Die CDU ist nur noch ein Wahlverein

Kürzlich erklärte der Politikprofessor Werner Patzelt bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung im Schloß Ettersburg beiläufig die personelle und geistige Auszehrung der beiden ehemaligen Volksparteien, ihre schwindende Verankerung im Volk.

An sich wirkt es erst mal wie ein Widerspruch: Nie hatte seine Partei, die CDU/CSU, mehr Bundestagsabgeordnete, mehr Fraktionsmitarbeiter und mehr Wahlkreispersonal als heute. Mit 41,5 % der bei der letzten Bundestagswahl für sie abgegebenen Stimmen beherrscht die CDU/CSU mehr als 49 % des zentralen Parteibetriebs der Republik. Wenn es nach der stalinistischen Tonnenideologie ginge, also dem Kampfgewicht der Wahlkreismitarbeiter und Abgeordneten, würden die Bürger mit der kompakten Manpower erfolgreich von der Politik der Unionsparteien überzeugt werden. Trotz der vielen Wahlkreisbüros ist die Verbindung zwischen der Gesellschaft und dem Parteiapparat jedoch abgerissen. Und das nicht nur bei den Christbolschewisten.

Die „Massenapparateparteien“ der siebziger und achtziger Jahre seien eine Ausnahmesituation gewesen, so Patzelt. SPD und CDU/CSU hätten je eine Million Mitglieder aus allen Schichten gehabt. Die Bundesrepublik sei damals politisiert gewesen. Diese vergangene Periode sei für den tradierten Parteibetrieb jedoch nicht typisch gewesen.

Die Regel sei die Partei als Wahlverein. Historisch seien die Parteien im 19. Jahrhundert als solche entstanden. In Amerika waren Demokraten und Republikaner nie etwas anderes. Die CDU der Adenauer-Zeit sei ein Wahlverein gewesen und die Merkel-CDU sei es wieder zunehmend.

Den abgerissenen Kommunikationsfaden zwischen dem Volk und den Parteien und das geringe fachliche Niveau von Abgeordneten erklärte der Professor mit der zunehmenden Mobilität der Gesellschaft.  Qualifizierte wechseln oft den Wohnort und sind auch über internationale Grenzen sehr mobil. Wenn sie den Wunsch haben, sich irgendwo politisch einzubringen, stoßen sie vor Ort auf einen verkrusteten Apparat von ansässigen klebengeliebenen Parteimitgliedern. Diese sind untereinander vernetzt und kennen sich seit Jugendzeiten. Sie haben Plakate gehängt, Zettel (im Neusprech der Parteien: Flyer) geworfen und sind bei den Canvessingständen herumgeständert.

„Das Mobilitätsprinzip konkurriert mit dem Territorialprinzip“, so der Professor. Die gering qualifizierten ortsfesten Kandidaten für Partei- und Parlamentsämter würden sich in der Regel gegen hochqualifizierte Überflieger von außen durchsetzen. Sie seien bei Kandidaturen „dran“, weil sie in der Vergangenheit viel für die Partei getan hätten, so die gängige Argumentation. Natürlich auch alles eine Folge der begehrten materiellen Rundumversorgung der Parlamentarier. Der Anreiz in die Politik zu wechseln sei für ansonsten Erfolglose sehr groß.

Der thüringische CDU-Vorsitzende Mike Mohring widersprach dem Professor, indem er behauptete, daß ein erfolgreicher Kinderarzt mit Mitte 40 in der Regel gar kein Interesse aufbringen würde, aus dem überschaubaren Privatleben in den stressigen Politikbetrieb zu wechseln. Nun, der Kinderarzt war vielleicht ein schlechtes Beispiel. Sein Stellvertreter im Kreistag ist Dr. Brändel, von Beruf Kinderarzt. Erfolgreiche Unternehmer hat Mohring allerdings schon reihenweise aus den CDU-Gremien geekelt oder sie auf Armlänge ferngehalten.

Mohring mußte als junger Mann einmal eine derbe Niederlage einstecken. In seiner politischen Biografie gab es 1998 ein frustrierendes Erlebnis mit einer von der Bundesspitze durchgedrückten Konkurrentin. Vera Lengsfeld war von den Grünen zur CDU übergetreten und Helmut Kohl mit seinem Hang zur Symbolpolitik wollte unbedingt eine Bürgerrechtlerin aus den Neuen Ländern im Bundestagswahlkampf propagandistisch verwerten. Da sie zwar in Berlin lebte, gebürtig jedoch aus Sondershausen war, schlug Kohl sie als Direktkandidatin im Wahlkreis 191 (eine nahrhafte Gegend zwischen Sondershausen und Apolda) vor, wo auch Mohring seinen Wohnsitz hat. Es wurde eine Kampfkandidatur, bei der Mohring als örtlicher Platzhirsch unterlag. Aber solche Siege von zugereisten Kandidaten sind selten und kommen nur auf starken Druck von oben zustande.

Professor Patzelt beklagte ansonsten das erschreckend geringe Niveau der Kenntnis der Politiker vom Berufsleben der Bevölkerung. Zu viele würden direkt von der Schulbank auf die Parlamentsbank wechseln, ohne einen einzigen Tag gearbeitet zu haben. Bei Mohring war das übrigens auch der Fall.

Professor Patzelt kann man trösten. Für die mit ahnungslosen Berufspolitikern vollgemüllten Parlamente gibt es einen Hoffnungsstreif. Ich habe mal recherchiert, was die Mitglieder des thüringischen Landesvorstands der AfD für Berufe haben:  Zwei Chemiker. eine Agraringenieurin, eine Fahrschullehrerin, ein Bauingenieur, ein Meß- und Regelprofessor, ein Lehrer, ein Zollbeamter und ein Rechtsanwalt. Von den AfD-Parlamentariern in Thüringen haben auch alle schon mal gearbeitet: Ein Lehrer, drei Rechtsanwälte, ein Versicherungsmakler, eine Zahnärztin, ein Küchenmeister, ein Polier. Es ist vielleicht ein Rechtsanwalt zuviel. Aber Politik-, Kommunikations- und Kulturwissenschaftler sowie ewige Studenten konnten sich noch nicht einschleichen. Mit einem hohen Wahlergebnis für die AfD würde sich die Zusammensetzung des Bundestags 2017 gewaltig ändern. Die von den Altparteien weggemobbten Arbeiter, Selbständigen und Gewerbetreibenden bekämen wieder eine Stimme.