Linker Antisemitismus in den zwanziger Jahren

In der deutschen Presse wird immer öfter von linkem Antisemitismus berichtet. Dieser hat eine interessante Geschichte in der Weimarer Republik.

Ab 1924 wurde die KPD immer schneller in den innerrussischen Strudel der KPdSU-Fraktionskämpfe hereingezogen. Noch 1923 hatte die KPD unter dem Einfluß von Karl Radek erst die antisemitisch-nationalistische Schlageter-Linie gefahren und anschließend unter dem Kommando Trotzkis das Abenteuer des Hamburger Aufstands gewagt. Namen sind Nachrichten. Viele neue Namen zeigen Machtkämpfe an. Die Führungspersonen wechselten ständig: 1924/25 waren Ruth Fischer, Arkardij Maslow, Werner Scholem und Ernst Thälmann am Ruder, 1926 Ernst Thälmann, Philipp Dengel, Ernst Meyer und Arthur Ewert, ab 1928 Ernst Thälmann, Heinz Neumann und Hermann Remmele. 1932 wurden Remmele und Neumann abserviert. Die einzige Konstante war Thälmann. Er kungelte am meisten mit Stalin und war linientreu.

Innerparteilichen Gegnern in der KPD wurde je nach aktuellem Bedarf das Moskauer Abzeichen „Rechter Abweichler“ oder „Linker Abweichler“ angeheftet, um sie im innerparteilichen Leben tot zu machen. Mit einem „Offenen Brief“ der Komintern von 1925 wurde die frischgewählte Fischer-Maslow-Gruppe heftigst kritisiert und im Gefolge aus der Parteiführung entfernt. Aber schon während der Fischer-Maslow-Zeit war die Herausdrängung von Funktionären mit SPD- und USPD- Vergangenheit in vollem Gange. Der Ausschluß der „Rechten“, unter denen vor allem und zunächst jene zu verstehen waren, die die Zusammenarbeit mit der SPD gesucht hatten, erfolgte 1928. Einige wurden direkt vom Moskauer EKKI ausgeschlossen, andere vom Politbüro der KPD. August Thalheimer, Paul Frölich, Heinrich Brandler, Robert Siewert und andere gründeten nach ihrem Hinauswurf aus der KPD die KPD (Opposition), die freilich keine Bedeutung gewann. Interessant ist jedoch die Statistik des Gründungsparteitags der KPD (O): Von 74 Delegierten hatten 53 (= 72 %) der Vorkriegs-SPD und 43 (= 58 %) dem Spartacusbund angehört. Mit diesen Prozentsätzen konnte die KPD in ihrer stalinistischen Phase nicht mehr im entferntesten aufwarten. Hier gab es mit Thälmann, Pieck und Ulbricht auch noch ehemalige Sozialdemokraten, daneben stiegen jedoch viele politische Jungtürken schnell auf, um genauso schnell wieder in der Anonymität der stalinistischen Gebetshäuser zu verschwinden.

Mit der Bolschewisierung kam eine zweite Tendenz in der KPD zum Tragen, die der Moskauer Entwicklung glich. Waren in der frühen KPdSU zahlreiche Juden in der Führung vertreten, so waren in der väterlichen Phase der Revolution die Juden aus der Führung verdrängt. Ähnlich verlief es in der KPD. Zu Anfang saßen mit Rosa Luxemburg, Gustav Landauer, Leo Jogiches, Paul Levi, Max Lewien und August Thalheimer noch zahlreiche Juden in den Führungszirkeln der KPD. 1928 bis 1932 war nur noch Heinz Neumann in der inneren Führung übrig geblieben. Die kommunistische „Welt am Abend“ berichtete am 4. August 1931 unter der Überschrift „Mordhetze. Goebbels fabriziert Proskriptionslisten“, daß in ihrer Redaktion schon seit längerer Zeit kein Jude mehr tätig sei. Wollten das Blatt beziehungsweise die KPD damit ihre Attraktivität für den Wähler erhöhen? Fakt ist, dass 1932 kein Jude mehr kommunistischer Reichstagsabgeordneter wurde, und dass unter den 500 Reichstagskandidaten der KPD auch kein einziger Jude mehr war. Es gibt natürlich den knüppelharten Verdacht, dass Josef Stalin und Ernst Thälmann nachgeholfen haben. Die KPD (Opposition) hatte dagegen überwiegend jüdische Mitglieder.

Trotzdem entstand der Judenhaß in der KPD nicht erst auf Befehl Stalins. Schon als Kommissar Trotzki noch an der Macht war, nämlich 1923, gab es eine erste Annäherung an die NSDAP. Im Zuge des Widerstands gegen die französische Besetzung wurde in der NSDAP und KPD über eine engere Zusammenarbeit nachgedacht. „Schlagt Cuno und Poincaré an der Ruhr und an der Spree“ reimte das Zentralkomitee der KPD. Der Moskauer Kommissar Radek pries den Nationalsozialisten Schlageter, der eine Eisenbahnüberführung im besetzten Rheinland gesprengt hatte. Das ZK-Mitglied Ruth Fischer lud am 25. Juli 1923 zu einer Versammlung kommunistischer Studenten, zu der auch völkische Kommilitonen eingeladen waren. An die völkischen Studenten gewandt:

„Sie rufen auf gegen das Judenkapital, meine Herren?. Wer gegen das Judenkapital aufruft, meine Herren, ist schon Klassenkämpfer, auch wenn er es nicht weiß. Sie sind gegen das Judenkapital und wollen die Börsenjobber niederkämpfen. Recht so. Tretet die Judenkapitalisten nieder, hängt sie an die Laterne, zertrampelt sie. Aber, meine Herren, wie stehen Sie zu den Großkapitalisten, den Stinnes, Klöckner?“

Am 22. August 1923 berichtete der sozialdemokratische „Vorwärts“ unter der Überschrift „Hängt die Judenkapitalisten. Ruth Fischer als Antisemitin“ genüßlich über die neue kommunistische „Linie“.

Die Juden waren nicht nur für die Nationalsozialisten Symbolfiguren des Kapitalismus, sondern auch für die Linken. Kein Wunder, denn beide Richtungen kamen aus der antibürgerlichen Jugendbewegung. Vor dem Ersten Weltkrieg hatten sie als Kommunarden die Wohnung, die Kunstzeitschrift und die Konkubinen geteilt. In den 30er Jahren waren sie verfeindet und teilten nur noch den Antisemitismus.