Der Politikstil in der Ukraine

Der Komiker Wolodomir Selenski hat nun auch im Parlament der Ukraine eine Mehrheit errungen. 253 von 424 Abgeordneten, das sieht gut aus. Aber wie stabil wird diese Mehrheit sein?

Auf den ersten Blick denkt man an den politischen Durchmarsch von Emmanuel Macron in Frankreich. Mit dem Rückenwind der Medien schaffte er es auch ohne Parteiapparat in den Präsidentanpalast. Dann begann er einen Kader für die Nationalversammlung zu schmieden. In Deutschland hätten die Kandidaten gewählt werden müssen, in Frankreich wurden sie von einer Berufungskommssion ernannt, die wiederum von Macron ernannt wurde. Bislang hält das starke Präsidialsystem die En Marche-Bewegung zusammen.

Sie zählt nach eigenen Angaben 230.000 Mitglieder, die sich nur mit e-mail-Adresse anmelden müssen und keine Beiträge zahlen brauchen. Man konnte anfangs auch Mitglied einer konkurrierenden Partei bleiben. En Marche habe ich hier nur als Vergleich für eine schnell zusammengezimmerte Bewegung benutzt.

Denn in der Ukraine sind politische Verhältnisse noch fragiler, als in Frankreich. Die Parteien bestehen meistens nur aus Kadern der bestallten Berufspolitiker, die zudem dazu neigen, die Partei zu wechseln, wenn der Wind sich dreht. Die politische Überzeugung wird durch den banalen Brotwerwerb und den Drang zur persönlichen Bereicherung bestimmt.

Wer sich die geringe Halbwertszeit von ukrainischen Parteien anschauen will, kann einen Blick in das Archiv von Wolfram Nordsieck werfen, der die Seite Parties and Elections in Europe betreibt. Lediglich die Partei von Frau Timoschenko (die mit dem Zopf) hat eine längere Historie.

Wer in Deutschland schon mal bei einer Parteigründung dabei war, hat erlebt, wie sich gerade zu Anfang Glücksritter, gescheiterte Unternehmer und Politikstudenten finden, die primär einen Job wollen. In der Ukraine fehlt den Parteien die Mitgliedschaft, die bei Parteien ohne Delegiertensystem ein Korrektiv sein kann und die Zielverfolgung bei der Führung immer wieder anmahnt.

Selenskis Parteikader wurden von Findungskommissionen ausgewählt, teilweise mußten sie Gesetztesentwürfe als Prüfungsarbeit schreiben. Überwiegend sind es politische Newcomer aus dem intellekuellen Bereich. Das wird die Stabilität der Regierungspartei nur bedingt fördern.

Einerseits lauert immer das Gespenst der materiellen Motive der Abgeordneten und Kandidaten, latent ist die Gefahr die ursprünglichen Ziele – hier die Korruptionsbekämpfung – aus den Augen zu verlieren. Andererseits sind es oft aber gerade die Diäten, die Parteien zusammenhalten. Und jeder, der schon mal einen Großstadtverband einer beliebigen politischen Partei erlebt hat, weiß, daß es zu Hahnenkämpfen zwischen intellektuellen Reißbrettpolitikern kommt.  Zu viele Intellektuelle, das ist der Tod der innerparteilichen Solidarität und Ordnung.

Bei Murphy heißt es: Was gut anfängt, endet schlecht. Was schlecht anfängt, endet katastrophal. Ich wünsche Selenski angesichts dieser Perspektiven das Beste.