Prächtige Stimmung und erlebnisreiche Stunden

Es gab bereits in der deutschen Vergangenheit Demonstrationen, bei denen die Sicherheitskräfte in das Visier der eigenen Leute geraten sind und Verletzungen davongetragen haben. Wer den Schaden hat braucht in solchen Fällen für den Spott nicht zu sorgen. Es muß nicht unbedingt der eigene Wasserwerfer sein, auch Hunde sind eine große Gefahr. Hier eine Einsatzbeschreibung von 1978 aus Erfurt, die durch den zerbissenen Hintern des Einsatzleiters in die Polizeigeschichte einging.

Das Bezirksorgan der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands hieß damals noch „Das Volk“ und es organisierte jedes Jahr auf dem Gelände der Internationalen Gartenbauausstellung in Erfurt ein Pressefest. 1978 sah man an den folgenden Tagen viele blaue Augen, genähte Gesichter, Pflaster, Verbände und Grind von Schürfwunden.

Es waren die Jahre, wo die weisen Staatenlenker sich Spezialtruppen zulegten. Im Fernsehen war zu sehen, wie die GSG 9 in Mogadischu ein Flugzeug gestürmt hatte, und nun verlangte es die SED auch nach kampfstarken Sondereinheiten. Einige Hundertschaften des Innenministeriums wurden mit neuen Teilchen ausgerüstet: Integralhelmen, Schilden, Hochleistungsknüppeln. So eine Hundertschaft lief auf dem Pressefest Schau: in einer langen Einerreihe stolzierten die frisch kostümierten Jungs durch das Gelände und ließen lässig und elegant die neuen Knüppel gegen die frischen Helme wippen.

Viele Festbesucher schüttelten mit dem Kopf. Sie warteten auf ein Konzert mit Stefan Diestelmann, der erklärtermaßen kein Freund der Partei war. Seine Fans auch nicht. Die Gelegenheit zum Test der Sondereinheit kam, als eine junge Frau mit ihrem Fotoapparat ein Bild von den behelmten Bepos machte. Nun kam das übliche. Der Fotoapparat wurde ihr von zwei Zivilisten entrissen, es wurde seitens der Festbesucher gejohlt und es kam zur sogenannten Eskalation der Gewalt. Die ersten Bierflaschen wurden geworfen und krachten gegen die neuen Integralhelme. Der Einsatzbefehl wurde erteilt. Nun zeigte sich, daß die Bepo unmotiviert und ungeübt war. Es kam zu einer Massenprügelei, die sich schnell auf das ganze zentrale Gelände ausbreitete. Die Hundeführer standen ungünstig eingekeilt, sollten aber trotzdem ihre Vierbeiner auf die Gäste des Pressefestes loslassen. Zuerst wurde der Einsatzleiter höchstpersönlich in den Allerwertesten gebissen. Das vergrößerte das Chaos noch, denn in der Wut tut niemand gut. Immer mehr Besucher wurden auf die seltene Gelegenheit aufmerksam und nahmen an der Schlacht teil. Ein Armeefahrzeug wurde demoliert und ein Gebäude stand derweil in Flammen. Der Kampf zog sich teilweise in den Bereich der Ausstellungspavillions, die leider aus Glas waren. Deshalb kam es auch zu umfangreichen Sachschäden und Schnittwunden. Nach etwa einer halben Stunde trafen Verstärkungen für die Polizei ein, die die Ausgänge  der  Internationalen  Gartenbauausstellung  besetzten.  Nun  wurde  jeder, der hinauswollte bei Verdacht auf Teilnahme an der Volksbelustigung verprügelt. Darunter waren auch einige Stasileute, die für Festbesucher gehalten wurden und ein Redakteur der Parteizeitung, die das Fest veranstaltet hatte. An den Ausgängen kamen mehr Leute zu Schaden, als auf dem Gelände und die Krankenhäuser hatten bis zum Montag zu nähen. In der DDR gab es die Gleichberechtigung der Geschlechter. Frauen wurden genauso brutal verprügelt wie Männer.

Der Aufruhr hatte große Wirkung. Der ganze Bezirk witzelte über den Mißerfolg der Partei. Besonders der Einsatzleiter konnte sich zusätzlich zum Schaden über mangelnden Spott nicht beklagen. Die neuen Helme, Schilde und Knüppel wurden nie wieder in der Öffentlichkeit gesehen. Natürlich war auch damals der linken Presse nicht zu entnehmen, was vorgefallen war. „200.000 Pressefestgäste in enger Verbundenheit mit unserer Zeitung“, jubelte „Das Volk“. Von „prächtiger Stimmung“, „erlebnisreichen Stunden“ und einem „gelungenen Fest“ war im SED-Blatt die Rede.