Vier Fäuste für ein Außenamt

Offensichtlich ist in der SPD ein Streit darüber entbrannt, welcher Genosse in einer Groko Außenminister werden soll. Die WELT berichtete über das vorzeitige Postengeschacher. Dabei sind beide Aspiranten – Schulz und Gabriel – für dieses Amt denkbar ungeeignet. Schulz hat sich mit zahlreichen auswärtigen Spitzenpolitikern aufs Heftigste angelegt, und Gabriel auch. Da sehnt man sich nach dem langweiligen und zurückhaltenden Beamten Steinmeier zurück, der erst gründlich überlegte und danach wenig sprach. Steinmeier hat in seiner Zeit im Außenamt nicht einen einzigen außenpolitischen Großbrand selbst gelegt, sondern das Zündeln der Kanzlerin überlassen.

Denn zu gekonnter Diplomatie gehören Zurückhaltung, Understatement und Berechenbarkeit. Daran fehlt es beiden Bewerbern. Wendigkeit, die Sigmar Gabriel nachgesagt wird, ist nicht per se eine politische Untugend. Aber ausgerechnet ins deutsche Außenamt gehört sie nicht. Der ewige Außenminister Genscher erzielte seine diplomatischen Erfolge, weil er achtzehn Jahre dasselbe predigte und kommunizierte. Und Schulz scheint prinzipiell mit der ideologischen Streitaxt und nicht mit dem Florett der Geduld zu fechten.

Die außenpolitische  „Rue de Blamage“ der SPD führte durch Österreich (Kanzler Schüssel), Polen (die Kaczyński-Brüder), die Schweiz (Einsatz der Kavallerie), Italien (die Clowns Berlusconi und Grillo), Ungarn (MP Orbán) und die Türkei. Weitere Ausfälligkeiten gegen die Niederlande, Dänemark, Tschechien und Syrien sind in Deutschland schon fast vergessen, nicht jedoch in den betroffenen Ländern. Zuweilen wehren sich die Betroffenen. In Teheran wurde der Kuffar Sigmar Gabriel mehrmals – damals noch als Wirtschaftsminister – regelrecht gedemütigt.

Im Kern hat sich die SPD von einer Lehrer- zu einer Belehrungspartei entwickelt. Das ist schon im nationalen Rahmen fragwürdig – die Wahlergebnisse und Umfragewerte der SPD verraten es – auf der Weltbühne ist es geradezu desaströs.

Ein Blick zurück auf vergangene Defizite des deutschen Außenamts. Denn eine fragwürdige Besserwissi-Attitüde gab es schon vor über 100 Jahren. Hermann Oncken beklagte bei seiner Analyse der Ursachen des Ersten Weltkriegs eine gewisse Unreife der Deutschen, welche man aktuell der SPD zuschreiben kann:

„Die außenpolitische Erziehung, der Instinkt für das Mögliche und das Unmögliche, der Takt in allen Berührungen mit der Lebenssphäre fremder Völker konnte nicht ererbt, sondern nur erworben werden; vielleicht nicht in einer Generation, da sich der weltpolitische Horizont so rapide erweitert hatte“.

Statt dem Gefühl für das Mögliche dominierten schon am Anfang des 20. Jahrhunderts Idealvorstellungen einer deutschen Weltmission: Der deutsche Diplomat Alfons Paquet hatte es vor dem Ersten Weltkrieg auf den Punkt gebracht:

Unsere Weltflucht muß nach vorwärts in die Einsamkeiten, in die Versuchungen und in die Größe des Weltbürgertums. Es wäre Zeit für einen neuen Orden von wandernden Schülern…, eine Vergeistigung der Erde durch das deutsche Wesen.“

Kurz und bündig drückte es der soldatische Kronprinz Wilhelm Anfang der 20er Jahre aus:

„Als ich, bald nach jener Zeit der Arbeit im Reichsmarineamt, mehr und mehr auch in die Probleme der äußeren Politik des Reiches eindrang, fand ich immer wieder die von mir schon auf meinen Reisen beobachtete Tatsache bestätigt, dass unser Vaterland in der ganzen Welt wenig beliebt, vielfach geradezu verhaßt war. Abgesehen von der uns verbündeten Donaumonarchei, und etwa von den Schweden, Spaniern, Türken, Argentiniern mochte uns eigentlich niemand recht leiden. (…) Aber nicht Missgunst gegen die deutsche Tüchtigkeit allein hat uns die Abneigung der großen Mehrheit eingetragen; wir hatten es auch verstanden, uns durch weniger gute Eigenschaften, als Tüchtigkeit ist, missliebig zu machen. Unklug ist es, wenn sich ein Einzelner oder ein Volk in seinem Vorwärtsstreben über Gebühr vorlaut vordrängt; Misstrauen, Widerstand, Abwehr und Feindschaft werden dadurch geradezu herausgefordert. In diesen Fehler sind wir Deutschen amtlich wie persönlich nur zu oft verfallen. Das offenbar herausfordernde, laute Auftreten, das alle Welt bevormundende, fortwährend belehren wollende Gebaren mancher Deutschen im Auslande fiel den anderen Nationen auf die Nerven. Es richtete im Verein mit Torheiten und Geschmacklosigkeiten, die sich auf der gleichen Linie bewegten und die im Lande von führenden Persönlichkeiten oder von leitenden Stellen ausgingen und draußen hellhörig empfangen wurden, großen Schaden an.“  

