In guten Zeiten ist noch nie reformiert worden

Daniel Stelter hatte am 24. September einen Eintrag im Handelsblatt „Das schwere Erbe der Ära Merkel“ untergebracht. Unter anderem schrieb er:

„Reformen sind leichter durchzusetzen, wenn es den Bürgern gut geht und ungleich schwerer, wenn es ihnen schlecht geht. Politiker haben die Wahl: Sie können schwierigen Reformherausforderungen auszuweichen und sie können Reformen, die auf starken Widerstand stoßen, verschieben oder aufgeben. Aber jegliche Entscheidung hat ihren Preis.

Angela Merkel hat sich für den Weg des geringsten Widerstands entschieden. Der Preis, den wir alle dafür bezahlen müssen, wird hoch sein. Statt die guten Jahre zu nutzen, wurde in den letzten vier Legislaturperioden verwaltet und verteilt. Im Reform-Ranking der OECD nehmen wir einen der hintersten Plätze ein. Der Rückstand bei Digitalisierung und Bildung ist genauso offensichtlich wie der Investitionsstau bei der Infrastruktur. Die Staatsverschuldung ist – sauber gerechnet – massiv gestiegen: Mütterrente, Rente mit 63, Grundrente und explodierende Pensionslasten haben die verdeckte Staatsschuld auf weit über 100 Prozent des BIP erhöht.

(…) Realistisch ist die Rückkehr zu guten Zeiten nicht. Die Industrie sucht die Zukunft im Ausland. So sank der Anteil der Industrie an der hiesigen Wertschöpfung von 2016 von 23 auf 21,5 Prozent 2019. Angesichts der immer schlechteren Rahmenbedingungen – Bürokratie, Steuern, Energiekosten, Infrastruktur – keine Überraschung. Der demografische Wandel setzt in diesem Jahrzehnt mit voller Wucht ein und trifft uns doppelt: Weniger Erwerbstätige bedeuten weniger Wachstum und mehr Rentner bedeuten explodierende Kosten. Die Produktivitätszuwächse, die einzige Hoffnung trotz rückläufiger Erwerbsbevölkerung den Wohlstand zu erhalten, stagnieren. Die Klimapolitik, gerne als Basis für ein neues Wirtschaftswunder verkauft, dürfte in diesem Umfeld die Preise treiben und wichtige Investitionen erschweren oder verhindern.“

Daniel Steler ist ein Topökonom. Aber Wirtschaftsgeschichte scheint für ihn auf der dunklen Seite des Mondes zu liegen. In guten Zeiten ist nämlich noch nie reformiert worden. Die bedeutsamen deutschen Wirtschaftsreformen begannen immer in der Stunde der Not oder nach Kriegen. Die Steinschen Reformen nach der Niederlage Preußens gegen Napoleon. Die Gewerbefreiheit wurde nach dem Deutsch-Französischen Krieg durchgesetzt, die Erhardschen Reformen nach dem Zweiten Weltkrieg und die Schröderschen Reformen nach einer Periode anhaltender Langzeitarbeitslosigkeit.

Wenn man dagegen die Boomperioden der deutschen Wirtschaft betrachtet: Da wurden die Fundamente des Wohlstands immer ruiniert. Das wurde schon im Klassizismus am Ende des 18. Jahrhunderts so praktiziert. Die Aufhebung der Leibeigenschaft und Gewerbefreiheit waren zwar stellenweise Reformprojekte, sie wurden jedoch im Schneckentempo angegangen, in vielen Reichsständen gar nicht. Das war im Spätkaiserreich so, als man schrittweise zur Planwirtschaft überging, das war in der Bundesrepublik seit den späten 50ern der Fall (Adenauers Rentenreform war der erste kleine Sündenfall) und das war natürlich auch während der Merkelherrschaft so, als Leistungen für freche Rundfunkintendanten, gut vernetzte Pharmaunternehmen, unflugfähige Ausländer und gierige Windbarone immer stärker hochgefahren wurden, so daß sie in keinem Verhältnis mehr zu den Einnahmen stehen.

Stelter: „Je schneller die neue Regierung erkennt, dass die Zeiten der Verteilung von Wohlstand vorbei sind, desto besser für uns alle. Leider steht zu befürchten, dass es erst noch schlimmer wird.“

 

Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „Jede große Reform hat nicht darin bestanden, etwas Neues zu tun, sondern etwas Altes abzuschaffen. Die wertvollsten Gesetze sind die Abschaffungen früherer Gesetze gewesen, und die besten Gesetze, die gegeben worden sind, waren die, welche alte Gesetze aufhoben.“ (Henry Thomas Buckle, 1821 – 1862, englischer Historiker)