Vor dem großen Wahldonnerwetter

Nach der hessischen Kommunalwahl lichtet sich langsam der Nebel. Die Ergebnisdarstellungen werden zahlreicher, und die Resultate selbst präziser. Interessant sind nun zwei Fragen:

Was ist zwischen 2011 und 2016 passiert? Wie verlief die Wählerwanderung zur AfD?

Was haben die Wähler, die bei der Kreistagswahl ihre Stimme der AfD gegeben haben, bei der Gemeindewahl mit ihren Stimmen angestellt? Denn bei den Gemeindewahlen trat die AfD nur in wenigen Orten an.

Zum ersten Komplex. Die Wahlbeteiligung wurde durch das Auftreten der AfD nicht signifikant verändert. Im Werra-Meißner-Kreis, wo die AfD nicht antrat, ging das Interesse der Wähler genau so zurück, wie in der Bergstraße, wo die AfD das beste Ergebnis erzielte. Die bisherigen Nichtwähler waren nicht der superstarke Motor der Veränderung.

Von der Linkspartei und der FDP kamen auch nur wenige AfD-Wähler, beides sind Parteien, die selbst erheblichen Zulauf hatten. Die Freien Wähler waren bei den Kreistagswahlen stabil.

Einen Hinweis auf den wesentlichen Zusammenhang geben die Landkreise, wo die AfD nicht vorhanden oder schwach war: Werra-Meißner und Vogelsberg. In diesen beiden Landkreisen hatten SPD und CDU im Gegensatz zum sonstigen Land nur sehr geringe Verluste, die Grünen dagegen große. Das spricht für einen starken Zusammenhang zwischen Gewinnen der AfD mit gleichzeitigen Verlusten von SPD und CDU. Letztere beide Parteien dürften die eigentlichen Opfer der Berliner Politik sein, die bis ins hessische Dorf hinein den Regierungsparteien den Wahlabend gründlich verhagelt hat. Von den hohen Verlusten der Grünen hat die AfD nur marginal profitiert, deren Ex-Wähler haben sich eher auf das übrige Parteienspektrum verteilt.

Bei SPD und CDU müssen die Alarmglocken läuten, bei den Grünen weniger. Die Grünen hatten 2011 ein durch die Medien verursachtes Fukushima-bedingtes Hoch, das sich mit der Auflösung dieses Themas in Luft wieder abbauen mußte. Das wird man auch bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz am kommenden Wochenende sehen. Die Grünen werden dort halbiert werden. Die Verluste von CDU und SPD sind dagegen durch schleichende soziologische Prozesse bedingt, die sich in Wahlergebnissen spiegeln. Beide Parteien verlieren sukzessive die steuerzahlende Mittelschicht, besonders die aus dem gewerblichen Bereich und dem im Privatbereich arbeitenden Dienstleistungssektor. Das wurde erstmals 2009 offenkundig, als die FDP bei der Bundestagswahl plötzlich über 14 % der Stimmen erreichte. Damals waren es vor allem die etwas besser Verdienenden aus diesem Bereich, aktuell kommen bei der AfD auch die Niedriglöhner dazu. Die FDP war nur eine Zwischenstation, weil sie in der Energiepolitik (EEG), bei der Finanzierung des Staatsrundfunks und bei den sonstigen Armensteuern das Ruder nicht herumriß.

2004 hatte die SPD nach dem Wechsel Gerhard Schröders in die Gasbranche denjenigen Kommunikator verloren, der diese werktätige Klientel noch ansprechen konnte. Seit etwa 2010 wurde auch dem Dümmsten klar, daß Bundeskanzlerin Frau Dr. Merkel von der CDU-Konkurrenz eher Omas beruhigen und stillhalten kann, als die Baustelle oder die Werkhalle. Beide Parteien, SPD und CDU, haben weder kommunikativ noch real die Nähe zur unteren Mittelschicht gesucht, und wenn dann nur zu den Angestellten des öffentlichen Dienstes. Das rächt sich nach so langer Zeit. Die Stellung von CDU und SPD als Volksparteien dürfte dahin sein. Eine Volkspartei muß ein Drittel der Wähler erreichen. Mindestens.

Nun noch zu der zweiten Frage, was die Wähler, die bei der Kreistagswahl ihre Stimme der AfD gegeben haben, bei der Gemeindewahl mit ihren Stimmen angestellt haben. Einige Landkreise haben die Ergebnisse der Kreistagswahl nach Gemeinden aufgegliedert, so daß man Gemeinde- und Kreistagswahl vergleichen kann. Die AfD-Wähler haben ihre Stimmen bei der Gemeindewahl auf CDU, Freie Wähler und FDP verteilt: CDU und Freie Wähler je etwa zwei Fünftel, FDP ein Fünftel. SPD, Grüne und Linke haben bei Gemeindewahlen so gut wie keine Kreuze von Leuten bekommen, die bei der Kreistagswahl AfD gewählt hatten. Das bedeutet, daß AfD-Wähler, die von der SPD kommen, mit dieser Partei definitiv abgeschlossen haben, AfD-Wähler, die von der CDU kamen, dagegen noch nicht ganz.

Die CDU könnte mit der geschwinden Absetzung Merkels vielleicht noch etwas retten, die SPD kann vermutlich machen was sie will. Nach ihrem hektischen „Kampf gegen Rechts“ hat sie das politische Spielfeld verlassen.

Nach dem kommenden Wochenende der drei Landtagswahlen weiß man nicht genau, was passiert. Die SPD könnte nach einem Rücktritt von Gabriel noch mehr in die linke Ecke, und damit in das kleine Ghetto der Intellektualität vorstoßen. Dort würde sie nur Grünen und Linken das Leben noch etwas schwerer machen. Wenn die SPD noch einen Hauch Verstand hat, läßt sie Sigmar Gabriel weiterwurschteln.

Die Existenz Angela Merkels hat zunehmend paranoide Züge. Von einem großen Teil der CDU-Basis wird das auch so wahrgenommen. Die Christbolschewisten schwanken zwischen Wut und dem politischen Kalkül, daß mit einem Sturz der Kanzlerin alles erst mal noch schlimmer werden würde. Der Sturz von Edmund Stoiber hatte gezeigt, daß Königsmord kein Patentrezept ist. Blos damals in Kreuth war es umgekehrt: Die Medien wollten den Kopf Stoibers, heute stehen sie hinter Frau Dr. Merkel. Die CDU-Granden sind in der Partei medienhörig sozialisiert worden, sie werden mit dem Aufstand solange warten, bis DER SPIEGEL und das ZDF Merkels Sturz fordern.