Sucht Berlin den Super-Hitler?

Ich erinnere mich genau an den 20. Juni 1991. Etwas Ungewöhnliches spielte sich in den Räumen eines großen Ingenieurbüros in Erfurt ab. Es war eines der Büros, in dem die ICE-Stecke München – Berlin geplant wurde. Die Radios liefen während der Arbeitszeit und der ausführlichen Debatte zum Umzug der deutschen Hauptstadt nach Berlin wurde stundenlang interessiert zugehört. Keine Geschäftsleitung schritt dagegen ein. Groß war die Enttäuschung als das Ergebnis der Berlinabstimmung ausgezählt war. Im Osten hatten alle eine Ahnung, daß ein Fluch auf Berlin liegt, daß ein Verhängnis über der Stadt schwebt. Ungefähr zwei Drittel der sächsischen und der thüringischen Abgeordneten hatten für Bonn gestimmt. Nicht aus Liebe zu Bonn, sondern aus Erfahrung mit Berlin. Noch gut in Erinnerung war ein Gedicht, welches 1987 zur 750-Jahrfeier von Berlin kursierte.

Unsre Hauptstadt sei gepriesen!
alle wollen wir sie grießen,
alles wollen wir ihr geben,
wolln sie hüten, wolln sie pflegen,
wolln für sie Paläste baun,
Selbst gern in die Röhre schaun,
Sie mit Stuck und Gold verzieren,
ihre Häuser, ihre Türen,
ihr zu Füßen wolln wir knien,
wir geben alles für Berlin!

In Berlin da gibts Berliner,
alle anderen sind Diener,
die man sich für unser Geld
aus der Republik bestellt.
So rührt manch ein Handwerksmeister
in der Hauptstadt seinen Kleister,
derweil in Hinterlengefeld
Tapete von den Wänden fällt.
Stürzt manches Haus im Land auch hin,
wir geben alles für Berlin!

Es ziehn Provinzler – Karawanen
mit Reichsbahn und auf Autobahnen,
um in der Hauptstadt einzukaufen,
wonach sie sonst vergeblich laufen.
Der kleine Obst- Gemüse- Stand
ist dort wie ein Schlaraffenland.
Auch gibt es Aal, für Vater Schuhe,
Für Mutter Kleid und Tiefkühltruhe.
Wozu denn werden heute Waren
erst weit noch übers Land gefahren?
Bringt alle Waren nach Berlin,
wer etwas braucht, der fährt dorthin,
der Handel spart auch noch Benzin,
wir geben alles für Berlin!

750 wird Spree- Athen,
sechs Wochen soll die Feier gehn,
Man wirft das Geld zum Fenster raus,
den Hinterwäldlern ists ein Graus.
Wie schön fürs Land – kaum zu ermessen,
hätt man die Gründung einst vergessen.
Dann würd auch unsre Heimat blühn,
nichts gäbs dann mehr für das Berlin!

Damals gab es Ostberliner, die sagten, wenn sie mit der S-Bahn nach Königs Wusterhausen ruckelten: „Ich fahre in die DDR“. Prälatenhoffart nannte man sowas früher.

Nun ist Berlin 26 Jahre gesamtdeutsche Hauptstadt. Zunächst machte die Stadt nicht viele Schlagzeilen und der Groll gegen die preußische Metropole schien ungerechtfertigt gewesen zu sein. Doch ab der Jahrtausendwende häuften sich die Zweifel an der Umzugsentscheidung.

Vor zwei Jahren war ein Verwandter gestorben und wir fuhren zur Beerdigung. Neben dem Friedhof war sehr zur allgemeinen Freude ein Parkplatz frei. Die Freundin stieg aus und trat fast in einen Haufen, der auf dem Gehweg lag. Sie dachte, daß es ein Hundehaufen sei. Ich wendete nach kurzer Besichtigung ein, daß Hunde kein Papier nehmen. In Berlin wohnen nämlich inzwischen massenhaft richtige Schweine.

