Demokratie und Leichenberge

Wir sehen die Demokratie als friedliches Gegenmodell zu Diktaturen mit sozialistischer oder nationalsozialistischer Gewaltherrschaft. Demokratie kann jedoch auch Krieg bedeuten und inmitten von Leichenbergen enden.

Während in Osteuropa die Wiederherstellung der Vorkriegsstrukturen und die Demokratisierung ihre Früchte tragen, haben die demokratischen Experimente in Ägypten, im Iran, Afghanistan, Libyen, dem Irak und Syrien frustrierende Ergebnisse gezeitigt, und auch in Tunesien sind die letzten Messen des Parlamentarismus noch nicht gesungen. Periodisch explodieren in Tunis Bomben. Die Türkei ist klar auf dem Rückweg von der Demokratie ins Sultanat, wobei die deutsche Politik bei der Entdemokratisierung hilfreich zur Seite steht.

In Syrien und Libyen toben seit dem Sturz bzw. der Schwächung der orientalischen Diktaturen Stammes- und Religionskriege, in Afghanistan blockieren Stammesinteressen alle Modernisierungsversuche, im Irak ist es der Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten. Ägypten wurde nur durch den Putsch der Armee vor dem Rückfall ins Mittelalter bewahrt.

Die westlichen Machthaber haben die fragwürdige „Demokratisierung“ des Orients unterstützt. Sowohl der narzisstische Franzosenpräsident Sarkozy wie der kommunistische Präsident Obama engagierten sich für den Sturz des Gaddafi-Regimes. Am 11. März 2011 fand ein Sondergipfel der EU zur Libyenpolitik statt und die Differenzen unter den Mitgliedsländern wurden aufgedeckt. Während der französische Präsident Sarkozy dazu neigte zusammen mit Großbritannien militärisch einzugreifen, lehnte Deutschland das ab.  Ebenso verhielten sich Polen, Finnland, Schweden, Österreich, Tschechien, die Slowakei, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn und Rumänien. Lediglich Bulgarien schickte seine Fregatte Draski zur Sicherung des Seewegs, wohl eine Rache-Reaktion auf die Todesurteile und die jahrelange Gefangenschaft bulgarischer Krankenschwestern im tripolitanischen Reich des Schreckens.

Natürlich war auch die Lügenpresse mit von der Partie. Sie trommelte zum sogenannten „Arabischen Frühling“ die Marschmusik. In den ägyptischen, tunesischen, syrischen Internetpionieren glaubten sich die medialen Jungakademiker selbst wieder zu erkennen. Aus jedem lauen Lüftchen der Kritik an den orientalischen Despotien wurde ein demokratischer Tsunami westlichen Selbstverständnisses aufgeblasen. Jedes zarteste Pflänzchen des Pluralismus wurde als ganzer demokratischer Wald (v)erklärt. Der französische Zeitungszar Bernard-Henri Lévy soll sich nach einem Besuch bei den libyschen Rebellen Anfang März 2011 in einem Telefonat beim französischen Präsidenten Sarkozy erfolgreich für eine militärische Intervention zugunsten der Aufständischen eingesetzt haben, wenn man dem Schweizerischen Tagesanzeiger vom 31. März 2011 Glauben schenken darf.

Mit einem Funken Verstand hätten sowohl die Lügenpresse wie auch die Politik aus vorhergehenden Demokratisierungsversuchen im Nahen Osten lernen können. Wie sich jedoch gezeigt hat, ist die mediale Koterie nicht lernfähig, sondern folgt nur ihren perversen Wünschen und abartigen Neigungen.

Im Februar 1989 hatte die algerische Regierungspartei FLN im Schatten der sich anbahnenden europäischen Revolution die Errichtung eines  pluralistischen Systems versprochen. Bereits einen Monat später war die Front islamique des salut (Islamische Heilsfront FIS) gegründet worden, die sich nach dem Rauswurf liberaler, sozialdemokratischer und gemäßigter Kräfte im Jahr 1991 schnell zu einer konsequent antisäkularen Partei entwickelte. Bei den Wahlen am 26. Dezember 1991 brachte die FIS bereits im ersten Wahlgang 188 Kandidaten durch, bei insgesamt 430 Direktmandaten und errang 47,5 % der Stimmen. Nach dem ersten Wahlgang erhob die FIS in der Vorfreude auf den Sieg im zweiten Wahlgang die Forderungen nach Geschlechtertrennung und Einführung der Scharia. Vor diesem zweiten Wahlgang putschte die Armee mit Billigung der anderen Parteien im Januar 1992. Im Bürgerkrieg zwischen der Islamischen Heilsfront und der Armee starben von 1992 bis 2002 etwa 120.000 Araber und Berber. Derzeit sind wohl noch etwa 800 fromme Kämpfer in den Wüsten unterwegs.

Bereits das algerische Demokratisierungsabenteuer zeigte frühzeitig, daß die Parlamentarisierung der orientalischen Despotien die Islamisierung in einem bisher nicht gekannten Maße zur Folge hat. Das hat sich in Ägypten, Libyen, Syrien und im Jemen deutlich gezeigt.

Die Despotien, egal ob monarchistisch oder republikanisch, hatten und haben dagegen den Vorteil, daß trotz islamischer Tradition eine staatliche Ordnung herrscht. Das Ziel islamischer Parteien ist die Beseitigung des staatlichen Rechts und die direkte Bezugnahme auf den Koran und die Überlieferung. Beispiele dafür sind der Islamische Staat in Syrien, im Irak und in Libyen, in etwas abgespeckter Variante auch der Iran.

Selbst im verpönten Saudi-Arabien wird ein minimales staatliches Recht neben der Scharia praktiziert, in anderen Königreichen und Republiken fristet die Scharia – sehr zum Ärger frommer Moslems – geradezu ein Schattendasein. So ist es im Sultanat Oman zum Beispiel möglich, daß unverschleierte Frauen in die Fernsehkamera lächeln, oder daß der Sultan Kabus ein Orchester unterhält, welches europäische klassische Musik im Repertoire hat. Der musikalische Genuß hält sich aus Gründen der Instrumentenbeherrschung übrigens in Grenzen.

Demokratie und Islam sind miteinander offenbar unvereinbar, wie die Praxis in Asien und Afrika zeigt. Das haben die derzeitigen europäischen Machthaber noch nicht begriffen. Sie fummeln politisch und militärisch in der Levante herum und verursachen mit ihren unbeholfenen Aktionen riesige Leichenberge. Sie wurden von Fachleuten rechtzeitig vor der Unterstützung der syrischen Opposition gewarnt. Gemessen am menschlichen Leiden und den Zerstörungen sind die EU-Größen, von denen etliche in ihrer Jugend in militanten maoistischen und stalinistischen K-Gruppen organisiert waren, mit ihrem horizontlosen außenpolitischen Interventionismus die Pol Pots des 21. Jahrhunderts.