Schönheit liegt im Auge des Betrachters

Gerade hat Dr. Merkel zwei Bilder von Emil Nolde aus ihrer Kanzlerstube ausschaffen lassen. Über die künstlerische Qualität dieser Erzeugnisse aus der Werkstatt von Maler Klecksel wird heftig gestritten, denn Nolde war harter Nationalsozialist.

Es gibt so einige Kriterien für Meisterschaft, die freilich über die Jahrhunderte flexibel waren. Wie hat der Maler die Hände getroffen? Hat das Gesicht einen Ausdruck? Ist der Faltenwurf der Kleidung natürlich? Stimmen die Lichteffekte? Ist die Personenstaffage stimmig in den Hintergrund eingebettet? Und wie fein ist der Pinsel?

Bei Nolde braucht man sich nicht groß anstrengen, um zu erkennen, daß die Bilder wahrscheinlich unter Rauschgift hingeschmiert worden sind. Hermann Hesse hat 1919 in „Klingsors letzter Sommer“ wohlmöglich die Entstehungsumstände des 1912 gemalten „Propheten“ von Nolde beschrieben:

„…ein Antlitz wie eine Landschaft gemalt, Haare an Laub und Baumrinde erinnernd, Augenhöhlen wie Felsspalten – sie sagten, dies Bild erinnere in der Natur nur so wie mancher Bergrücken an ein Gesicht (…) In diesen rasend gespannten Tagen lebte Klingsor wie ein Ekstatiker. Nachts füllte er sich schwer mit Wein und stand dann, die Kerze in der Hand, vor dem alten Spiegel, betrachtete das Gesicht im Glas, das schwermütig grinsende Gesicht des Säufers. (…) Er hatte einen Traum, in dem sah er sich selbst, wie er gefoltert wurde, in die Augen wurden Nägel geschlagen, die Nase mit Haken aufgerissen; und er zeichnete das gefolterte Gesicht, mit den Nägeln in den Augen, mit Kohle auf einen Buchdeckel…“

Von erster Hand sind die expressionistischen Skizzen von Nolde offensichtlich nicht, sie sind eher Zeitdokument der aufgewühlten und bellizistischen Vor- und Zwischenkriegszeit. Zudem wird dem Expressionismus „Deutsche Art“ angedichtet. So verstand er sich zumindest selbst. Entsprechend war Nolde in den 20ern und 30ern in der Partei umstritten. Die einen mochten den Expressionismus und Nolde, die anderen nicht. Zu den Fans des Expressionismus gehörte der NS-Studentenbund (auch die Partei hatte ihre rebellischen Jungtürken) und Dr. Goebbels.

Nun gibt es einige Kritiker, die den Wert oder Unwert von Kunst daran bemessen, ob dem Führer das Werk gefallen hat oder ob es ihm gefallen hätte, wenn er es gekannt hätte. Oder ob es  vom größten Künstler aller Zeiten als „entartet“ abgestempelt wurde. Wenn man so vorgeht, gesteht man freilich Hitler ausschlaggebende Expertise bis in alle Ewigkeit zu.

Auch dadurch, daß der Kanzlerin ein Wandbehang gefällt, gewinnt er keinsfalls an Wert. Geschmacklich und intellektuell ist sie ja – siehe ihre Hosenanzüge und ihre Satzbildung – etwas eingeschränkt.

Was verwundert: Die Parteimitgliedschaft Noldes ist seit Menschengedenken bekannt. Aber erst jetzt ist die Deko der Dr. Merkel peinlich und die Bilder wurden entfernt. Hat sie wieder etwas Unerhörtes, Plötzliches und Alternativloses vor, wo die Bilder stören würden?

Künstler haben immer einen Bonus gehabt. Während die Namen von Generälen, die nicht einmal in der Partei waren von Straßenschildern und Kasernen getilgt werden, stehen die von NS-Künstlern geschaffenen Statuen überall herum. Oder ihre „Wahnsinnsschrift“ – so eine Eigenwerbung – hängt in Museen. In Jena-Cospeda habe ich kürzlich sogar eine Gedenktafel für Nolde gefunden. Bei einem Umzug wurde an ihn erinnert. In einer Zeit wo inzwischen alles Nazi ist, was sich bewegt, verliert der Nationalsozialismus seinen Schrecken. In Berlin sollen Häuser schon wieder arisiert werden. Also wenn sie zufällig Juden gehören sollten…