So beuten Gefangene den Steuerzahler aus

„Können Sie sich vorstellen, für ein, zwei Euro pro Stunde den ganzen Tag im Akkord Schrauben in Schachteln zu packen?
• Strafgefangene in deutschen JVAs verrichten solche stupiden Arbeiten – und die Gefängnisse verdienen oft prächtig daran.
• Für die Verhältnisse in den Gefängnissen interessiert die Öffentlichkeit sich wenig, denn Kriminelle haben keine Lobby.
Warum das wichtig ist: Während die Gefängnisse ein gutes Geschäft machen, zerstören sie durch Dumping das Geschäft von Unternehmen der freien Wirtschaft.“

Unter der Überschrift: „So beuten deutsche Gefängnisse ihre Häftlinge aus“ hatte Steffen Fründt in der WELT einen reißerischen Artikel verfaßt. Schauen wir doch mal, was dran ist.

Bundesweit produzieren 41.000 Strafgefangene Waren und Dienstleistungen im Wert von 150 Millionen Euro pro Jahr. So rechnet es uns die WELT vor. Das sind pro Gefangenen 3.658 €. Die Unterbringung eines Insassen kostet bei einem Tagessatz von 150 € jedoch 54.750 € jährlich.

Der Durchschnittsgefangene erarbeitet also gerade mal 6,7 % seiner Logiskosten. Wie können die Gefängnisse mit dieser geringen Kostendeckung „ein gutes Geschäft“ machen? Jede private Firma wäre nach wenigen Tagen pleite. Für den Fehlbetrag von über 51.000 € pro Jahr und Häftling muß der Steuerzahler aufkommen.

Eine moderne JVA mit 500 Gefangenen hat in der Regel drei Werkstätten, wo sich etwa 150 Arbeitsplätze befinden. In einer Halle findet Lebensmittelverarbeitung statt. Auf deutsch gesagt: Da wird das Essen für die JVA zubereitet. Eine weitere beherbergt die Metallverarbeitung, eine andere die Schreinerei.

So, nun müssen wir noch untersuchen, ob Waren zu Dumpingpreisen rausgehen. Vor Jahren habe ich für ein thüringisches Ministerium mal eine Ausschreibung für ein Internat erstellt. Eine Beamtin aus dem Ministerium war auch auf dem Trip, daß man mit Möbeln aus dem Strafvollzug viel Geld sparen könnte. Also bekam ich den Arbeitsauftrag, die Möbel aus der Ausschreibungsunterlage wieder herauszunehmen.

Nach etwa vier Wochen Recherche stellte sich jedoch heraus, daß man nichts spart. Es wurden dann Möbel aus dem normalen Großhandel beschafft. Die JVA Kassel hat folgende Erklärung dafür parat:

Um Ihnen einen Einblick zu geben, unter welchen Rahmenbedingungen Produkte in Justizvollzugsanstalten entwickelt und hergestellt werden, sei kurz skizziert:
• Entwickelt werden neue Produkte durch die in den Betrieben tätigen Handwerksmeister. Die Meister leiten die Insassen bei der Durchführung der Arbeiten an, um entsprechend qualifizierte Arbeitsleistungen zu erreichen.
• Die Kalkulation der Preise erfolgt unter Berücksichtigung des Wertes der zu verarbeiteten Rohstoffe und der entstehenden Betriebskosten. Die Arbeitszeit der Insassen findet auch Berücksichtigung. Sie fließt in Form von Stundenlöhnen in die Preisgestaltung ein.
• In den Betrieben finden Sie durchgehend eine technisch hochwertige maschinelle Ausstattung vor.

Zu den Betriebskosten zählen also nicht nur die in einer JVA gezahlten Stundenlöhne, sondern eben auch alle Kosten, die in jedem anderen Betrieb auch anfallen: Abschreibungen, Energie, Abfallentsorgung, Gemeinkosten. Letztere sind in einer JVA hoch. Denn es ist nicht nur das Personal erforderlich, welches die Gefangenen anleitet und in der Regel erst ausbildet, sondern es sind auch erhöhte Aufwändungen bei Anlieferungen und beim Warenausgang üblich. Jeder Lkw, der die JVA-Mauern passiert, muß kontrolliert werden.

Es ist aus den geschilderten Gründen in vielen „Einzelfällen“ gar nicht so einfach, Betriebe zu finden, die eine JVA als verlängerte Werkbank nutzen. Das Ziel ist ja auch nicht mit Gefangenenarbeit Geld zu verdienen, sondern es ist entsprechend der Internetpräsenz der JVA Kassel ein pädagogisches:

Die Arbeit der Insassen stellt nicht einen Teil der Bestrafung als Sühne für begangene Straftaten dar. Die Justizvollzugsanstalten verfolgen im Bereich der Arbeit und der Ausbildung der Insassen vielmehr folgende Zielsetzung:
Der Insasse soll durch schulische und berufliche Ausbildung und/oder durch einen berufsnahen Arbeitseinsatz in die Lage versetzt werden, nach seiner Entlassung seinen eigenen und den Lebensunterhalt seiner Angehörigen zu sichern. (…) Auf diese Weise wird durch eine sinnvolle Beschäftigung der Insassen nicht nur eine höhere Sicherheit in den Anstalten erzeugt, sondern es wird auch erneuter Straffälligkeit der Insassen vorgebeugt.

Es ist also nicht nur eine Werkbank, sondern auch eine Lehrlingswerkstatt. Ich wollte nicht unfair sein und habe dem sogenannten „Journalisten“ Fründt eine email gesendet:

Sehr geehrter Herr Fründt,
mir zuckt es in den Fingern einen Eintrag über die Kosten des Strafvollzugs zu schreiben. Haben Sie eigentlich mal daran gedacht, was neben den „Gewinnen“ aus der Häftlingsarbeit für Kosten entstehen? Und haben Sie mal belastbar überprüft, ob die Arbeiten aus dem „Knast“ wirklich billiger sind? Ob das wirklich „Dumping“ ist?

Keine Antwort. Fründt weiß vermutlich selbst, daß er Gülle geschrieben hat. Und DIE WELT nimmt ihm das ohne Qualitätskontrolle ab. Stefan Aust hatte am 6. September vor den Problemen mit dem Qualitätsjournalismus kapituliert und Ulf Poschardt hatte den Chefredakteurs-Sessel der WELT übernommen. Er hat viel harte Arbeit vor sich.

Bis dahin leistet die WELT einen Beitrag dazu, den Steuerzahler immer stärker zu versklaven. Durch die Erzeugung von falschem Mitleid und der Parole von der Ausbeutung soll der WELT-Leser dumm gemacht werden.