Der Stundenzettel reicht nicht mehr

1990 hatte ich in einem größeren Darmstädter Betrieb mit flexibler Arbeitszeit gearbeitet. Dort gab es jeden Monat einen neuen Stundenzettel, in den man Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit eintragen mußte. Ein paarmal im Jahr ging jemand von der Geschäftsleitung rum und kontrollierte, ob das auch eingehalten wurde. Die sich aus dem Zettel ergebenden Überstunden wurden übrigens bezahlt, soweit sie nicht im Laufe des Monats ausgeglichen worden sind. Dieses in meinen Augen praktikable System habe ich später in meinen eigenen Betrieben so ähnlich eingeführt.

Die Richter des Europäischen Gerichtshofs EuGH haben nun die Zeiterfassung durch den Arbeitgeber dekretiert. Die Richter das sind Leute, die morgens an ihren festen Arbeitsplatz gehen und abends wieder nach Hause. In solchen Betrieben hat man sich schon länger mit Stechuhren und Elektronik geholfen. Für sehr viele Leute sieht der Arbeitsalltag jedoch völlig anders aus. Sie fahren zu einer Baustelle oder zu einem Kunden, wo kein Mensch kontrollieren kann, wann sie dort ankommen und wann sie wegfahren. Bei solchen Jobs galt immer das Vertrauensprinzip. Anhand der Menge der geleisteten Arbeit hatte man eine Plausibilitätsprüfung ob die Arbeitnehmer dort anwesend waren, wo sie Leistungen erbringen sollten.

Auch diejenigen, die im Homeoffice arbeiten, sind hinsichtlich der Arbeitszeit schwer zu kontrollieren. Das Urteil des EuGH wirft viele Fragen auf, deren Antworten bisher pragmatisch über den Daumen gepeilt worden sind. Wir erleben schon wieder den Brüsseler Perfektionismus. Dabei wäre etwas gesunder Menschenverstand oft die bessere und billigere Variante. Es gibt immer mehr Fälle, wo Gesetze nicht mehr eingehalten werden können, weil es einfach nicht geht. Damit wird das Rechtssystem mittelfristig ruiniert. Wenige verständliche und praktikable Gesetze sind besser, als ein nicht mehr handhabbares und sich selbst widersprechendes Gesetzesdickicht.

Der Europäische Gerichtshof entwickelt sich mehr und mehr zu einem Ärgernis. Am selben Tag hat er ausgeurteilt, daß Schwerstverbrecher nicht abgeschoben werden dürfen. Der europäische Steuersklave soll Verbrecher mästen. Brüssel tut kurz vor der Europawahl noch einiges um die Leute zu verärgern.

Wegen diesen frechen Provokationen sollten die Richter und Komissare am 26. Mai ihr blaues Wunder erleben.