Der globalistische Anspruch der medialen Eliten des Kaiserreichs ist in der späten Bundesrepublik wieder auferstanden. Im Kern ist die Penetranz der eifernden Verbreitung und das Selbstgefühl als weltpolitisch belehrende und nervende  Avantgarde geblieben. Na gut, heute teilt sich Berlin die Weltverbesserungsobsessionen mit dem Milliardär Soros und Hollywood. Es ist übrigens nicht das Migrationsthema allein. Der Krieg gegen die Kohle wird aus der Reichshauptstadt quasi als Dritter Weltkrieg geführt.

Dabei kann sich die ältere Generation der Deutschen noch an das Nichtgelittensein im Ausland erinnern. Nach dem zweiten Weltkrieg dauerte es, bevor man wieder den heiligen Boden benachbarter Völker betreten konnte. Am Anfang waren das verbündete Italien und das neutrale Spanien Urlaubsziele der Deutschen. Bis man nach Frankreich, Holland und insbesondere nach Norwegen reisen konnte, dauerte es eine ganze Weile. Ich erinnere mich an eine Fahrt im Jahr 1968 nach Prag, wo ich öfter von Patrioten mit verkniffenem Gesicht als „Faschist“ angezischt wurde. Das hatte natürlich auch mit der „Normalisierung“ nach dem „Prager Frühling“ zu tun. Meine Freundin war nach der Öffnung der Oder-Neiße-Grenze 1972 mal in Polen zu Gast. Sie bekam die Empfehlung im Treppenhaus nicht deutsch zu sprechen, um die Gastgeber nicht in Verlegenheit zu bringen.

Aus diesem mentalen Loch hat man sich gerade herausgearbeitet, da trumpft die deutsche Sozialdemokratie als europäischer Zuchtmeister immer vehementer auf. Das ist nicht im wohlverstandenen deutschen Interesse. Um Berlin herum stabilisiert sich eine Abwehrhaltung, die ihren Ausgang in den Visegrad-Staaten nahm, mittlerweile den Balkan, das Baltikum, Österreich, Sachsen und Bayern erfaßt. Demnächst vielleicht auch Italien, Thüringen und weitere Länder.

Ministerpräsident Seehofer hat sich kürzlich verplappert, als er beim Empfang seines Kollegen Victor Orbán von den „mittelbayrischen Ländern“ sprach. Er meinte die mitteleuropäischen Staaten. Er fühlt sich entsprechend Münchner Tradition offensichtlich wieder mehr nach Wien und Budapest hingezogen. Der Versprecher verrät die mentale Distanz des Noch-Bayerkinis zur Berliner Führung.

Die sozialdemokratische Leitung des Außenamts hat nicht immer desaströse Wirkungen gehabt. Die weltpolitische Bedeutung Deutschlands ist unter Willy Brandt, der 1966 bis 1969 Außenminister, danach bis 1974 Bundeskanzler war, noch gestiegen. Heute fehlt der SPD so eine Persönlichkeit, die versöhnlich nach Süden und Osten ausstrahlt. In der dritten Reihe gibt es diese Garnitur schon. Die überhebliche Berliner Medienlandschaft wird Sozialdemokraten mit Augenmaß allerdings als Provinzler denunzieren und wegmobben.

Derzeit kämpfen vier Fäuste nicht für ein Halleluja, sondern um den Zutritt zur Weltpolitik. Hoffentlich scheitert die Groko. Dann wird der Welt ein sozialdemokratischer Scharfmacher im Auswärtigen Amt erspart.

 

Quellen:

Hermann Oncken: Das Deutsche Reich und die Vorgeschichte des Weltkrieges, Zweiter Band, Barth, Leipzig, 1933, S. 711
Alfons Paquet: Li oder Im neuen Osten, Ffm, 1912, S. 290f.
Kronprinz Wilhelm: Erinnerungen, J.G. Cotta´sche Buchhandlung Nachfolger, Stuttgart und Berlin 1923, S. 75ff.