Ratschläge oder Blick in den Spiegel?

„China droht an unsichtbarer Klippe zu zerschellen“ titelte „DIE WELT“ am 10. November und hatte viel gute Ratschläge für die Führer des volkreichen und erfolgreichen Landes parat.

„Viele Infrastrukturprojekte erweisen sich als gigantische Fehlinvestitionen. Schulden wurden aufgetürmt, mit sinkendem Nutzen“, schreiben die Autoren Tobias Kaiser und Frank Stocker über China. „Doch ab einem gewissen Punkt sinkt der Nutzen solcher auf Pump finanzierten Megaprojekte. So erhöhte sich Chinas Gesamtverschuldung, also die Summe der Kredite an Staat, Unternehmen und Privatpersonen, noch im Jahr 2001 um rund eine Billion Yuan – und um genau diese Summe wuchs damals die Wirtschaft des Landes.“ Der Nutzen der Investitionen für das Wachstum würde stetig sinken, monieren die Autoren. Aber ist es in Europa nicht auch so? Fehlinvestitionen gibt es doch auch in Deutschland: Der neue schlecht ausgelastete Tiefseehafen an der Nordsee, die dauerdefekten Offshore-Windparks in der Nordsee und die uneffektiven Photovoltaikteppiche im Binnenland? Wird nicht auch von der EZB die Geldmenge schneller aufgebläht, als es dem Wirtschaftswachstum entspricht?

Der schlaue Professor für Volkswirtschaft Horst Löchel von der Frankfurt School of Finance & Management gibt China in der „WELT“ den guten Rat das Finanzsystem weiter zu liberalisieren, also das Zinssystem von staatlich festgesetzten Raten zu befreien. Aber Herr Professor: Ist Europa mit seinem zentrakistischen EZB-Leitzins von 0,05 % ein Vorbild für chinesische Kommunisten? Hat Europa noch irgendwo Marktgeld und einen Marktzins?

Die chinesischen Konzerne seien nach wie vor zum größten Teil in Staatsbesitz. „Alle großen Fortschritte in China in den vergangenen Dekaden waren ein Ergebnis von Privatisierungen“, sagt Löchel der „WELT“. Dadurch könne die Wirtschaft effizienter und produktiver werden – eine entscheidende Voraussetzung für höhere Löhne und mehr Konsum. Soweit der Professor. Aber was ist in Europa los? Im Prinzip sind die Energiekonzerne in den vergangenen Jahre verstaatlicht worden. Sie dürfen keine freien Unternehmensentscheidungen mehr treffen, sondern hängen am kurzen Bevormundungs-Gängelband der grünen Ideologen. Ein Vorbild für China?

„Und wenn eine Wirtschaft in die obere Liga aufsteigen will, dann muss auch das Rechtssystem in dieser Liga spielen. Denn innovative und kreative Firmen gedeihen nur auf der Basis von Rechtssicherheit. Wer stets Gefahr läuft, durch Willkürentscheidungen oder Ideenklau übervorteilt zu werden, wird Hochtechnologie und Forschung lieber im Ausland ansiedeln.“ So die „WELT“ unter Berufung auf Richard Titherington, eines Managers von J.P. Morgan. Recht hat der Mann. Aber warum wird dann in Europa permanent Recht gebrochen? Warum gilt der Maastricht-Vertrag nicht mehr, warum wurde das KKW Biblis rechtswidrig abgeschaltet?

Die intelligenten und unterhaltsamen WELT-Autoren haben den Chinesen treffliche Ratschläge erteilt. Oder wollten sie uns deutschen Lesern, unter dem Vorwand China helfen zu wollen, einen Spiegel vorhalten, in dem wir uns als Wirtschaftsbanausen erkennen können? Wolf Biermann hatte bereits in den 70ern in seinem Song „In China hinter der Mauer“ die deutschen Demokratiemängel ironisch in das Reich der Mitte projiziert, wo es diese Mängel freilich auch gab..

Eine Anekdote aus den 60er Jahren klärt uns darüber auf, wie wechselvoll Völkerschicksale sind und wie spekulativ der Blick in die Zukunft: Der Lehrer fragt Fritzchen, wo er die Banane herhat. „Mein Vater hat im Krieg einen Juden versteckt, der uns immer Westpakete schickt“. „Ihr solltet an eure Zukunft denken“, droht ihm der Lehrer. „Machen wir auch“, so Fritzchen: „Im Moment verstecken wir einen Chinesen!“