Islam und Demokratie am Ende

Die Türkei war eines der wenigen Länder, in denen Islam und Demokratie gleichzeitig gegenwärtig waren. Der linksgrüne türkische WELT-Redakteur Deniz Yücel beklagt sich am heutigen Wahlabend über das Ende dieses Schwebezustands in Ankara:

„Man wünschte, die Türkei wäre eine einigermaßen funktionierende Demokratie mit einem zuverlässigen Rechtsstaat. Dann könnte, dann müsste man als guter Demokrat der islamisch-konservativen AKP zu ihrem Wahlsieg gratulieren. Kann man aber nicht. Denn in einer einigermaßen funktionierenden Demokratie würde ein Staatspräsident nicht derart seine verfassungsmäßigen Kompetenzen überschreiten. Er würde nicht zur Wiederholung einer Wahl drängen, weil ihm das Ergebnis nicht passt. Es würde nicht ein großer Teil der Medien eins zu eins die Propaganda der herrschenden Partei wiedergeben.“

In der Türkei herrschte seit 1946 ein äußerst fragiler Parlamentarismus mit zahlreichen Militärputschen und Eingriffen des Militärs in die Politik. Nach 2000 stabilisierte sich die türkische Demokratie etwas, erreichte aber hinsichtlich Pressefreiheit, Autonomie von Minderheiten, Religionsfreiheit und Unabhängigkeit der Justiz nie europäische Standards. Seit Juni 2015 verschärfte sich der Prozeß der Unterwerfung von Presse und Justiz unter die Parteiinteressen der regierenden AKP. Der Friedensprozeß in Kurdistan kam zum Stillstand. Das ist zu höflich ausgedrückt: Die Flamme des Bürgerkriegs wurde von der Regierung wieder entfacht. Alles das ist im Nahen Osten eher die Norm. Wirklich enttäuschend ist die Reaktion der türkischen Wähler auf das autoritäre Gehabe des Präidenten. Der Landsmann Deniz Yücel dazu:

„In einer einigermaßen funktionierenden Demokratie würde kein so großer Teil der Wähler dies alles und noch viel mehr durchgehen lassen. Man würde der Regierung nicht den größten Blödsinn abnehmen. Etwa, dass ein „Terrorcocktail“ von IS, PKK und Gülen-Gemeinde für den Ankara-Anschlag verantwortlich sei oder der deutsche Geheimdienst die PKK lenke. Die Opposition würde sich in einer vergleichbaren Situation zusammenraufen. Es würde sich keine Partei von einer bewaffneten Organisation so treiben lassen wie die HDP.“

Das ist eine klare und zutreffende Analyse. Wenn ich mir vorstelle, daß immer mehr von diesen autoritätshörigen unterbelichteten Leuten aus dem Nahen Osten nach Deutschland einsickern und irgendwann das Wahlrecht erhalten, wird mir schlecht. Da wäre zukünftig ein absolutistisches Königreich wünschenswert.

Deniz Yücel ist enttäuscht, weil er als Linker auf die Vereinbarkeit von Islam und Demokratie gesetzt hatte. Weil er der Türkei eine europäische Perspektive gewünscht hatte. Weil er ihr eine Demokratisierung zugetraut hatte. Das heutige Datum ist für viele Träumer ein Tag der verlorenen Illusionen.

Schuld am Desaster hat aber nicht nur der einfältige anatolische Wähler, sondern auch unsere Kanzlerin aus dem hinterwäldlerischen protestantischen Pfarrhaus, die mitten im Wahlkampf wie ein Elefant im Porzellanladen in Ankara aufschlug und einseitig für den Türkenpräsidenten Erdogan wirksame Wahlkampfhilfe leistete. Sie versprach Erleichterungen bei der visafreien Einreise nach Europa und die Unterstützung beim EU-Beitritt. Erdogan konnte vor Kraft nicht mehr laufen und präsentierte sich den Wählern als cleverer und erfolgreicher Unterhändler des siegreichen Türkentums.

Der brachiale Eingriff in die politische Architektur eines anderen Staates disqualifiziert die Bundeskanzlerin Dr. Merkel als außenpolitische Akteurin. Seit Kanzler Schröder haben sich die deutsche Innen- und Außenpolitik zu einem gordischen Knoten verheddert. Selbst die Beziehungen zur kleinen Schweiz wurden für irre innenpolitische Feuerwerksknalleffekte instrumentalisiert. Die zur Türkei auch. Dieser undiplomatische Wust muß vom Nachfolger Merkels endlich entwirrt werden. Solide Staaten betreiben Innenpolitik und Außenpolitik unabhängig voneinander. Die Verbandelung der deutschen Grenzsicherung mit der Außenpolitik der Türkei, so von der Kanzlerin in einem Fernsehinterwiev bei Anne Will vor aller Welt ausgebreitet, war so eine fatale Vermanschung. Die Diplomaten im Auswärtigen Amt werden die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen haben.

Der deutsche Tritt ins türkische Fettnäpfchen hat eine lange Tradition. Kaiser Wilhelm besuchte 1898 die Türkei.  In Damaskus besuchte er das Grab des Sultan Saladin. Im Mausoleum bei der Umaiyaden-Moschee hielt er eine Rede, die bei Briten, Franzosen und Russen mit Verärgerung zur Kenntnis genommen wurde:

„Möge der Sultan und mögen die 300 Millionen Mohammedaner, die, auf der Erde zerstreut lebend, in ihm ihren Kalifen verehren, dessen versichert sein, dass zu allen Zeiten der deutsche Kaiser ihr Freund sein wird.“ Diese unüberlegte Äußerung war einer der Stolperschritte in den Ersten Weltkrieg.

Die Karten für eine autoritäre Entwicklung in der Türkei sind mit Merkels Hilfe gelegt. Nun beginnt der Wettlauf zwischen dem Zerfall der EU und dem türkischen EU-Beitritt. Die meisten Großreiche haben sich kurz vor ihrem Zerfall noch einmal aufgebläht. Man dreht die Seiten der Geschichtsatlanten. Die Reiche werden immer größer. Eine Seite weiter geblättert sind sie verschwunden. Das Alexanderreich, Rom, das spanische Weltreich, das Osmanische Reich, Napoleons Eroberungen, das britische Empire und die Sowjetunion. Der nächste Kandidat ist die Europäische Union…