Wie Funk und Presse die Parteien lähmen

Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. So bestimmt es § 21 des Grundgesetzes.

Politische Willensbildung ist auch in den Parteien notwendig. Alte Paradigmen müssen auf den Prüfstand gestellt werden, wenn sich Randbedingungen des politischen Handelns ändern und Krisen am Horizont erscheinen.   Da sind im Moment zum Beispiel die Selbstversorgungsmentalität des politischen Apparats, die Bürokratiekrise, die demografische Krise, die Schuldenkrise und die Energiepreiskrise. Wenn eine Partei immer weiter in alten Gleisen schlafwandelt, wird sie eines Tages vom Wähler abgehakt. Es ist also Leben in den Parteien erforderlich. Es sind Auseinandersetzungen erforderlich. Es müssen auch mal Späne fliegen, wobei ich nicht für schlechtes Benehmen plädieren will.

Alte Positionen werden nicht freiwillig geräumt, weil es auch innerparteilich immer Nutznießer des Bestehenden gibt. Alte Positionen werden nur aufgegeben, wenn die Alternativen soweit ausgearbeitet sind, daß sie wirklich überzeugen. Das setzt Diskussionen voraus, die eigentlich nur noch außerhalb der Parteien stattfinden. Die Parteien sind schwerfällige von der Kommandobrücke kommandierte Schlachtschiffe .

Wie will eine Partei bei der Willensbildung mitwirken, wenn sie sich nicht fortentwickelt und auf veränderte Umstände reagiert? Soll der Parteivorsitzende Führerbefehle herausgeben und alle haben zu folgen? Das wollten die Väter des Grundgesetzes gerade nicht. Sie hatten 12 Jahre politische Gefolgschaft erlebt und hinter sich gelassen. Man hat manchmal den Eindruck, daß die Medien das wollen.

Es ist eigentlich egal, in welcher Partei welches Thema und welche Personalie debattiert wird. Jede Meinungsbildung wird von Funk- und Printmedien sofort skandalisiert und zur Schlammschlacht stilisiert.  Ich finde es normal, wenn sich Frau Künast und Frau Roth für einen (zu) gut dotierten und prestigeträchtigen Posten bewerben. Das ist definitiv keine innerparteiliche Götterdämmerung. Es ist eher verwunderlich, daß es nicht mehr als zwei Bewerber gibt.  Eine wird gewinnen. Basta!

Auch der Kampf zwischen Lindner als Eurofreund und Schäffler als Eurokritiker in der FDP ist nach so einer vermasselten Wahl normal und kein demokratisches Sakrileg.

Der Kampf zwischen Bartschisten und K-Gruppen in der Linken: Verschiedene Kulturen müssen sich zusammenraufen oder irgendwann trennen. Alles normal und kein Skandal.

Die Überraschungen in der SPD sind legendär. Lafontaines Parteitagsrede gegen Scharping, die in ARD und ZDF noch am selben Abend zum Putsch stilisiert wurde. Die Auseinandersetzung Nahles mit Münte, der Coup der Stones gegen den Pfälzer Beck – alles Lebensäußerungen einer sehr lebendigen Partei. Wozu ist ein Parteitag da? Zur Huldigung oder zur Wahl eines Parteivorsitzenden?

Selbst über die dem Führerprinzip verpflichtete NPD berichtet die Presse genüßlich, daß es scheppert, wenn sich zwei Leute um die Spitzenkandidatur für die Europawahl bewerben. SPON schreibt: „Allerdings ist Pastörs nicht der einzige NPD-Mann, der sich für die Spitzenkandidatur seiner Partei interessiert.“  Na und?

Die CDU hat abgesehen von der abtrünnigen Mittelstandsvereinigung und dem Wirtschaftsrat nicht viel Aufregendes zu bieten. Im Gegenteil wurde ein möglicher Konkurrent der Kanzlerin nach dem anderen abgeschossen und entsorgt. Die Medien lobhudeln und adeln so etwas als Geschlossenheit der Partei.

Viele innerparteiliche Diskussionen werden unter Hinweis auf die Presse und das Fernsehen abgewürgt. Eine lebhafte Diskussion würde für eine Partei kein gutes Bild machen. „Heckenschützen auf dem Parteikongress“, „Schlammschlacht in der Partei“, „Flügelkämpfe in der Fraktion“. Das sind die headlines, vor denen sich alle Parteien fürchten. Schon ein Wahlergebnis für ein innerparteiliches Amt, bei dem weniger als 90 % der Stimmen erreicht werden, wird von den Medien als Klatsche behandelt. Ich erinnere mich an die Kandidatenaufstellung für eine Landtagswahl, wo der Kreisgeschäftsführer käseweiß im Gesicht wurde, weil es zwei Gegenstimmen für den einzigen Bewerber gegeben hatte. Eine Zustimmung von 80 bis 99 % erinnert eher an den demokratischen Zentralismus des sowjetischen Politbüros.

Vor Parteitagen werden die Delegierten aufgefordert, nach der Rede des Großen Vorsitzenden aufzustehen und minutenlang zu klatschen. Tatsächlich haben die Journalisten eine Stoppuhr dabei und messen, ob es fünf oder sechs Minuten Beifall waren.  So etwas gehört nach Pjöngjang.

In jedem deutschen Parlament schielen die Abgeordneten bei ihren Reden auf die Pressebank. Den Presstituierten wird politisch korrekt zum Munde geredet. Am nächsten Tag wird die Zeitung auf loyale Wiedergabe des Gesagten geprüft. Meistens Fehlanzeige. Was war das für eine schöne Zeit, wo die Reichstagsreden der Abgeordneten noch unverändert und ungekürzt abgedruckt wurden. Das ist 100 Jahre her. Heute wird eine Bundestagsrede in der Tagesschau auf einen willkürlich rausgepickten Satz runtergedrechselt. Der Redner kann noch froh sein, wenn er mit einem aus dem Zusammenhang gerissenen Zitat überhaupt gesendet wird.

Eigentlich müßten die Medien mal die Frage stellen, welchen finsteren Konstellationen innerparteiliche Wahlergebnisse von 90 % plus zu verdanken sind. Oder sie müßten besorgt fragen, warum in irgendeiner Partei gerade keine Diskussion stattfindet.  Warum politische Totenstille herrscht.  Wie das Parteileben von oben abgewürgt wird.

Die Parlamentskuppel des Reichstags ist in Wirklichkeit eine Magdeburger Halbkugel, unter der politisches Vakuum herrscht. Dafür sind die Medien mitverantwortlich.