Deutsch-französischer Austausch im Wandel der Zeit

Derzeit blockieren die französischen Sozialisten den Import schwäbischer Mercedes-Limousinen. Solche Handelskriege gehen oft richtigen Kriegen voraus. Zumindest vor 100 Jahren war das so, wie der folgende Rückblick zeigt:

In den finsteren nordischen Mooren um Worpswede, in welchen die alten Sachsen ihre Verräter ersäuft hatten, holten sich zahlreiche Maler, die später Nationalsozialisten und Stalinisten wurden, ihre Landschaftsmotive. Ferdinand Krogmann hat in seinem Aufsatz: Rilke als „Kulturheld des Jahres“ auf Rainer Maria Rilkes Buch „Worpswede“ hingewiesen, in dem er als erster die Worpsweder Künstler vorstellte: Fritz Mackensen (1866-1953), Otto Modersohn (1865-1943), Fritz Overbeck (1869-1909), Hans am Ende (1864-1918) und Heinrich Vogeler (1872-1942). Mehrfach hob Rilke die „deutsche“ und „nordische“ Tendenz der Worpsweder Kunst hervor. In der Einleitung schrieb er, er wolle von zehn Jahren „ernster, einsamer deutscher Arbeit“ berichten. Otto Modersohn ist für ihn „ein stiller, tiefer Mensch“ der „seine eigene, deutsche, nordische Welt“ hat. Heinrich Vogeler erscheint ihm als „der Meister eines stillen, deutschen Marienlebens“. Über Fritz Mackensen heißt es, die Menschen, die er gesucht und gefunden habe, seien stille, nordische Gestalten; sein Bild „Der Säugling“ gleiche einem Herbstapfel, einer „nordischen Frucht“. „Nordisch“ seien auch die Klänge, die Overbeck liebe, und „nordisch“ die Schwermut, die manchmal aufkomme, „wo Bäume und Brücken wie von den Schatten unsichtbarer Dinge verdunkelt sind“.

Weniger durch metaphysische Landschaften, als durch eine Streitschrift wurde ein anderer Worpsweder bekannt, nämlich Carl Vinnen. 1894 war Vinnen der Antreiber bei der Gründung der „Künstlervereinigung Worpswede“ gewesen. Als Landschafter war er durchaus respektabel. 1899 beispielsweise kaufte der Bremer Kunstverein sein großformatiges, fast drei mal zwei Meter großes Moor-Gemälde „Ruhe an einem Vorfrühlingstage“, das in der Kunsthalle Bremen hängt. 1911 wurde das Einvernehmen zwischen dem Bremer Kunsthallen-Direktor Pauli und dem Maler Vinnen allerdings jäh gestört. Pauli hatte eine Skizze von van Gogh für 30.000 Mark erworben, was den Neid Vinnens und anderer lokaler Größen der Pinselzunft hervorrief.

Nach einem ersten Kräftemessen zwischen Vinnen und Pauli in der Bremer Lokalpresse erschien Mitte April 1911 im Jenaer Verlag Eugen Dietrich der „Protest deutscher Künstler“. Er stand unter dem lateinischen Motto: „Quousque tandem!“, welches Cicero, seinen Reden gegen den Aufwiegler Catilina voranstellte: „Wie lange noch …?“. Bei Vinnen wurde das „quousque tandem“ zur Aufforderung, sich gegen die Übermacht französischer Kunst zu verteidigen:

