Das Goldene Kalb als stalinistische Propaganda
Kürzlich hatte Boris Reitschuster einen sowjetischen Satireroman in hohen Tönen gelobt: Das Goldene Kalb von Ilja Ilf und Jewgeni Petrow. Es handelt sich in den ersten beiden Teilen um eine gut lesbare, manchmal köstlich phantasievolle Gaunergeschichte, im dritten Teil leider um eine Suade über den sozialistischen Aufbau.
Natürlich fragt sich der Leser: Warum konnte das 1931 gedruckt werden und weshalb sind die Autoren eines natürlichen Todes gestorben? Hier verlohnt sich ein Blick in die russische Industriegeschichte, um das Buch einordnen zu können, seinen Sinn zu erkennen.
Bereits im zaristischen Rußland war der Staatssektor in der Montan- und Schwerindustrie sowie im Bergbau bestimmend. Im Weltkrieg wurde die Wirtschaft – wie in allen anderen kriegführenden Staaten auch – in eine Kriegswirtschaft überführt Das heißt die Planwirtschaft griff sich alle relevanten Bereiche.
So wie in Deutschland auch, wurden die planwirtschaftlichen Elemente im Frieden nicht rückabgewickelt, sondern beibehalten, und in Rußland noch verstärkt. Der Marxismus-Leninismus lieferte der traditionellen Staatswirtschaft ein modernes fortschrittlich scheinendes Mäntelchen. Lenin erkannte, daß man mit Staatswirtschaft allein nicht aus der Krise kam, und genehmigte eine Rückkehr zur Koexistenz von Plan- und Privatwirtschaft unter dem Namen „Neue ökonomische Politik“ (NÖP). Nach seinem Tod kam es 1924 bis 1928 zur sogenannten Industrialisierungsdebatte. Darüber gibt es ein aufschlußreiches Buch von Alexander Erlich.
1925 kam Stalin an die Hebel der Macht. Am 4. Februar 1931 hielt er, nachdem die Würfel zur Vernichtung aller marktwirtschaftlichen Relikte gefallen waren, auf der ersten Unionskonferenz der Funktionäre der „sozialistischen“ Industrie folgende Rede: „Das Wort des Bolschewiks ist ein ernstes Wort. Die Bolschewiki sind es gewohnt, gegebene Versprechen zu halten. Was aber heißt die Verpflichtung, die Kontrollziffern für das Jahr 1931 zu erfüllen? Das heißt, einen durchschnittlichen Zuwachs der Industrieproduktion in Höhe von 45 Prozent sicherzustellen. Das aber ist eine sehr große Aufgabe. Mehr noch. Eine solche Verpflichtung bedeutete, daß ihr nicht nur das Versprechen gebt, unseren Fünfjahresplan in vier Jahren zu erfüllen – das ist eine bereits beschlossenen Sache, und hierzu bedarf es keiner Resolutionen mehr –, das heißt, daß ihr das Versprechen gebt, ihn in den grundlegenden, den ausschlaggebenden Industriezweigen in drei Jahren zu erfüllen.“
Das Konzept war, die private Landwirtschaft zu vernichten, im Zuge dessen Millionen von Kleinbauern in die Industrie umzutopfen. Und den zarten Pflänzchen der privaten Industrie den Garaus zu machen. Millionen Tonnen Getreide wurden in den Westen exportiert um Investitionsgüter für die Industrieprojekte zu bezahlen. Folge war 1931 bis 1934 eine Hungersnot von alttestamentarischen Ausmaßen. Aber beim Aufbau der Schwerindustrie gelang vieles, wenn auch mit großem Verschleiß von Menschen.
Die Autoren des Goldenen Kalbs nahmen für Stalins Konzept Stellung, indem sie die Betriebe und das kapitalistische Wirtschaften der NÖP-Periode gnadenlos durch den Kakao des Gaunertums zogen. Nur ein Beispiel: Auf einer Kraftwerksbaustelle erscheint ein Unternehmer, der den Vorschlag unterbreitet, das Geld für den Bau durch den Verkauf von Postkarten des Vorhabens zu finanzieren. Gesagt getan, das Geld für das Kraftwerk wurde in eine Druckerei und einen Vertrieb investiert, das Konzept funktionierte auch, jeder im Land kannte das Kraftwerksprojekt, nur der Umstand, daß kein Kraftwerk errichtet wurde, flog irgendwann auf. Als eine staatliche Kommission anreiste, zu prüfen was auf den Webstühlen des Fortschritts schon passiert sei, flüchtete der Postkartenexperte.
Nun mag der eine odern andere Kritiker einwenden, daß es solche kapitalistische Gaunerei ja wirklich gäbe: Der Flop des Batteriewerks des Eskapisten HBCK in Heide wäre hierfür ein Exempel. Das mag sein. Insbesondere der Fördergeldschwindel ist so ein Bimdegleid zwischen sterbendem Kapitalismus und wucherndem Sozialismus.
Satire im Sozialismus: Da fällt mir immer der Eulenspiegel in der Russenzeit ein, der eigentlich ein Zerrspeigel war, welcher wie der des Taufels die Eigenschaft besaß, daß alles Gute und Schöne, was sich darin spiegelte, fast zu Nichts zusammenschwand, aber das, was nichts taugte und sich schlecht ausnahm, das trat hervor und wurde noch ärger. Die herrlichsten Landschaften sahen wie gekochter Spinat darin aus. So auch Ilf und Petrow, die das Gute durch den Kakao zogen und den kläglichen Rest durch „konstruktive Kritik“ retten wollten, wie es damals obligat war.
Ilf starb 1937 an Tuberkulose, Petrow 1942 bei einem Flugzeugabsturz. Unter den damaligen Umständen: Glück gehabt!.
Grüße an den Inlandsgeheimdienst:
Tags umsonst die Knechte lärmten,
Hack‘ und Schaufel, Schlag um Schlag;
Wo die Flämmchen nächtig schwärmten,
Stand ein Damm den andern Tag.
Menschenopfer mußten bluten,
Nachts erscholl des Jammers Qual;
(Geh. Rath v. Goethe)