Stadt und Land – Hand in Hand

Solche Slogans aus den 50er Jahren kommen immer mehr aus der Mode. Kürzlich las ich einen Kommentar, in welchem über die Schmarotzer geschimpft wurde, die auf dem Land wohnen. Die Erschließung ihrer Grundstücke sei viel teurer, als in der Stadt und längere Strecken für den öffentlichen Nahverkehr würden entstehen. Alles müßten die Städter letztlich mitbezahlen. Ein anderer Blogger regte sich über die Klimabilanz auf, da die Landeier wegen jedem Einkauf ihr Auto benutzen und nicht mit dem Fahrrad fahren.

Da ist natürlich Wahres dran: Die Erschließungskosten für Straßen, Strom, Wasser und Abwasser sind tatsächlich dreimal höher, als in der Stadt. Allerdings bezahlen das die Grundstücksbesitzer zum Teil oder ganz über Beiträge selbst. Gasleitungen, Fernsehkabel und Glasfaserkabel liegen in den Dörfern nicht herum. Insofern wird gegenüber der Stadt schon wieder viel Erschließung gespart.

Auch das Argument, daß man auf dem Land mehr Kilometer zurücklegt, als in der Stadt ist richtig. Aber nur im Durchschnitt. In meinem Dorf gibt es einen Stahlbaubetrieb und die Beschäftigten kommen jeden Tag aus der Stadt dahergefahren. Am Firmensitz wohnt nur der Hausmeister. Da relativiert sich schon einiges.

Man muß den Spieß auch mal rumdrehen. Auf dem Dorf wird zu über 50 % mit Holz aus dem Nahbereich geheizt. Das verringert die Einfuhren von Steinkohle, Erdöl und Erdgas erheblich. Von Mai bis Dezember braucht man kein Obst und Gemüse aus der Kaufhalle. Auch keine Kiwis aus Neuseeland und keine Erdbeeren aus Chile. Alles Dinge, die die Handelsbilanz entlasten und unnötige Verkehre ersparen.

Jeder vierte Haushalt auf dem Dorf erzeugt Kaninchen-, Schafs-, Ziegen-, Gänse-, Enten- oder Rindfleisch. Vereinzelt auch Schwein und Honig. In meinem Schafsbestand ist der Tierarzt noch nie gewesen. Städtische Beschwerden über Tiermedizin, Anabolika und Antibiotika kennen die Tierhalter vom Dorf nur aus dem Fernsehen.

Andererseits: eine Stadt wie Berlin kann man nicht aus Nebenerwerbsbetrieben versorgen. Bei 4 Millionen Leuten auf engstem Raum, die beim Einkauf auch noch auf den Preis schauen (müssen), da gibt es keine Bauernhofromantik mit dem Hahn auf dem Misthaufen. Es fließt in den Großbetrieben, die die Städte versorgen, Gülle in Hülle und Fülle. Es stinkt nicht in Berlin, sondern irgendwo in Niedersachsen oder Mecklenburg. Das müssen die städtischen Kritiker auch mal bedenken.

Auch das Vorurteil, daß es Tiere in einem Biohof besser haben, als in der Massentierhaltung ist nur im Durchschnitt richtig. Ich kenne Ökobetriebe aus denen ich nichts essen würde und wohin ich meine Tiere nicht in Pension geben würde. Meine Schafe bekommen jeden Tag duftendes Heu, sogar im Sommer wenn sie auf der Weide sind. Das gibt hohe Schlachtgewichte, gute Tiergesundheit und schmackhaftes Fleisch.

Vor Jahren war es tatsächlich so, da mußte man als Landbewohner wegen jedem Einkauf ins nächste Dorf oder in die nächste Stadt fahren. Heute kann man das meiste über das Internet bestellen. Und mit dem Fahrradfahren ist das so eine Sache. Das ist nicht davon abhängig, ob man in der Stadt oder auf dem Land wohnt, sondern wie das Gelände beschaffen ist, wie das Wetter ist und was man zu transportieren hat.

Vor ein paar Tagen habe ich einen Spaziergang im Villenviertel einer deutschen Stadt gemacht. Da waren überall Gärten. Nur in einem einzigen Garten war ein Kräuterbeet. Obstbäume waren deutlich seltener zu sehen als exotische Pflanzen aus Übersee. Und die wenigen Obstbäume waren ungepflegt. Ich habe dann über das Internet das Wahlergebnis dieses Gebiets angesehen. 22,7 % Grün. Außer einem Aufkleber „Atomkraft – Nein Danke“ habe ich in der Örtlichkeit nichts davon bemerkt.

Es gibt auf dem Dorf Zugereiste aus der Stadt. Die regen sich wegen jedem Hahnenschrei auf. Und es gibt in der Großstadt Leute, die haben ihren Kaninchenstall auf dem Balkon. Beides ist nicht im Sinne einer vernünftigen Arbeitsteilung zwischen Stadt und Land…