Die Annäherung von Geschäftsführung und Arbeiterklasse
Heinrich Mann war in seinem Leben ein wendiger Filou. In seinem Roman „Der Untertan“ skizzierte er die Annäherung zwischen der damaligen Nationalen Front und der Arbeiterklasse. Der Unternehmer Heßling war grad voll ideologisiert aus einer verluderten Uni der Reichhauptstadt entschlüpft und übernahm in Netzig den Betrieb seines Vaters:
Er sah herausfordernd umher.
»Deutsche Zucht und Sitte verlang ich hier. Verstanden?« Da traf er den Maschinenmeister. »Und ich werde sie durchführen, auch wenn Sie da ein Gesicht schneiden!« schrie er.
»Ich habe kein Gesicht geschnitten«, sagte der Mann ruhig. Aber Diederich war nicht länger zu halten. Endlich konnte er ihm etwas nachweisen!
»Ihr Benehmen ist mir schon längst verdächtig! Sie tun Ihren Dienst nicht, sonst hätte ich die beiden Leute nicht abgefaßt.«
»Ich bin kein Aufpasser«, warf der Mann dazwischen.
»Sie sind ein widersetzlicher Bursche, der die ihm unterstellten Leute an Zuchtlosigkeit gewöhnt. Sie arbeiten für den Umsturz! Wie heißen Sie überhaupt?«
»Napoleon Fischer«, sagte der Mann. Diederich stockte.
»Nap – Auch das noch! Sie sind Sozialdemokrat?«
»Jawohl.«
»Dachte ich mir. Sie sind entlassen.«
Das hatte sich Heßling allerdings noch anders überlegt. So angespannt war das Verhältnis, schon vor über hundert Jahren gab es eine Brandmauer zwischen der woken Gesellschaft und dem Plebs. Sie bröckelte aber. Bald wurde eine Maschine angeliefert:
Übrigens traf die Maschine pünktlich ein. Sie war noch nicht ausgepackt, und schon wetterte Diederich. »Er ist zu groß! Die Leute haben mir garantiert, daß er kleiner sein soll als das alte System. Wozu kaufe ich ihn denn, wenn ich nicht mal Raum sparen soll!« Und er ging, sobald der Holländer aufgestellt war, mit dem Metermaß um ihn herum. »Er ist zu groß! Ich laß mich nicht beschwindeln! Bezeugen Sie mir, Sötbier, daß er zu groß ist!« Aber Sötbier klärte mit unbeirrbarer Rechtlichkeit den Fehler in Diederichs Messungen auf. Schnaufend zog Diederich sich zurück, um einen neuen Angriffsplan zu ersinnen. Er rief Napoleon Fischer herbei. »Wo ist denn der Monteur? Haben uns die Leute keinen Monteur mitgeschickt?« Und dann entrüstete er sich. »Ich habe ihn doch bestellt!« log er. »Die Leute scheinen ihr Geschäft zu verstehen. Ich werde mich nicht wundern, wenn ich für den Kerl täglich zwölf Mark bezahlen muß, und er glänzt durch Abwesenheit. Wer stellt mir das Unglücksding da nun auf?«
Der Maschinenmeister behauptete, er verstehe sich darauf. Diederich bewies ihm plötzlich großes Wohlwollen. »Sie können sich denken: Ihnen zahl ich lieber die Überstunden, als daß ich mein Geld für den fremden Menschen hinauswerfe. Schließlich sind Sie ein alter Mitarbeiter.« Napoleon Fischer zog die Brauen hinauf, sagte aber nichts. Diederich berührte seine Schulter. »Sehen Sie mal, lieber Freund«, sagte er halblaut, »ich bin von dem Holländer nämlich enttäuscht. Auf den Bildern im Prospekt sah er anders aus. Die Messerwalze sollte doch viel breiter sein, wo bleibt da die größere Leistungsfähigkeit, die die Leute uns versprochen haben. Was meinen Sie? Halten Sie den Zug für gut? Ich fürchte, der Stoff bleibt liegen.« Napoleon Fischer sah Diederich an, prüfend, aber schon mit Verständnis. Man müsse es ausprobieren, meinte er zögernd. Diederich vermied seinen Blick, er tat, als untersuchte er die Maschine. Dabei sagte er aufmunternd: »Also schön. Sie stellen das Ding auf, ich zahle Ihnen die Überstunden mit fünfundzwanzig Prozent Aufschlag, und dann tragen Sie in Gottes Namen gleich Stoff ein. Wir werden die Bescherung ja sehen.«
