Eine Fata Morgana des Wachstums

Vor der Europawahl hängen Beruhigungsparolen auf Papptafeln an den Laternenmasten. Oder stehen auf Großplakaten:. „Ein Europa des Wachstums und nicht des Stillstands“ verspricht die SPD. „Wachstum braucht Weitblick und einen stabilen Euro“ verkundigt die CDU. Eine wirklich fühlbares Wachstum des Bruttoinlandsprodukts und der verfügbaren Nettoeinkommen gab es in  (West-) Deutschland das letzte Mal allerdings vor 50 Jahren…    

Was ist eigentlich Wirtschaftswachstum? Die Statistikämter vergleichen letztlich den Ausstoß an Waren und Dienstleistungen in der entsprechenden Währung mit dem Vorjahr und bereinigen das Ergebnis um die Preisentwicklung. Und dann wird noch ein bißchen rumgefummelt, zum Beispiel die Schattenwirtschaft geschätzt. Das Ergebnis wird immer etwas ungenau sein, selbst wenn man Genauigkeit anstrebt.

Wachstum entsteht, wenn die Zahl der Arbeitskräfte und/oder deren Produktivität steigt. Nach dem zweiten Weltkrieg wechselten Millionen Landwirte, die nach dem Krieg teilweise Subsistenzwirtschaft auf Kleinbauernhöfen trieben, in andere produktivere Wirtschaftsbereiche. Die Zahl der erwerbstätigen Frauen wuchs kontinuierlich.
Das waren Treibsätze für Wachstum. Die Produktivität stieg, weil Energie bis Anfang der siebziger Jahre immer billiger wurde. Die Zinsbelastung der Wirtschaft und des Staates war den Wachstumsprozessen angemessen und ließ ein Ansteigen der Nettoeinkommen der Berufstätigen zu.

Alle diese Faktoren wirken im neuen Jahrtausend nicht mehr. Die Zahl der Beschäftigten wird aus demografischen Gründen sinken, auch wenn die letzte Hausfrau zur Arbeit komplimentiert oder gezwungen wird und das Rentenalter erhöht wird. Der Dienstleistungssektor wird immer größer, gegenüber der Erzeugung von Gütern. Bei Dienstleistungen lassen sich nur bescheidene Produktivitätssteigerungen bewirken, wenn überhaupt. Die Energiepreise steigen und senken die Produktivität. Die Zinsbelastung ist hoch und führt zu einer verstärkten Umverteilung zugunsten des Finanzsektors und möglicherweise zu Abflüssen von Zinszahlungen ins Ausland.

Seit der Regierung Schmidt wurde Wachstum durch kreditfinanzierte Förderprogramme erzeugt. Eine der ersten großen Maßnahmen war die Verschandelung der Städte und Dörfer mit Wärmedämmfassaden in Ziegelsteinoptik. Von Anfang an wurde immer mehr Geld in den Kreislauf gepumpt, als wachstumsmäßig herüberkam. Dieses kreditgetriebene Strohfeuer schwebt Leuten wie dem Franzosenpräsidenten Hollande und dem italienischen Ministerpräsidenten Renzi offensichtlich vor. Und die gute alte Tante SPD will diesen Wünschen offensichtlich entgegenkommen, wenn sie ein Europa des Wachstums propagiert.

„Auf den Flügeln des Kredits schwingt sich das Genie in die Höhe.“ So steht es in alten BWL-Büchern. Selbst in der Privatwirtschaft trifft das nur auf Genies zu. Denn wer seinen Kredit mühevoll abstottert, ist nicht auf dem Weg zum Reichtum. Auch der Staat ist kein Hexenmeister. Viele Kredite landeten in Regionalflughäfen, Philharmonien, Spaßbädern, Kulturfabriken und Formel-1-Strecken. Die Investitionen, die immer zurückgeflossen sind waren Investitionen in den Straßenbau. Aber wieviel gibt der Staat schon für Autobahnen aus? Da könnte ja ein Hamster, eine Fledermaus oder ein Grüner gestört werden. Selbst für den Anbau eines Seitenstreifens werden heute umfangreiche Umweltverträglichkeitsstudien, landschaftspflegerische Begleit- und Ausführungspläne benötigt, einschließlich von Planfeststellungsverfahren, die sich manchmal über Jahrzehnte hinziehen.

In Europa Wachstum zu erzeugen ist in Wirklichkeit ein mühsamer und langwieriger Prozeß. Bis sich die Bevölkerung stabilisiert und ein möglicher Bevölkerungszuwachs ins arbeitsfähige Alter kommt vergehen selbst unter günstigsten Annahmen etwa 30 bis 40 Jahre, wenn man heute den Hebel herumlegen würde. Hebel rumlegen hört sich sehr technizistisch an, für  etwas wozu viel Liebe und Ausdauer gehört…  Zur Stabilisierung der Bevölkerung müßte jede Frau drei Kinder bekommen, und zwar wenn sie nicht so alt ist wie Methusalem.

Die Regierung müßte weiter die Energiepreise senken, die Zugangsvoraussetzungen für viele Berufe vereinfachen, die Bürokratiekosten reduzieren. Zum Beispiel die Zwangsmitgliedschaft in Kammern und beim Rundfunk abschaffen. Die teilweise gigantisch langen Ausbildungsdauern der Akademiker reduzieren. Und die Staatsschulden niederschlagen, um die Steuerlast dauernd zu verringern. Viele gering oder falsch qualifizierte Leute könnten in die Wirtschaft integriert werden, wenn deren Leistungen auch außerhalb der Schattenwirtschaft nachgefragt würden. Das funktioniert aber nur, wenn der Nachfrager von Gütern und Leistungen wesentlich weniger Stunden arbeiten muß, um eine fremde Arbeitsstunde einzukaufen. Kurz gesagt, die Steuer- und Abgabenkulisse müßte für wirkliche Vollbeschäftigung eine ganz andere sein. Alles Maßnahmen, die man der SPD und der CDU wegen ihrer bisheriger Regierungspraxis wirklich nicht zutraut…  

Die Groko-Parteien sagen den Wählern nicht wie sie das Wachstum herbeizaubern wollen. Sie wissen es wahrscheinlich selber nicht. So bleibt Wachstum eine Fata Morgana am Laternenmast und auf dem Großplakat…