Tacheles in der Kirche

Schon in den vergangenen Jahren war die Weihnachtsfeier in der Mechelrodaer Kirche immer besser besucht. Das hat sicher mit dem Engagement einiger Gemeindemitglieder zu tun, die das Krippenspiel organisieren. Für die Kinder ist das richtige Weihnachtsstimmung und für deren Eltern auch. Bei einer Einwonerzahl von 270 waren gut 110 Leute in der Kirche. Wenn man das mal auf das gottlose Berlin hochrechnen würde: Da würden sich ein bis zwei Millionen in den Kirchen drängeln.

Was überraschend war: der Inhalt der Predigt. Alles hatten wir schon: Die Predigt einer jungen Dame, die uns 1992 schilderte, wie wir nach dem politischen Zusammenbruch des SED-Regimes in ein schwarzes Loch sehen würden. „Der Auspuff vom Mercedes“ murmelte ein Realist aus der letzten Reihe.

Statt die Finsternis des Teufels und die ewige Wärme des Lichts zu beschwören, forderte der Pfarrer heuer in allen Lebenslagen mehr Mut zur Wahrheit und weniger Lebenslügen. Er schimpfte auf die Political Correctness, man müsse alles ansprechen können, was ein bewegt, ohne Rücksicht auf beleidigte Leberwürschte. Er prangerte es an, wenn junge Damen nach einer Feier in einer westdeutschen Großstadt nicht mehr alleine nach Hause gehen können. Er sprach über „Stieffamilien“, die von der Lügenpresse als „Pätschwörk“ hochgeheipt werden. Und daß Martin Luther die Dinge klar und deutlich angesprochen habe. Daß er Tacheles geredet habe.

Es sei wieder eine Stimmung wie 1989 gewesen, sagte meine Freundin.

Ein paarmal habe ich schon überlegt, aus der Kirche auszutreten, weil die obere Etage staatskonform und ausgebrannt ist. Die praktisch veranlagte Freundin hat mich immer wieder davon abgehalten: „Was mir schon bezahlt haben…“. Gestern war ich ihr dankbar und habe gedacht: „Wir bleiben drin“.