Ein andres Mal wollten wir vom Hauptbahnhof aus mit der S-Bahn zu unserem Auto fahren, welches in einem südlichen Vorort abgestellt worden war. Schon beim Eintritt in die Halle herrschte ein ohrenbetörender Lärm. Linke Demonstranten fuchtelten mit Eisenstangen und zündeten Chinaböller. Wir zogen es vor, zu Fuß zu gehen. Auf dem Weg befanden sich am Straßenrand immer wieder Matratzen, Zelte und Rücksäcke von fahrendem Volk. Insbesondere unter der S- und U-Bahn sind viele beliebte Schlafplätze. Mitten im Zentrum.

Einmal fuhr uns ein Verwandter mit seinem Mittelklassewagen durch Kreuzberg. Das Auto geriet in den Pinkelstrahl eines ungeniert am Straßenrand stehenden Urinisten. Ist mir egal, ist die allgemene Einstellung dazu.

Das ist Berlin bottom up, wie das neudeutsch heißt. Also von unten gesehen.  Aber auch der Blick top down, also von oben herab aus dem thüringischen Bergland ist verheerend.

Das Flugfeld in Schönefeld könnte längst fertig sein, wenn inkompetente Politiker nicht immer wieder Änderungen am Konzept während laufender Bauausführung verlangt hätten. Einzelgewerkevergabe war für das komplexe Großvorhaben sehr mutig und läßt auf einen beschränkten Horizont und größenwahnsinnige Berater des damaligen Bürgermeisters Wowereit schließen.

Auch nach 27 Jahren des wiedervereinigten Berlin sind die Kompetenzen zwischen der Zentralverwaltung und den Bezirken nicht abschließend geklärt. Fast bei jedem Verwaltungsakt ist nicht von vornherein klar, wer eigentlich zuständig ist.  Ein Musikvideo der Berliner Verkehrsbetriebe trug zur Aufklärung bei: „Ist mir egal“. Der Sänger hat passenderweise inzwischen Selbstmord gemacht.

Dieser Tod ist ein Menetekel für die Hauptstadt. Sie macht Harakiri. Wer die Polizei an die Clans verkauft, hat sich schon längst aufgegeben. Und darauf läuft alles hinaus. Der öffentliche Raum vergimmelt und verasselt, egal ob Görlitzer Park, Kotti oder Alex. Wir sollten fordern, daß dieser dezentral gelegene Scheißhaufen nicht mehr länger unsere Hauptstadt ist.

Warschau, Prag, Preßburg, Tallin, Helsinki und Budapest, überall im Osten herrscht inzwischen Sauberkeit. Auch Rom ist ordentlicher, wenn mal vom Hauptbahnhof absieht. Zagreb, Bern und Ljubljana wirken gepflegt. Selbst das berühmt-berüchtigte in der Russenzeit von Schaben, Kakerlaken, Flöhen und Wanzen bewohnte Bukarest hat sich erstaunlich positiv entwickelt. Nur die deutsche Hauptstadt hat sich zur Kloake gewandelt und starrt vor Dreck.

Und nun auch noch eine Ausstellung, in der die Bataclan-Mörder als Märtyrer gefeiert werden, die Auszeichnung des Aluhuts Ken Jebsen im Babylon und eine Demo, auf der vor dem Brandenburger Tor die Israel-Fahne verbrannt wurde. Der Breitscheid-Mörder wird natürlich auch öffentlich verehrt. Die durchislamisierte Polizei steht tatenlos daneben. Berlin sucht den Super-Hitler. Da sind einfach Wahnsinnige am Werk.

Was für eine Ironie der Geschichte. Gerade als Berlin den Geist aufgibt, ist die 1991 begonnene Neubaustrecke von München fertiggeworden. Christian Anders hat das visionär schon 1972 besungen:

Es fährt ein Zug nach nirgendwo,
den es noch gestern gar nicht gab.

Naja, man kann die neue Schnell-Bimmel ja auch benutzen, um aus Berlin zu flüchten…
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