Studiengänge für die Resteverwertung

Die duale Ausbildung ist die parallele Ausbildung im Handwerks-, Handels-, Gesundheits-, Verwaltungs- oder Industriebetrieb und in der Berufsschule. Nicht jeder Bewerber kann den Beruf ergreifen, den er gerne wählen möchte, denn es stehen nur soviele Ausbildungsplätze zur Verfügung, wie in der Wirtschaft und in den staatlichen Institutionen benötigt werden. Mancher schöne Berufstraum zerplatzt. Aber er zerplatzt in der Regel vor der Ausbildung und nicht danach.

Völlig anders gestaltet sich die Berufswahl im akademischen Bereich. Von einer Rückkopplung zum Bedarf von Wirtschaft und Verwaltung keine Spur. Jeder kann das Studium wählen, das ihm oder ihr gefällt, und nach dem Studium kommen unbezahlte Praktika, Ausflüge in völlig andere Fachgebiete und im Extremfall die Abwanderung ins Ausland. Oder Ausländer, die sich verstudiert haben, kommen nach Deutschland.

Vor einiger Zeit besuchte ich ein großes Architekturbüro in Hamburg. Im obersten Geschoß war ein großer Saal unter einem Glasdach. Dort arbeiteten die Praktikanten. Es war Sommer und ich weiß jetzt was ein sweatshop ist. Eine Schwitzbude. Kürzlich habe ich bei ebay ein paar Silberlöffel  gesteigert. Der Shop gehört einem Diplom-Kommunikationswissenschaftler. Ich selbst habe jahrelang viele Baustoffverfahrenstechniker in verschiedenen Fachbereichen beschäftigt.  Mit gutem Erfolg, blos mit Baustoffen hatte die Arbeit wenig oder nichts zu tun.

Der Staat hat manchmal unglücklich agiert und Kampagnen gefahren. So entstand um 1980 eine Lehrerschwemme aus der sozialdemokratischen Bildungsoffensive der siebziger Jahre. Im Moment gibt es ein Germanisten- Journalisten-, Politologen-, Übersetzer-, Theaterwissenschaftler- und Architektenüberangebot.  Auch andere Kreative und Rechtswissenschaftler sind keineswegs knapp. Jeder ungelernte Schrauber kann heute mehr verdienen, als diese unglücklichen Akademiker. Es gibt Sammelbecken dieser gescheiterten Berufsbiografien. Es sind beispielsweise Parteien und Massenorganisationen, die Armutsverwaltungsindustrie, Förderprojekte, der Bundestag und die Landtage.

Im akademischen Bereich wäre eine duale Ausbildung angezeigt. Das sichert einerseits den Job nach dem Erwerb des Diploms und führt die Studenten frühzeitig an die betriebliche Praxis heran. Das erscheint wichtig, weil viele Abiturienten zum Zeitpunkt der Studienwahl oft keine Ahnung davon haben, was im Berufsleben so abgeht.

In einer Fernsehsendung wurde ein Abiturient gefragt, ob er nicht etwas Technisches studieren wolle. Er antwortete, daß er lieber ein geisteswissenschaftliches Studium wählen werde, weil es da mehr zu diskutieren gibt. Ein großer Irrtum: Im Ingenieurbereich wird wesentlich mehr diskutiert, als in ideologiebelasteten Berufen. Das kann man aber nur wissen, wenn man die betriebliche Praxis kennt.  Wer 12 Jahre in der Schule gesessen hat, welche von Lehrern dirigiert wird, die die Arbeitswelt auch nicht kennen, neigt eher zum Ausflug in die Kreativwirtschaft oder in die sogenannten Laberfächer.
In diesen Sektoren herrscht drangvolle Enge auf dem Arbeitsmarkt, während die Beschäftigungsmöglichkeiten für Ingenieure, Facharbeiter und Gesundheitsberufe immer besser werden. Die Lage wird verschärft, indem noch Kulturwissenschaftler aus Griechenland, Medienexperten aus Spanien und Designer aus Italien zureisen.

Die Alterspyramide in Deutschland wird bald völlig auf dem Kopf stehen. Auf die Berufstätigen kommen für den Unterhalt der Rentner enorme Belastungen zu. In dieser Situation kann es Deutschland sich nicht leisten, prekäre Qualifikationen hochzuzüchten, die nicht gebraucht werden.

Das Überleben des deutschen Staates als Sozialstaat konnte nur gelingen, solange die Balance zwischen Berufstätigen und Leistungsempfängern erhalten blieb. Das ist jetzt schon nicht mehr der Fall. Wer wenigstens ein abgemagertes Sozialsystem erhalten will, muß dafür etwas tun. Dazu gehört unter anderem eine bedarfsgerechte Ausbildung.

Vor jedem Studium sollte ein einjähriges Praktikum in der gewünschten Branche stehen und studienbegleitend eine (bezahlte) Tätigkeit verpflichtend sein. Dann könnte sogar das Bafög gespart werden.  Viele Enttäuschungen und Praktikumsschleifen nach dem Erwerb des Diploms blieben den Absolventen erspart.

Die ideologische Überfrachtung von Schule und Universität ist keineswegs ein neues Problem, sondern uralt. Eine Anekdote aus den 80er Jahren mag das belegen:  Dem Medizinstudenten werden im Examen ein männliches und ein weibliches Skelett gezeigt. Er soll das beschreiben. Nachdem er eine Weile überlegt, fragt der Professor: „Was haben Sie denn in fünf Jahren gelernt?“ Der Student antwortet: „Dann sind das wohl Marx und Engels?“