Das Würstchen beim Lichtgebet

Vor zwei Wochen erschien „Eigentümlich Frei“ mit einem Artikel über Conchita Wurst. Herr Wurst war in einem weißen Kleid, drapiert mit goldenen Aufnähern abgebildet. Das Interessante war die Schlußpose. Es war die Körperhaltung, die der nackte Jüngling in Fidus „Lichtgebet“ von 1894 zeigt: Die Arme zum Himmel erhoben, das Gesicht nach oben gerichtet.

Es ist seit Jahren bekannt, daß die Stars und Sternchen beim Eurovision Song Contest umfassend gecoacht werden.   Der unermüdliche Ralph Siegel beispielsweise steuerte alleine die Musik für 19 Songs bei. Und ebenso kümmern sich Heerscheren von Stylisten, Friseuren, Gewandschneidern und Choreographen um die Interpreten. Egal ob es sich um die Gerd-Show oder „Dragostea din tei“ handelte, alles war durchexerziert und durchorganisiert bis zur letzten Verrenkung und zum letzten Knopf. Die Interpreten sind da fast Sand im Getriebe. Auch Herr Wurst ist wie die meisten anderen Interpreten im Gesamtkunstwerk eher ein Hanswurst.

Welcher Teufel hat den Choreografen geritten, das Wurst-Liedchen mit einer Pose aus dem Lichtgebet zu enden? Der Schöpfer dieser Pose, der Jugendstilmaler Fidus, war schon vor dem Ersten Weltkrieg Hakenkreuzfan und ab 1828 strammes Mitglied der NSDAP. Seine allgemein bekannte völkische Gesinnung hinderte die SPD nicht daran, am 1. Mai 1904 mit einem Fidus-Bild für den Ersten Mai zu werben, so wie die österreichischen Sozialisten derzeit mit Conchita auf Stimmenfang gehen. Genau so wenig wie die SPD sich an den Vorlieben von Fidus störte, sowenig  störte das Lichtgebets-Finale SPÖ und ORF.

Der Choreograf der irritierenden Schlußszene mit Herrn Wurst heißt Marvin Dietmann. Er scheint ein Abo für die Betreuung der österreichischen Bewerber für den Song Contest zu haben. Im vorhergehenden Jahr tanzte er Natalia Kelly in Malmö ein. Es sieht alles danach aus, daß er gute Connections zum ORF hat und wie es zu dem choreografischen Ausrutscher kommen konnte – wir wissen es nicht. Hat der ORF den Skandal bestellt? Ein so großer Sendeapparat kann sich nicht mit kulturhistorischer Unkenntnis herausreden. Oder fallen Anleihen bei der völkischen Fraktion in die Kategorie „künstlerische Freiheit“?

Bei vielen deutschsprachigen Sendeanstalten gibt es Tendenzen, die Lebensreform wieder hoffähig zu machen. Besonders fällt das beim Deutschlandradio Kultur auf. Fast ständig werden dessen Hörer mit Nietzsche, Benn, Rilke und anderen Größen des Elitarismus und Protonationalsozialismus traktiert. Es hat sich ganz offensichtlich eine elitaristische Mafia in den Redaktionen etabliert, die das Rad auf 1900 zurückdrehen will. Was die Kultur  (konter)revolutionäres vorgibt ist die Blaupause für die Politik, so das Kalkül.

Herr Wurst ist kulturgeschchtlich so unbeleckt, daß er nicht einmal gemerkt hat, für welche  elitaristischen Spielchen er eingespannt wird. Er ist im großen Spiel der Medienzaren, Anstaltsleiter und Chefredakteure das Würstchen…