»Es wird wohl ’ne nette Bescherung sein«, sagte der Maschinenmeister mit sichtlichem Entgegenkommen. Diederich griff, ehe er es selbst wußte, nach seinem Arm, Napoleon Fischer war ein Freund, ein Retter! »Kommen Sie mal mit, mein Lieber« – seine Stimme war bewegt. Er führte Napoleon Fischer in das Wohnhaus, Frau Heßling mußte ihm ein Glas Wein einschenken, und Diederich drückte ihm, ohne hinzusehen, fünfzig Mark in die Hand. »Ich verlaß mich auf Sie, Fischer«, sagte er. »Wenn ich Sie nicht hätte, würde die Fabrik mich womöglich hineinlegen. Zweitausend Mark hab ich den Leuten schon in den Rachen geworfen.«
Das Verhältnis zum Maschinenmeister wurde immer enger.
Er sagte sich, daß das gesunde Empfinden des arbeitenden Volkes unter Umständen ein Faktor sei, den man billigen und sogar benutzen könne. Bis zum Mittagessen ging er um Napoleon Fischer herum: da, es läutete schon, entstand bei der Satiniermaschine ein gellendes Geschrei, und Diederich und der Maschinenmeister, die gleichzeitig hinstürzten, zogen gemeinsam den Arm einer jungen Arbeiterin heraus, der von einer Stahlwalze ergriffen worden war.
Soweit die Annäherungsgeschichte von Rot und Schwarz vor über hundert Jahren. Derweilen sind die Arbeiter nicht mehr rot, sondern blau. Don Alphonso schrieb dazu in der WELT:
Aber mit der zunehmenden Verkrustung durch eine gierige Einheitspartei wird der ein oder andere Arbeitgeber nachdenklich. Er wird, so kann man es verkaufen, seiner Verpflichtung für Ausgleich und Realpolitik gerecht, was ganz einfach ist, wenn der Toni vom Ersatzteillager gleichzeitig Fraktionsvize der Schwefelblauen im Gemeinderat wurde. Weil nun auch das Private der Altersvorsorge politisch abschöpfbar gemacht wird, erschafft man in Berlin auch so etwas wie gemeinsame Interessen in der Sozialpartnerschaft. Die Arbeiter wählen ohnehin blau, und den Arbeitgebern wurde gerade gesagt, dass man sie bekämpfen wird: Da ist es nur legitim, wenn (…) ohne Rücksicht auf Parteizugehörigkeit Gemeinsamkeiten in Sachfragen ausgelotet werden. Natürlich hätte man lieber die Junge Gruppe mit den schneidigen Schwarzhabeck Johannes Winkel als Sieger gesehen. Es kam anders. Also wird man so tun, als würde man sich die Nase zuhalten und schauen, wie weit die AfD hier formbar ist. So still wie möglich, weil man keinen Ärger möchte.
Es gibt antropologische Kostanten, dazu gehören das Bündnis der Schaffenden gegen die widrigen Umstände und die Konvergenztheorie. Letztere ist eine wissenschaftliche Hypothese, die besagt, daß verschiedene Systeme (Wirtschaften, Gesellschaften, biologische Arten) trotz anfänglicher Unterschiede aufgrund ähnlicher äußeren Zwänge eine Annäherung und Angleichung an ähnliche Merkmale und Strukturen erfahren.
Schaun mer mal.
