Zurück zur Normalität

Norbert Bolz verspricht uns im Titel eine Handlungsanleitung den Wokismus zu beenden und zur Normalität zurückzukehren. Dazu gehört freilich etwas Analyse bevor man zu den Rezepten übergeht, d.h. Vorschläge unterbreitet, die Lage zu bessern.

Diesen Spannungsbogen vermisse ich etwas. Immer wieder wurde ich mit Analyse, Zitaten von schlauen Philosophen und Definitionen konfrontiert, ohne daß daraus adäquat Handlungsempfehlungen abgeleitet wurden.

Sicher Bolzens Bemerkungen über die Kraft der Tradition sind köstlich, das ist auch mein Lieblingsgedanke, daß es verinnerlichte Maximen gibt, die uns leiten, und die auch ideologisierte Angriffe überstehen. Das hätte mit ein paar Beispielen illustriert werden können, z.B. die langen Kolonialherrschaften in Ost- und Südosteuropa wie auch in Afrika, die zumindest was die Seelen betrifft, recht folgenlos waren.

Besonders das Kapitel „Die gut informierte Weltfremdheit“ hat mich enttäuscht. Es ist unter anderem eine Jameriade über das Zwangsfernsehen, insbesondere die Stuhlkreise, Die haben gemessen an Zuschauerzahlen schon lang nicht mehr die Relevanz, die ihnen von der Opposition zugemessen wird. Bei Tichy per esempio muß immer jemand – wahrscheinlich mit Ekelzulage – die Talkshows beobachten und besprechen. Also Jungs. so geht es nicht, die Zeit ist drüber weg. Es gibt inzwischen soviel Erbauliches, daß man die wirren Zuckungen des sterbenden Systems auch mal ignorieren kann.

Was Norbert Bolz eben fehlt: Die Innenansicht der Zone zwischen 1974 und 1989. Auch damals dachte die Berliner Blase, daß sie unabhängig vom Willen der Großmächte schalten und walten könne. Das wiederholt sich grad wieder. Merz – ein Größenwahnsinniger wie Honecker – stellt sich den Großmächten in den Weg, verweigert wie Kurt Hager den Tapetenwechsel und steuert wie sein Vorbild auf den Staatsbankrott und den Streik der Leistungswilliigen zu.

Natürlich hat jeder Vergleich seine Grenzen. Die Zone war in den letzten Jahren etwas weniger repressiv, während die Nationale Front 2.0 sich immer mehr aufziegelt. Während das Volk zunehmend zweifelt, radikalisieren sich Klingbeil und Merz immer schneller.

Bolzens Buch ist lesenswert, aber ein Knaller ist es nicht. Für mich war es ein Nachholen der Geschichte der Philosophie, denn mehr als Karl Marx und Lenin gabs im Osten ja nicht. Was mir wie gesagt fehlt, ist der Rückgriff auf historische Exempel und der Spannungsbogen von der Analyse zum Schlachtplan.

Am Ende einiger Kapitel gibt es kurze Hinweise auf die neue Zeit, aber die wirken auf mich wie pflichtschuldigst drangefrickelt.

Sorry, Norbert Bolz, ich bin eben Ingenieur, darin bin ich gefangen.

Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „Vollkommenheit ist die Norm des Himmels.“ (Geh. Rath v. Goethe)