„Angesichts der großen Invasion französischer Kunst, die sich seit einigen Jahren bei uns vollzieht, scheint es mir ein Gebot der Notwendigkeit zu sein, dass deutsche Künstler ihre warnende Stimme erheben.“ Deutschland werde „mit großen Massen französischer Bilder überschwemmt. Es sind durchschnittlich die Überreste, die uns gegönnt werden, nämlich das, was das Heimatland und die großen amerikanischen Börsen übriggelassen haben. Dass ab und zu noch Perlen darunter sind, soll nicht bestritten werden, aber die Menge ist doch derartig, dass es für die Überlegenheit der französischen Kunst keine genügende Beweise liefert…wie z.B. der Fall unseres neuen van Gogh zeigt, der 30.000 Mark kostete, dass im allgemeinen eine derartige Preistreibung französischer Bilder stattgefunden hat, dass hier eine Überwertung vorzuliegen scheint, die das deutsche Volk nicht auf die Dauer mitmachen sollte. (…) In den gewaltigen Kämpfen um die neue Richtung ist ein Kunstliteratentum entstanden, das aus den treuen Bundesgenossen der Künstler allmählich eine selbständige Macht geworden ist, die instinktiv mit dem Künstler um die Seele des Volkes ringt. Gleichberechtigt mit den Schaffenden dekretieren sie die Richtungen, bannen oder sprechen heilig, und wirken, bei bester Überzeugung, ganz ungemein gefährlich auf die heranwachsende Künstlerjugend. (…) Auf den Schwingen der Kunstliteratur kommt diese Bilderflut ins Land, und hier berauscht sich an ihr wieder die Literatur aufs neue; diese Begeisterung in der Presse verhilft den Händlern zu exorbitanten Preisen nun wieder, um die Bilder an deutsche Sammler loszuwerden.“

„Worin liegt der große Nachteil dieser Einführung fremder Kunst, sobald die Spekulation sich ihrer bemächtigt? Nun, vor allem in der Überschätzung fremden Wesens, das unserer eigenen, ursprünglichen Veranlagung nicht adäquat ist. Die Errungenschaften seit Monet sind der Oberfläche der Dinge gewidmet. Die Epidermis der Welt der Erscheinungen, wenn ich dies etwas kühne Bild hier brauchen darf. Aber die Eigenart unsers Volkes liegt letzten Endes auf anderm Gebiete. Vertiefung, Phantasie, Empfindung des Gemütes, man versteht mich vielleicht besser, wenn ich Namen nenne, Rethel, Menzel, Leibl, Boecklin, Marées – das scheint mir unsere Eigenart zu sein. Und wo fremde Einflüsse nicht nur verbessern, sondern von Grund aus umgestalten wollen, da liegt eine große Gefahr für unser Volkstum vor.“

„Wenn wir nun aber sehen, wie zum Beispiel neuerdings in Deutschland für flüchtige Studien van Goghs, selbst für solche, in denen ein Künstler die drei Dimensionen vermisst, Zeichnung, Farbe und Stimmung, 30- 40.000 Mark anstandslos bezahlt werden, wie nicht genug alte Atelierreste von Monet, Sisley, Pissarro und so weiter auf den deutschen Markt gebracht werden können, so muss man sagen, dass hier eine Überwertung vorzuliegen scheint, die das deutsche Volk nicht auf Dauer mitmachen sollte.“

Vinnens Streitschrift gipfelte in der Folgerung:

„Zur Höhe wird ein Volk nur gebracht durch Künstler seines Fleisches und Blutes.“

Vinnes Protest wurde von 123 Künstlern unterstützt, darunter von den späteren Kriegsfreiwilligen Max Beckmann und Hans Ende, vom späteren Vorsitzenden des „Kampfbundes für deutsche Kultur“ Fritz Mackensen, von der Stalinistin Käthe Kollwitz, vom zukünftigen Emigranten Thomas Theodor Heine, vom Brücke-Kommunarden Schmidt-Rottluf und vom Symbolisten Franz von Stuck.

Der „Protest deutscher Künstler“ forderte auch Widerspruch heraus: Der Münchner Verleger Reinhard Piper veröffentlicht eine Erwiderung. Die Federführung lag bei dem Bremer Schriftsteller und Mitgründer des Insel-Verlages, Alfred Walther Heymel. Zum Herausgeberkreis gehörten die Maler Franz Marc, August Macke und Wassilij Kandinski. Im Juli 1911 erschien der Anti-Vinnen unter dem Titel: „Im Kampf um die Kunst. Die Antwort auf den „Protest Deutscher Künstler“:

„Es gibt nur eins, womit Ihr Protest nichts zu tun hat, und das ist die Kunst, für manchen eine Frau, und für andere eine heissumworbene Geliebte. Man kann aber auch eine Markthalle daraus machen….“

kommentierte Max Pechstein die Diskussion über das liebe Geld für Ankäufe. Max Slevogt setzte sich mit der deutschen Tiefe der Anschauung auseinander:

„Das alarmierende Wort <Deutsche Kunst> macht nachdenklich. Ich fürchte, <deutsch sein> soll wieder einmal so viel heißen, wie im Leiterwagen fahren, wenn alle Welt im Auto fährt. Ich fürchte, es handelt sich um eine blasse Ängstlichkeit vor Fortschritt, vor Freierem. Angst der russischen Bärte vor der Kulturschere. Angst um Güter, die wir noch garnicht besitzen!“

Der Herausgeber Heymel verfasste das Schlusswort und verhedderte sich in der modischen Rassenlehre.

