Kleine Einführung in die Blockflötenkunde

Bei einer Schulveranstaltung am Ende der 60er Jahren wurde eine kulturelle Umrahmung geboten. Das Blockflötenorchester trat auf. Vor dem Beginn des Spiels befahl die Chorleiterin in einer voll besetzten Aula vor pubertierenden Jugendlichen:  „Alle Flöten in Bereitschaftsstellung!“ Es gab jedoch auch andere Blockflöten. Die in der „Nationalen Front“ mit der SED zusammengespannten Blockparteien CDU, LDPD, NDPD und die Bauernpartei DBD wurden im Volksmund wenig schmeichelhaft „Blockflöten“ genannt. Auch sie hatten, immer wenn es die in der führenden Rolle verharrende SED verlangte, in Bereitschaftsstellung zu sein.

Der Möchtegern-Ministerpräsident von Thüringen, Bodo Ramelow, behauptet eine Mitverantwortung der Blockflöten für den Sozialismus. Das mag für einen Teil des Führungspersonals dieser obskuren Organisationen zutreffen, vor allem für das hauptamtliche Personal, welches stark von der Staatssicherheit durchsetzt war. Für die Mitglieder ist das fast immer Unsinn. Drei exemplarische Beispiele sollen zunächst genügen, um das zu illustrieren.

Eine junge Dame, deren Namen wir geflissentlich verschweigen wollen, hatte gerade eine Lehrerausbildung abgeschlossen. Sie wurde als Junglehrerin in ein Dorf bei Arnstadt geschickt und wurde dort mit der Zumutung konfrontiert als Pionierleiter – kurz Pilei – zu arbeiten. Fahnenappelle vorbereiten, Gruppenratsvorsitzende instruieren, Pioniernachmittage und den Pioniergeburtstag am 13. Dezember vorbereiten? „Seid bereit – immer bereit!“, war der Kampfruf der Pioniere. So weit runter war sie nicht.  Sie war wirklich nicht fromm im Sinn der zehn Gebote, sondern führte im Gegenteil ein wildes Leben. „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Vieh noch alles, was dein Nächster hat“, das galt bei ihr zumindest nicht für Männer.  Trotzdem entschied sie sich für die Mitgliedschaft bei den Christbolschewisten der CDU. Religion war nämlich Opium fürs Volk. Deshalb war eine Beschäftigung als Pionierleiter wegen mangelndem Atheismus nicht möglich und sie wurde endlich Lehrerin. Die Ost-CDU öffnete sich dagegen frühzeitig für ein modernes Frauenbild…

Der Diktator Honecker wurde mal von einem westlichen Journalisten zum Umweltschutz befragt. Honecker zeigte sich offen und aufgeschlossen, und berichtete aus seiner Jugend. Seine Mutter hätte ihm beigebracht, Gemüse vor dem Verzehr immer gründlich zu waschen. Etwas mehr stellte sich unter Umweltbelangen ein begeisterter Kleingärtner vor, der von ökologischen Gedanken umgetrieben wurde. Er hatte sich mit Gleichgesinnten in der Schöndorfer Ortsgruppe der Liberalbolschewisten organisiert. Was die Parteiführung in Ostberlin ausheckte interessierte diese Leute nicht, auch der Liberalismus war ihnen ein ferner Planet. Man war hier in einer ökologischen Nische mit Gleichgesinnten. Das hätte man doch auch im Verein der Kleingärtner und Kleintierzüchter haben können? Nein, das ging nicht, denn da waren immer genug stramme Genossen drin. Wie weit die Staatssicherheit den Laden der Schöndorfer LDPD infiltriert hatte? Unklar!

Der Weimarer Metallbauprofessor war ein Exakter: Seine drei Assistenten standen beim Beginn der Vorlesung mit gebügelten Anzügen und frisch gekämmten Frisuren, die gürtelbreit über dem Ohr endeten, am Eingang des Hörsaals und riefen im Chor: „Guten Morgen, Herr Professor!“ Herr Professor war, wie man bereits ahnt, Mitglied bei den Nationalbolschewisten. Von den drei Parteigängern war er der einzige, der habituell zu seiner Organisation paßte. Er hielt wie Helmut Schmidt deutsche Sekundärtugenden hoch. Zu sagen hatte er in der Fakultät der Bauingenieure allerdings nichts. Dort gab der Oberpedell von der SED den Ton an. Pedelle waren derzeit in „Wissenschaftlicher Sekretär“ umbenannt worden und waren für die Einhaltung der Hochschulordnung zuständig. Sie überbrachten an unbotsame Studenten, Professoren und Assistenten Ladungen vor den Rektor, oder noch schlimmer vor den Parteisekretär.

Herr Bodo Ramelow hat das alles nicht miterlebt, denn er lebte damals in der westdeutschen Provinz. Für ihn diese kleine Einführung in die Blockflötenkunde.