Das Wirtschaftswunderland auf Junckers Anklagebank

Auch ich hatte 2006 ehrlich gesagt einige Zweifel, ob Rumänien in die EU paßt. Wenn ich aber die letzten Jahre Revue passieren lasse, so muß ich zugeben, daß ich angenehm überrascht bin. Gemessen an meiner zugegebenermaßen niedrigen Erwartungshaltung ist in dem Balkanland mit dem schlechten Ruf alles ganz gut gelaufen.

Karl Marx hatte Rumänien in die Schublade „Bauer und Bojar“ gesteckt, bei Karl Kraus konnte man nur Negatives über die „Hauptstadt Bukarescht, wo sich keiner Füße wäscht“ nachlesen. Auch über die Sprache machte man sich lustig: „Bulgaren kamen nach Dobrutschul, Feste Tutrakan ist futschul.“ In der Russenzeit war ein Trip über Rumänien nach Bulgarien mit zahlreichen Risiken behaftet. Von Zigeunern überfallen und ausgeraubt, von Wanzen geplagt zu werden oder angesichts leerer Geschäfte zu verhungern. Andererseits berichteten mutige Rucksacktouristen aus Transsilvanien von großartigen Landschaften, trinkbaren Schnäpsen und gutwilligen Einwohnern.

Das war einmal. Rumänien hatte 2017 mit 7,3 % das höchste Wirtschaftswachstum in der EU, auch 2016 lag es mit 4,8 % mit an der Spitze. Es ist bei der Versorgung mit schnellem Internet lange an Deutschland vorbeigezogen und es ist einen guten Teil seiner Kriminellen durch Abwanderung losgeworden, Leute, die früher ungemein lästig waren. Auch die Lage der Ungarn hat sich verbessert. Das sollte man alles anerkennen. Daß es in Rumänien Korruption gibt, war zu erwarten. Deutschland ist übrigens auch nicht frei davon.

Dem an Ischias leidenden Kommissionspräsidenten Juncker geht es scheinbar umgekehrt. Er hat am ersten Januar 2007 beim Beitritt von Rumänien und Bulgaren wohl zu hohe Erwartungen gehegt, die jetzt enttäuscht wurden. Juncker bezweifelt die Führungsfähigkeiten Rumäniens, das am ersten Januar die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt:

„Ich glaube aber, dass die Regierung in Bukarest noch nicht in vollem Umfang begriffen hat, was es bedeutet, den Vorsitz über die EU-Länder zu führen. Für ein umsichtiges Handeln braucht es auch die Bereitschaft, anderen zuzuhören und den festen Willen, eigene Anliegen hintenan zu stellen. Da habe ich einige Zweifel“.

Zudem sei der interne Zustand derzeit so, dass das Land nicht als „kompakte Einheit“ in Europa auftreten könne. „Es braucht zuhause eine geschlossene Front, um während der Ratspräsidentschaft auch die Einheit Europas zu fördern“.

Da stellen sich dem verwunderten Europäer so einige Fragen. Ist es nicht manchmal vernünftig, mit den Umständen und den Menschen zu leben, die nun einmal da sind? Es ist doch nicht wirklich überraschend, daß Rumänien 2019 den rotierenden Vorsitz übernimmt? 2014 und 2003 hatte sogar Griechenland den Vorsitz inne und Europa ist nicht untergegangen. Jedenfalls nicht ganz. Die bulgarische Präsidentschaft 2018 lief ohne Zwischenfälle ab, warum wird das nicht auch der rumänischen zugetraut?

Und was hat Juncker für ein Demokratieverständnis, wenn er eine geschlossene Front erwartet? Wohnst du noch in der Demokratie oder lebst du schon in der Diktatur? Die letzte geschlossene Front in Deutschland war abgesehen vom Bundestag 2009 bis 2013 die „Nationale Front“ der DDR, in der auch Junckers Bruderpartei, die CDU organisiert war. Es gab auch mal die „Harzburger Front“. In einer funktionierenden Demokratie gibt es Regierung und Opposition. Und das ist gut so und hat Sinn.

In Rumänien regieren die Sozialdemokraten mit der Liberalen Allianz, wobei die Sozialdemokraten freilich eine schillernde Historie haben. Aber das ist bei Linken, CDU, FDP und Grünen in Deutschland ja auch so. Und da legt Juncker nicht den gleichen strengen Maßstab an.

Offenbar dachte man in Brüssel, daß es möglich sei eine Erziehungsdiktatur auf dem ganzen Balkan zu errichten, wo mit westlichen Fördergeldern Wohlverhalten und Jasagerei erzwungen werden. Nicht gerechnet hat man damit, daß insbesondere in Polen, Ungarn und Rumänien gewachsene und gewaschene Bürokratien auf dem Plan waren, die mit ihrer Taktik der „Flexible Response“ schon Moskau zur Verzweiflung gebracht hatten. Auch in der Tschechoslowakei war das zumindest 1967/68 der Fall. Nur Ostberlin war immer der brave widerspruchslose Musterschüler, der das scheinbiedere und gemeingefährliche Merkelungeheuer hervorgebracht hat.

In Warschau, Budapest, Bukarest, Bratislava, Prag und Sofia ging man nach der bewährten Strategie Italiens vor: EU-Vorschriften werden in Frankreich gelesen, in Italien ignoriert und in Deutschland beachtet. Wobei das pointierend zugespitzt ist: Gegen den Maastricht-Vertrag haben Deutschland und Frankreich zuerst verstoßen und nicht Italien.

Die EU hat Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn und Polen auf dem Schirm. Nun soll auch noch Rumänien wegen Umbauten am Justizsystem auf die Anklagebank. Brüssel schafft sich im Osten einen kompakten Block von Angeklagten, die sich gegenseitig schützen werden. Wie schon beschrieben: Gegen die gewiefte Abwehrkette der Visegrad- und Balkanstaaten, die inzwischen von Österreich und Italien flankiert wird, wird den Brüsseler Politkommissaren kein Erfolg beschieden sein. Sie werden sich wie Napoleons und Hitlers Armeen im Osten totlaufen.

Eine weitere Front der Populismusabwehr bröckelt: Juncker hatte versucht, die ungarische Regierungspartei FIDESZ aus dem christdemokratischen Europabündnis hinauszubefördern. Was gescheitert ist. Orbán Victor hat einige Freunde bei den Partnerparteien, vor allem waren es aber taktische Überlegungen der Volksparteigranden, die den Rauswurf verhindert haben. Orbán als Anführer der Rechtspopulisten im Europaparlament ist für viele Pragmatiker der Christbolschewisten ein Schreckgespenst. Ein unnötiges Risiko. Ein Szenario, welches es zu verhindern galt. Juncker hat in der eigenen Parteienfamilie keine Autorität mehr. Er gilt offensichtlich in den eigenen Reihen als politischer Kamikazepilot.

Jean-Claude hat übrigens gerade eine satte Lohnerhöhung bekommen, so daß er seinen Ischias mit noch hochdosierteren Medikamenten pflegen kann. Na twoje zdrowie! Az egészségedre! Noroc!