Wettbewerbe.

Es war der Wiener Architekt Hans Payer (1885-1945), der um 1910 in die damalige Debatte um Wettbewerbe eingriff: Kunstwerke entstünden im Geist des Künstlers und nicht durch das Urteil der Zeitgenossen. Um dem Genius einen freien Raum zu schaffen, forderte er, alle Wettbewerbe nur noch von Preisrichterkollegien entscheiden zu lassen, die sich aus Künstlern, und nicht aus Laienrichtern zusammensetzen. Der schöpferische Geist des Künstlers würde von den Laien erstickt.

Vormals entschied der Bauherr über den Sieger eines Architektenwettbewerbs. Ludwig der XIV hätte sich die Entscheidung nicht aus der Hand nehmen lassen. Seit Jahrzehnten hat sich das System Payer durchgesetzt und es entscheiden sogenannte Fachpreisrichter über den Siegeslorbeer, die an Baukosten kein Interesse haben und dafür auch keine Verantwortung tragen.  Diese sind in der Regel Beamte und müssen das Geld nicht hinlegen, wenn sie sich geirrt haben und es teurer wird.

In der Richtlinie für Planungswettbewerbe heißt es: „Das Preisgericht besteht aus Fach- und Sachpreisrichtern. Fachpreisrichter besitzen die fachliche Qualifikation der Teilnehmer. Sachpreisrichter sollen mit der Wettbewerbsaufgabe und den örtlichen Verhältnissen besonders vertraut sein. Bei Wettbewerben der öffentlichen Auslober setzt sich das Preisgericht in der Mehrzahl aus Fachpreisrichtern zusammen; hiervon ist die Mehrheit unabhängig vom Auslober. Die Zahl der Preisrichter ist ungerade.“ Über die Prüfung der Baukosten durch das Preisgericht steht in der Richtlinie wirklich nichts. Das ist einfach kriminell und zielgerichteter Verbandspropaganda zu verdanken..

Als Fachpreisrichter fungieren meistens Universitätsprofessoren aus dem Fachbereich Architektur und Architekten, die jahrelang bei den Architektenkammern rumgerutscht sind. Sachpreisrichter sind meistens aus dem Umkreis des Bauherrn. Das erste und das letzte Wort haben die Fachpreisrichter. Sachpreisrichter ordnen sich den Fachpreisrichtern unter, auch wenn sie merken, daß für den Bauherrn etwas grottenschlecht läuft.

Besonders widersinnig sind Brückenbauwettbewerbe. Brücken sind Ingenieurbauwerke, bei denen architektonische Finessen besonders kostenerhöhend und wartungsfeindlich wirken. Über das Ergebnis einiger dieser Wettbewerbe war die Straßenbauverwaltung von Anfang an sehr unglücklich. Aber sie hat die Zähne zusammengebissen und das Wettbewerbsergebnis wurde gebaut.

Ich habe es in 20 Jahren nie erlebt, daß die Fachpreisrichter die Kostenschätzungen der Wettbewerbsteilnehmer nachweislich und schriftlich dokumentiert geprüft haben. Die Vorprüfer und Sachpreisrichter übrigens auch nicht. In den Preisrichterprotokollen finden sich erwartungsgemäß so nebulöse Sätze wie: „Der Entwurf des Siegers läßt eine wirtschaftliche Ausführung erwarten.“ Auf diesem Niveau bewegt sich die Kostenverfolgung.

Dem Internetportal des Bistums Limburg ist zu entnehmen, daß  Herr Frielinghaus vom Architekturbüro BLFP Frielinghaus Architekten, der zugleich Präsident des Bundes Deutscher Architekten (BDA) ist, das anspruchsvolle Bauprojekt auf dem Domberg leitete. „Mit der Beauftragung hoch qualifizierter und erfahrener Architekten stellen wir sicher, dass nach höchsten Qualitätsstandards geplant, entwickelt und umgesetzt wird“, fabulierte der Diözesanbaumeister Staudt. Er hatte der Eloquenz des Stararchitekten offensichtlich nichts entgegenzusetzen und bremste den planerischen Tatendrang nicht konsequent.

