Im Märchenland der Lügenmedien

Nicht erst seit gestern manipulieren die faschistoiden Systemmedien Wahlen und Meinung. Ich habe mal ein besonders abstruses Beispiel aus dem Jahr 2002 aus dem Land des Vergessens wieder hochgeholt. Die Bundestagswahl stand vor der Türe und Kanzler Schröder mußte sich gegen den Angreifer Edmund Stoiber behaupten. Schröder hatte bei Amtsantritt 1998 den Kampf gegen die damals hohe Arbeitslosigkeit versprochen und konnte nach vier Jahren nichts vorweisen. Da kamen die Vorschläge von Peter Hartz zum Umbau der Arbeitsämter gerade rechtzeitig.

Als der SPIEGEL 2002 die Wahlkampfwerbung für die Hartz-Gesetze begann, standen propagandistisch die Personal-Service-Agenturen (PSA) ganz oben an. Ich lag im Sommer 2002 eines Tags am Strand von Giulianova und hatte mir zum Ärgern einen SPIEGEL gekauft. In der Ausgabe 26/2002 wurde ein Interwiev mit dem Erfinder der PSAs Peter Hartz geführt. Mit großem Erstaunen las ich:

Hartz: Jedem Arbeitsamt gliedern wir eine so genannte Personal-Service-Agentur an, die wie eine private Zeitarbeitsfirma arbeitet oder möglicherweise sogar eine ist. Dort werden die Arbeitslosen angestellt – mit allen Rechten und Pflichten. Praktisch sind sie dann nur eine logische Sekunde lang arbeitslos.
SPIEGEL: Die sitzen dann in der Agentur, drehen Däumchen oder spielen Skat.
Hartz: Nein. Wenn der Mann oder die Frau was kann, werden sie sofort an eine Firma mit Bedarf gegen Entgelt vermittelt. Sind sie schlecht ausgebildet oder schon lange arbeitslos, können sie auch kostenlos auf Probe dort arbeiten oder eine betriebsnahe Qualifizierung absolvieren. Wenn sie sich nicht bewähren, können sie die Arbeitgeber jederzeit wieder in die Personal-Service-Agentur zurückschicken. Sind sie gut, bekommen sie hoffentlich nach der Probezeit ein festes Jobangebot. Damit tauschen wir auch die lauthals geforderten Sanktionen gegen die Arbeitslosen in eine höchst wirksame Verhaltensweise von Arbeitnehmern und Arbeitgebern mit Hilfe des Arbeitsrechts.
SPIEGEL: Dann könnte die Firma ja gleich jemand Neues einstellen.
Hartz: Das wird sie meistens nicht tun, weil ein Festangestellter oft teurer ist und nur schwer gekündigt werden kann. Das Konzept hat den Charme, dass wir zwei Ziele gleichzeitig erreichen: Die Unternehmen können günstig neue Arbeitsplätze schaffen. Trotzdem haben die Angestellten der Agentur völligen sozialen Schutz. Sie können nicht gekündigt werden, bekommen feste Bezüge über die Arbeitslosenversicherung und sind sozialversichert.

Die DDR-Kombinate oder der Reichsarbeitsdienst sind wieder auferstanden, dachte ich. Die Bundesrepublik als Arbeitgeber für 4 Millionen Leute. Woher sollen die ganzen Ideen kommen, was mit dem Personal zu tun ist?

Damals als ich das las, war ich Arbeitgeber mit knapp 30 Beschäftigten in vier Betrieben. Von den 30 Beschäftigten hatten vielleicht drei das Arbeitsamt mal von innen gesehen. Das hatte verschiedene Gründe. Ich hatte immer den Verdacht, daß die Arbeitsämter die besten Leute an Freunde vermitteln und daß ich nicht zum Klub gehöre. Viele Leute, die das Arbeitsamt anbot, hatten völlig unrealistische Lohnvorstellungen, einige hatten keine Zeit, weil sie in Wirklichkeit schwarz arbeiteten und einige waren erkennbar nicht leistungsfähig. Verdächtig war auch, daß sich viele Kandidaten überhaupt nicht meldeten. Die Anfrage beim Arbeitsamt war in der Regel Zeitverschwendung, so die praktische Erfahrung. Neue Mitarbeiter wurden zu weit über 90 % aus dem Bekanntenkreis der Beschäftigten rekrutiert. Mit Erfolg.

Vor diesem Hintergrund erschien mir die Einrichtung von Personal-Service-Agenturen wie ein Märchen aus Tausendundeinernacht. Diese Agenturen sollten wahrscheinlich das Zuckerkügelchen sein, welches den Rest der Maßnahmen (Zumutbarkeit, Sanktionen) für den unbedarften Wähler verdaulich machen sollte. Das süße Opium, welches die Leute einlullte und die Kritiker zum Verstummen bringen sollte. In solchen Fällen von unrealistischer Propaganda glaubt das Publikum das abstruseste Zeugs – einfach aus Bequemlichkeit.  2015 wurde den Leuten vorgelogen, daß Ärzte und Ingenieure aus Syrien kommen. Sogar dieser Bullshit wurde den Journalisten von besonders naiven Seelen abgenommen.

Die PSA konnten sich die Praktiker nur als eine Art DDR-Kombinate oder als Reichsarbeitsdienst vorstellen. Selbst der SPIEGEL hatte zweifelnd gefragt: „Die sitzen dann in der Agentur, drehen Däumchen oder spielen Skat.“

Die harte Landung auf dem Boden der Realitäten folgte umgehend nach dem Beschluß der Gesetze im Herbst 2003. Die PSA jubelten den Betrieben Praktikanten unter. Ich war zu der Zeit nebenberuflich Bürgermeister einer Gemeinde mit 260 Einwohnern. Die Gemeinde bekam von der PSA gegen geringes Geld einen zweiten Gemeindearbeiter. Es war von vornherein klar, daß die klamme Gemeinde den nicht übernehmen konnte. Denn selbst der erste arbeitete aus Geldmangel ja nur wenige Stunden in der Woche. Der Angestellte der PSA hatte aber Glück. Ein Bürgermeisterkollege hatte einen Baubetrieb und stellte ihn ein. Es war der einzige Fall, den ich kannte, wo ein PSA-Mitarbeiter wirklich in einen festen Job vermittelt wurde.

Die Personal-Service-Agenturen hatten niemals 4 Millionen Mitarbeiter. Sie wurden wegen Erfolglosigkeit nach Inkrafttreten des Gesetzespakets zur Modernisierung des Arbeitsmarkts schrittweise geräuschlos um die Ecke gebracht. Insgesamt sollen wohl 2.000 Arbeitnehmer von insgesamt etwa 30.000 PSA-Angestellten mit diesem Werkzeug in einen festen Job vermittelt worden sein. 2005 liefen zahlreiche Personalserviceverträge aus, ohne verlängert worden zu sein. 2008 wurde das Konzept endgültig beerdigt.

Ein Ziel wurde mit den blumigen PSA-Versprechungen aus der Parallelwelt zumindest erreicht: Den Widerstand der Kritiker zu brechen. Die Wähler hatten Schröder 2002 noch eine zweite Chance gegeben. Hartz IV wurde am 17.10.2003 von Rotgrün beschlossen. Es gab nur einen einzigen Abweichler aus den Regierungsfraktionen. Die Gewerkschaften hielten still. Alle Sozialdemokraten, die heute so tun, als hätten sie Gerhard Schröder nie gekannt, waren damals dafür.