„Waren die drei großen einsamen Niederländer Breughel und Rembrandt und neuerdings van Gogh, etwa keine Deutschen? Gibt es in der Malerei und in der Kunst überhaupt Landkartengrenzen? Ist nicht das Ausschlaggebende das Rassen-Empfinden? (…) Wer von Talent kann heute noch in Europa von sich sagen, ich bin Germane, ich bin Romane, ich dies, ich das.“

Spiegelbildlich wiederholte sich der ganze Vorgang in Frankreich: Der Ausländer Picasso wurde als Verführer der französischen Künstlerjugend angefeindet. Der mit allen geschäftsfördernden Wassern gewaschene Picasso wusste seinen Wert als Maler raffiniert zu steigern; so wie Bob Dylan nie in einer Hitparade platziert war und im Radio so gut wie nicht gespielt wurde, um dagegen die metaphysische akustische Kulisse von revolutionären Untergrundversammlungen abzugeben, so mied Picasso die Galerien und Kunstausstellungen. Sein gerissener Galerist Kahnweiler zeigte ausgewählten Kunstfreunden in verschwörerischer Manier die Werke Picassos in Fotoalben; es handelte sich um Bückware aus der untersten Schublade des Ladentischs.

Um die Jahrhundertwende formierten sich auch in Frankreich jene, welche einen besonderen lateinischen oder französischen Volkscharakter als treibende Kraft der Kunst ausmachten.

„Vauxelles und die gesamte Kunstkritik beschäftigte die Frage, ob diese neue Richtung des Kubismus französisch sei oder ein aus dem Ausland eingeschleustes trojanisches Pferd (…) Aber sofort wird der Ausländer Picasso als Drahtzieher ausgemacht, der die junge Generation verführt und verblendet.“

Unter Bezugnahme auf eine Ausstellung von Kubisten protestierte Jules-Louis Breton in der Deputiertenkammer:

„Es darf in der Tat nicht zugelassen werden, dass unsere öffentlichen Gebäude derartigen antikünstlerischen und antinationalen Manifestationen dienen.“

Selbst in Kubistenkreisen sublimierte man den kleinen Unterschied:  Braque ließ wissen: „Picasso ist Spanier, ich bin Franzose; wir wissen um alle damit verbundenen Unterschiede.“

Zu einem Eklat kam es bei einer Versteigerung moderner Kunstwerke am 2. März 1914 in Paris: Bonnard erzielte 720 Fr., van Gogh 4.200, Fr. Matisse 5.000 Fr. und Gauguin 4.000 Fr. Picassos „Famille de Santimbanques“ erzielte 11.500 Fr., die durch den Münchner Kunsthändler Thannhäuser geboten wurden. Rufe wie „Das ist das Ende der Kunst!“ und „Das ist Anarchie, der Krieg ist nicht mehr weit!“ hallten durch das Versteigerungsgemäuer. Der Kritiker Maurice Delcourt giftete in „Paris-Midi“:

„Die grotesken mißgestalteten Werke einiger unerwünschter Ausländer haben nun fette Preise erzielt, und wie wir seit 14 Tagen mit gutem Grund immer wieder voraussagten, waren es Deutsche, die diese Preise gezahlt, bzw. bis zu diesen Preisen hinaufgesteigert haben. Ihr Plan ist nun klar. Naive junge Maler werden ihnen unweigerlich in die Falle gehen…So gehen nach und nach Maß und Ordnung unserer völkischen Kunst verloren – zur großen Freude des Herrn Thannhäuser und seiner Landsleute…“  

Wenige Monate später bekamen die Künstler ihren Krieg. Die Ausstellungshallen beidseits der Vogesen waren ideologische Vorhöfe der Kriegshölle.