Selbstzerstörung durch Überdehnung

Im Mai 2018 fand auf Initiative von Bulgarien in Sofia ein West-Balkan-Gipfel der EU statt. Nach 15 Jahren – damals hatte man im griechischen Thessaloniki allen Bewerbern vom Balkan den EU-Beitritt versprochen – beschäftigte man sich erstmals wieder konzentriert mit dem Thema. Es geht um den Beitritt von Serbien, Albanien, Bosnien-Herzegowina, dem Kosovo, Mazedonien und Montenegro zur EU.

Die EU-Kommissare wollen verhindern, daß Rußland, die Türkei und andere Staaten auf dem Balkan stärker fußfassen, daß ihr Einfluß begrenzt bleibt. Außerdem ist der Balkan natürlich ein Pulverfaß, auf dem jederzeit neue und alte Konflikte eskalieren können. Zu den Zankthemen gehören unter anderem:

– der Grenzstreit zwischen Kroatien und Slowenien wegen eines verlegten Flußlaufes und Fischereirechten

– der Dauerkonflikt zwischen orthodoxen und moslemischen Völkern in Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro, dem Kosovo, Bulgarien und Mazedonien

– die Autonomiebestrebungen der Ungarn in Rumänien, der Slowakei und Serbien

– der Kampf um die Vorherrschaft zwischen nördlichen und südlichen Stämmen in Albanien

– der mazedonische Namensstreit zwischen Griechenland und Mazedonien

– Grenzstreitigkeiten zwischen Griechenland und der Türkei

– Auseinandersetzungen zwischen Serben einerseits und Montenegrinern, Albanern und Bosniaken andererseits um den politischen Kurs Montenegros (Westbindung oder Anlehnung an Serbien und Rußland)

Während bis zu Dr. Merkels Grenzöffnung im Herbst 2015 Katholiken und Moslems in den Balkankriegen temporäre Bündnisse gegen Serbien und Rußland schlossen, nähern sich seitdem die überwiegend christlichen Staaten im Kampf gegen den politischen Islam vorsichtig aneinander an. Als Feind wird seither eher die Türkei angesehen. Die Beziehungen zwischen Serbien und Kroatien bzw. Ungarn haben sich verbessert.

China wird zunehmend als Verbündeter wahrgenommen. Der Ausbau des chinesischen Hafens Piräus, die Planung einer Eisenbahnlinie von dort aus nach Norden und ein spektakulärer Wirtschaftsgipfel in Budapest deuten darauf hin, daß die Balkanstaaten ein Gegengewicht gegen das islamisierte Deutschland mit seiner aufdringlichen und belehrenden Außenpolitik suchen.

Von den EU-Staatschefs stehen mittlerweile sehr viele der Aufnahme neuer EU-Mitglieder kritisch gegenüber. Allerdings aus sehr unterschiedlichen Gründen. Spanien, Rumänien und die Slowakei fürchten sich vor den Präzedenzfällen Montenegro, Mazedonien und Kosovo, wo sich Völker vom Zentralstaat Serbien abgespalten haben. Was passiert, wenn das die Katalanen, Basken und Ungarn auch durchsetzen wollen?

Der Franzosenpräsident Macron will ein wachsendes Übergewicht der exkommunistischen Länder in der EU vermeiden. Bisher sind es die drei baltischen Staaten, die vier Visegradstaaten, Rumänien und Bulgarien sowie zwei exjugoslawische Republiken, also 11 von 27 Staaten, wenn man England schon mal als ausgetreten betrachtet. Nach dem Beitritt der restlichen Balkanländer wären es 17 von 33 Staaten, also die Mehrheit.

Der Osten würde die Agenda bestimmen. Es wäre für die Kommissare nicht mehr möglich aus verschiedensten Gründen mit dem Entzug von Fördermitteln zu drohen, die Islamisierung würde gestoppt werden und das wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen Ost- und Westeuropa würde thematisiert werden. Fast alle Ostländer stehen Zentralisierungstendenzen ablehnend gegenüber, weil sie mit der Dominanz der russischen, türkischen bzw. serbischen Zentralgewalt desaströse Erfahrungen gemacht haben. Mit der Erinnerung an Fremdherrschaft, Sklaverei, Mord, Totschlag, Entvölkerung und gebundener Wirtschaft verbindet sich bei den Völkern des Ostens die Erklärung für wirtschaftlichen und kulturellen Niedergang.

