Liebe gibt es nicht für Geld

Immer diese Ausländerfeindlichkeit! Das Foto soll den Leser einstimmen: Ein bulliger, mißtrauisch dreinschauender Ossi mit Mussolini-Frisur, bekleidet mit einem schwarzen Unterhemd  schaut in Freital aus seinem Fenster, neben ihm weht die Deutschlandfahne. In Street view werden Köpfe übrigens verpixelt, beim Kampf gegen Rechts nicht. Ich lasse den Kopf auch mal wie er ist, denn wenn man mit seiner Landesfahne mal aus dem Fenster schaut, braucht man sich dafür nicht zu schämen.

„Dass sich Teile der im wahrsten Sinne des Wortes zurückgebliebenen Ostdeutschen in ländlichen Regionen so schwer mit dem modernen Leben tun, hat natürlich etwas mit den einfältigen und düsteren Zeiten der DDR zu tun, deren Lebensfremde schließlich zu ihrem Untergang führte.“ So summarisch beleidigend charakterisiert die überhebliche westdeutsche Zeitungsredakteurin Andrea Seibel im Kommentar: „Der Aufbau Ost ist nicht in allen Köpfen angekommen“ die Sachsen und liefert gleich noch ihren groben Vierkantschlüssel zum Unverständnis mit.

Freital ist durchaus kein Dorf hinterm finsteren deutschen Wald, wie uns das Frau Seibel weismachen will, sondern eine ehemals florierende größere Industriestadt, die 1920 gegründet, von den Russen nach 1945 in über 40 Jahren mühsamer Kleinarbeit systematisch nach Plan runtergewirtschaftet wurde.  Noch heute hat die Stadt fast 40.000 Einwohner und ist eigentlich ein Vorort von Dresden. Was da ländliche Region ist, bleibt ein ominöses Geheimnis der  ehemaligen Taz-Redakteurin Seibel. In der Kaiserzeit bis in die Weimarer Republik war die Stadt eine Hochburg der Sozialdemokratie. In der Weimarer Republik war Freital die einzige Stadt in Sachsen mit einem sozialdemokratischen Oberbürgermeister, fast jeder zehnte Bürger war Mitglied der SPD. In Potschappel gab es eine berühmte Porzellanmanufaktur und in der Stadt zahlreiche weitere Industriebetriebe. Nach der Eroberung durch die Russen wurden die meisten Betriebe verstaatlicht und verkamen im Laufe der Zeit im moskowitischen Schlendrian. 1968 übernahm die russische Wismut die Anlagen des Steinkohlenbergbaus und förderte bis 1989 Erzkohle zur Urangewinnung. Die Geschichte der Stadt liefert wirklich genug Grund, um Ausländern genauestens auf die Finger zu schauen.  Denn die Zeit der ausländischen Gängelung war eben kein „modernes Leben“.

Im neokolonialen Schreibstil verweist Andrea Seibel auf den Aufbau Ost: „Gerade schwärmte ein Kollege wieder von der Schönheit ostdeutscher Städte, die er mit seinen Söhnen per Rad erkundet hatte. Sie seien nach der Wende vorbildlich modernisiert worden, das städtische Leben könne es in Angebot und Infrastruktur durchaus mit blühenden Landschaften im Westen aufnehmen.“ Wir geben den zurückgebliebenen Dorfidioten mal Geld und dann haben diese Roboter das zu denken, was wir aufgeklärten Kosmopoliten ihnen sagen. Das ist Vulgärmaterialismus vom Feinsten. So funktioniert jedoch weder Kundus in Afghanistan noch Freital in Sachsen.

Das alte Freital hatten die Bürger der Region aus eigener Kraft aufgebaut. Sie konnten angesichts der wirtschaftliche Bedeutung ihrer Stadt stolz darauf sein. Der Wiederaufbau nach 1990 erfolgte nur zum Teil aus den Ressourcen der Region. Statt dessen mit Millionen aus dem Westen. Die Nach-Wende-Wirtschaft ist teilweise verlängerte Werkbank, teilweise Dienstleistung, die immer wieder am Tropf auswärtiger Steuerzuflüsse hängt. Wenn diese Zuflüsse ausbleiben, sinkt die Scheinblüte in sich zusammen, wie man das gerade in Griechenland besichtigen kann. Von der traditionellen Industrie ist in Freital beispielsweise das Edelstahlwerk übriggeblieben, das allerdings privatisierungsbedingt seinen Hauptsitz nun im weit entfernten Siegen hat. Die Einwohner hatten sich die Deutsche Einheit wirklich anders vorgestellt.  Mit wesentlich mehr eigenem Dampf und weniger Pamperung und Bevormundung. 1990 wurde das saturierte Sozialsystem der Bundesrepublik übergestülpt, mit dem die Altländer im wirtschaftlichen Desaster der Nachkriegszeit geschwind untergegangen wären. Mit den gesetzlichen Regelungen von 1990 hätte es nach 1950 nie ein Wirtschaftswunder im Westen gegeben. Die ausgefeilten Sozialgesetzbücher waren Ergebnisse des Wirtschaftswunders, nicht jedoch seine Voraussetzung. 1945 gab es keine Taschengelder für Vertriebene aus dem Osten.

Freital ist nicht besonders radikal. Extreme Parteien bekamen bei der letzten Landtagswahl gerade einmal 3.448 Stoimmen von 32.467 Wahlberechtigten. Die Linke 2.550 Stimmen und 888 die NPD. Bei der Kommunalwahl bekam die Linke 12,4 % und die NPD 4,0 %, und das bei einer Wahlbeteiligung knapp unter 50 %. Wenn man die Stadt zum Beispiel mit Suhl vergleicht, wo Radikale bei der Stadtratswahl über 32 % der Stimmen erhalten haben ist die Diagnose: Freital ist lebens- und liebenswert.

Andrea Seibel wirft einen Nebelvorhang über die Zusammenhänge. Die angeblich einfältigen und tatsächlich düsteren Zeiten der DDR waren Zeiten, wo Ausländer diktiert haben, was zu tun ist. Die SED-Funktionäre gleich welchen Ranges mußten den Steigbügel des niedersten Abgesandten des Großchans küssen, wie es Karl Marx mal griffig formulierte. Die russische Wismut AG war zusätzlich ein Staat im Staate.  Freital ist keine ländliche Kuhklitsche, es hat eine wesentlich interessantere Industriegeschichte, als die ehemalige königlich bayrische Provinzhauptstadt Speyer, wo Andrea Seibel aufgewachsen ist. Streng genommen kommt Frau Seibel vom Lande.  Das merkt man an ihrem wenig weltläufigen Geschreibsel. Am ehemaligen eisernen Vorhang ist sie mit ihrem Latein am Ende.