Wie schlechte Verfassungen endeten

Schon zu meinen Lebzeiten wurden massenhaft ungünstige Verfassungen geschrottet, aber auch unsere Eltern und Großeltern erlebten den Wandel.

Selbst bin ich Profiteur von zwei neuen Verfassungen. Die eine wurde am 6. April 1968 per Volksentscheid beschlossen. Schon der erste Artikel galt der rechtlichen Absicherung des staatlichen Führungsanspruches der SED, indem von der Verwirklichung des Sozialismus durch die „Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei“ die Rede war. Es bestanden wie im jetzigen Grundgesetz solche Fakeartikel wie etwa zur Pressefreiheit, die Rechtsstaatlichkeit vorgaben, wo sie schon damals nicht gewährt war.

Am späten Abend des 5. April 1968 machten sich Gerhard K. und Christian F. aus meiner Klasse für einen Einbruch bereit. Sie maskierten sich und zogen eine Art Abaya über. Im Schutz der Dunkelheit brachen sie in der Jenaer Straße in Weimar in den Keller der Gaststätte „Waldschlößchen“ ein, um Zigaretten und Alkohol zu erbeuten. Sie schalteten das Licht ein, was zu ihrem Verhängnis wurde. Denn die Partei- und Staatsführung hatte alle Kräfte mobilisiert, um in der Nacht vor der Abstimmung das zu gewährleisten, was sie unter Ordnung verstand. Das Licht wurde entdeckt, es wurde das Überfallkommando herangezogen und beim Fluchtversuch wurde Gerhard K. durch die Hand geschossen. Anschließend wurde ein Polizeifoto von beiden gemacht, welches ich später durch die Larifari-Umstände im Arbeiter- und Bauernstaat in meinen Besitz bringen konnte. Im Ergebnis wurden die beiden Räuber nicht für die Erweiterte Oberschule nominiert und ich rückte nach. Ohne die Scheiß-Verfassung wäre mein Leben ganz anders verlaufen, vermutlich ungünstiger.

Diese für mich fruchtbringende Verfassung kollabierte bereits im Spätherbst 1989 und wurde ein Jahr später durch das Grundgesetz ersetzt. Auch dieses Grundgesetz war für mich wieder von Vorteil, weil ich vorgehabt hatte, mich selbständig zu machen und das im neuen rechtlichen Rahmen möglich war. In ganz Osteuropa überlebte nicht eine einzige Rechtsordnung.

Das Ende der Verfassung von 1949 hatte weitere positive Auswirkungen. In der 49er Verfassung war von der Deutsche Einheit die Rede gewesen. Johannes R. Becher hatte immer Scheiß-Gedichte gemacht: 1940 hatte er das feste Band zwischen Kreml und Reichskanzlei dichterisch mit der Akelei zusammengeschnürt, 1949 hatte er eingedenk der finsteren Pläne von Väterchen Stalin von „Deutschland einig Vaterland“ schwadroniert. Wir mußten den Scheiß trotz Stacheldraht an der Zonengrenze bei jedem zweiten Fahnenappell als Nationalhymne zwecks unserer eigenen Verarschung singen. Ab dem Mai 1968 entfiel das. Als die Nationalhymne gespielt wurde, legte der Schuldirex Volland den Zeigefinger vor seinen Mund, was bedeutete, von den fatalen Zuständen endlich zu schweigen.

Meine Großmutter erlebte nach der Kapitulation 1918 das Ende der Reichsverfassung, 1934 und 1949 wurden die nächsten Wische in Kraft gesetzt. Mein Vater überlebte in 92 Jahren insgesamt fünf Verfassungen, woraus man eindeutig erkennen kann, daß es sich um billige Ramschware mit geringer Halbwertszeit handelt. „Papier ist deduldig“, sagte meine „Oma gegen Links“.

Wir sollten uns heute nicht aufregen: Je blöder eine Verfassung, desto schneller wird sie geschrottet.

Grüße an den Inlandsgeheimdienst:

Schau alle Wirkenskraft und Samen,
Und tu nicht mehr in Worten kramen.

(Geh. Rath v. Goethe)