Die Brüsseler Kommissare glauben mit Fördergeld alle Konflikte dämpfen zu können. Ein gekaufter Frieden. In Afrika und sogar auf dem Balkan. Aber so wie das Ruhigstellen mit Euros in Dunkeldeutschland mittlerweile gescheitert ist, so wird es auch zunehmend schwerer, Osteuropa auf Linie zu halten. Es heißt zwar, daß das Geld die Welt regiert, viele politische Entscheidungen der letzten hundert Jahren wurden jedoch völlig gegen alle wirtschaftliche Vernunft getroffen, nur aus fraglichen Marotten von kaputten Machthabern und Medienmogulen. Die beiden Weltkriege, die sog. „Energiewende“, die islamische Masseneinwanderung und der Bolschewismus lassen sich mit Geldgier oder wirtschaftlichen Erwägungen nicht erklären. Es wurde ja nicht einmal der Versuch gemacht. Im Gegenteil kämpften die Pseudoeliten erklärtermaßen immer mit politischen Mitteln gegen den „Mammonismus“ und Kapitalismus. Das sogenannte Primat der Politik über die Ökonomie ist der Regelfall.

Die trivialmaterialistische fördergeldbasierte Strategie der Eurokraten beim Krisenmanagement wird auf Dauer in die Hose gehen. Kulturelle Prägungen – wozu auch die Religionen gehören – werden unterschätzt. In islamisierten Landstrichen ist jede Regung politisiert, in orthodoxen gibt es kein wirkliches Eigentum (siehe den Fall Chodorkowski oder das griechische Kataster) und damit keine bürgerliche Kultur. Einige Staatschefs ahnen das und stehen bei der Aufnahme neuer Mitglieder auf der Bremse. Andere wie Victor Orbán arbeiten zielgerichtet an der Herstellung der Dominanz des Ostens in der EU und geben richtig Gas.

Manche Großreiche expandierten kurz vor ihrem Verschwinden territorial noch einmal stark in fremde Kulturräume: das Alexanderreich, die Sowjetunion, Hitlerdeutschland, das napoleonische Kaiserreich, viele Königreiche der Völkerwanderung und die Mongolenchanate. Auch die EU bewegt sich auf diesem dümmlichen Pfad der Selbstzerstörung durch Überdehnung.

Wir werden sehen, wie die EU-Erweiterung zukünftig verläuft. Montenegro wird als nächster ernsthafter Aspirant für die Mitgliedschaft gehandelt. Vor hundert Jahren wurden dort noch Leute bei lebendigem Leib gehäutet. Einmal wurde ich bei einer Grenzkontrolle in Debeli Brijeg Zeuge, wie das Ländchen tickt: Ein Taxi kam aus Kroatien. Ihm entstieg ein zigarrenrauchender Mann mit einem an das Handgelenk angeketteten Koffer. Von den Grenzposten wurde er durchgewinkt, es war ein Bekannter. Für den Kofferinhalt interessierte sich niemand. Auf der montenegrinischen Seite wartete eine schwarze Limousine auf ihn. Eskortiert von zwei Limousinen mit Blaulicht und lautem Tatü-tata raste das Auto ins Land.

Alle weiteren Erlebnisse bei der Durchreise waren genau so obskur oder bizarr. Ein tödlicher Autounfall nach dem Durchrasen einer Polizeieskorte in Drobnici, ein Kleinwagen war von einem kleinen Kieslaster begraben worden, die Insassen tot. Der auf dem Rücken liegende Laster wurde von zwei Fußballmannschaften, die zufällig in der Nähe waren, wieder umgedreht. Betrug bei der Bezahlung der Durchreisepapiere in Sukobin, mir wurde eine Umweltplakette aufgenötigt, die der Phantasie der Grenzbeamten entsprungen war. Die in orthodoxen Staaten gut funktionierenden halbstaatlichen Plünderungssysteme arbeiten fehlerfrei. Schlafende sturzbetrunkene Straßenbauarbeiter mit Zweiliterflaschen im Arm, meine Freundin fragte mich, warum dort ein 30-Schild stand. „Damit die Bauarbeiter nicht aufwachen“, antwortete ich. Brennende Müllhalden, ein von der Armee frisch beschlagnahmter Zeltplatz bei Ulcinj, Plakate mit Frauen, die Männerköpfe mit der Sense abmähen. Die im Süden ansässigen Albaner tragen teilweise noch den roten Fes als Kopfbedeckung. In Albanien ist das undenkbar, in der Türkei wurde er 1925 per Hutgesetz verboten, in Ägypten 1953. Auch in Bulgarien darf man sich mit diesem runden Filzdeckel nicht sehen lassen. Archaische Angelkräne in Gjerana, die scheinbar mit dem Beil aus einem Stück gehauen sind.

Es wird in der EU richtig Spaß geben, wenn Montenegro beitritt, zumal es auch ein florierender Stützpunkt des internationalen steuerfreien Zigarettenvertriebs ist. Marlboro für alle!