Frielinghaus war dagegen klar, daß er bei diesem Bauvorhaben richtig zulangen konnte: „Historisch gesehen ist die Kirche immer ein Bauträger für visionäre und langlebige Projekte gewesen, die Städte geprägt und in ihrer nachhaltigen Identität entscheidend geformt haben. Ein frei finanziertes Projekt kann oft eine solch anspruchsvolle Aufgabenstellung aus wirtschaftlichen Gründen nicht leisten.“

Eine weit verbreitete Unsitte ist es, seitens des Bauherrn eine Kostenvorgabe schon vor dem Wettbewerb oder vor dem Angebot des Architekten zu machen. Alle Wettbewerbsteilnehmer wissen, daß die Kosten höher sein werden als vorgegeben, wer aber dem Bauherrn reinen Wein einschenkt, der hat verloren. Es gibt immer Kollegen, die tausend Schwüre schwören, die Kosten einhalten zu können, und zwar bis die Tinte des Architektenvertrags trocken ist. Diese Unsitte der Kostenvorgabe ist bei freihändiger Vergabe an einen Architekten genauso verbreitet. In Limburg wurde dieser kapitale Fehler übrigens auch gemacht, und zwar bevor Herr van Elst Bischof wurde.

Diese Kostenvorgaben resultieren oft daraus, daß der Bauherr ein bestimmtes Kostenlimit gerade noch für gangbar hält, um es in seinen Gremien absegnen zu lassen. Da wird oft die Salamitaktik gefahren. Erst lasse ich mal über eine getürkte Kostenschätzung abstimmen, den Rest machen wir über Nachträge. Wenn diese zu üppig werden und in einem krassen Mißverhältnis zum Ursprungsauftrag stehen, gibt es regelmäßig Ärger. Oft wird dann der Architekt vors Loch geschoben. Er hat ja eine falsche Kostenerklärung gemacht…

Wettbewerbe werden mit regelrechten Lügen gewonnen. Bei einem Sporthallenwettbewerb hatte der Sieger für die Hallenheizung als Kriterium der Nachhaltigkeit Betonkernaktivierung angeboten. Das ist ein System, welches die Gebäudemassen zur Temperaturregulierung nutzt. Nach Auftragserteilung stellte sich heraus, daß der Fußboden wegen dem Sportbodenbelag nicht dafür in Frage kommt, die Wände wegen der Prallwand aber auch nicht. Die Preisrichter hatten diesen Lapsus wegen mangelndem Sachverstand nicht gemerkt. Die erste Planungsberatung war sehr amüsant, weil das ganze Nachhaltigkeitskonzept in 5 Minuten restlos in sich zusammenbrach. Der Auftrag wurde trotzdem nicht entzogen.

Nach der Auftragserteilung an den Wettbewerbssieger läßt sich ein Kostengerüst schnell aufweichen. Da sind widrige Baugrundverhältnisse wie in Limburg. Der Bauherr hat neue Wünsche, die vorher nicht bekannt waren, wie in Berlin. Die Erschließung ist teurer, als vermutet, weil sich in der Wettbewerbsphase kein Mensch darüber Gedanken gemacht hat. Gesetzliche Vorgaben ändern sich nach Vertragsabschluß. Eine neue Wärmeschutzverordnung wird eingeführt oder neue Berechnungsregeln. Oder die Denkmalbehörde macht Auflagen. Oder es herrscht schlechtes Wetter. Es gibt tausend Gründe für Kostenerhöhungen.

Wettbewerbsteilnehmer sollen eigentlich anonym bleiben, bis das Preisgericht entschieden hat. Die Arbeiten werden deshalb mit Nummern versehen. Leider ist es so, daß man bestimmte Teilnehmer sofort an ihrer „Handschrift“ erkennt. Es gibt zum Beispiel einen deutschen Stararchitekten, dessen Grundrisse die Form einer Amöbe haben. Ein anderer zeichnet immer einen roten Strich in den Entwurf. Ein Dritter nimmt nur an Wettbewerben für Justizvollzugsanstalten teil. Ein Vierter liefert gewohnheitsmäßig kantige überdimensionierte Klötze ab. Kurz, wer als Preisrichter schon öfter auf der Matte stand, weiß bei jedem zweiten Entwurf wer der Verfasser ist. Da gibt es natürlich auch Freundelwirtschaft. Viele Architekten erkundigen sich erst mal, wer in der Jury ist, bevor sie sich am Wettbewerb beteiligen.

Das ganze Problem der durch die Decke gehenden Kosten läßt sich auf zweierlei Weise einfach lösen. Entweder die Künstlerjurys werden verpflichtet, die Kosten der Entwürfe prüfen zu lassen und müssen für Überschreitungen ab 30 % auch persönlich mit ihrem Vermögen haften. Oder man vergibt die Aufgaben an Baumeister, die zu einem Pauschalpreis planen und bauen. Gegen beides wehren sich die Architektenkammern mit Klauen und Zähnen. Einige Kammerfunktionäre wettern in Fachzeitschriften und Kammerzeitungen gegen Planung und Bau aus einer Hand. Wenig später bewerben sie sich zusammen mit einem Baubetrieb zum Pauschalpreis…