Martin Schulz im Faschismusrausch

Heute hat der Buchhändler Martin Schulz die AfD als faschistisch denunziert. Anlaß, ein paar Gedanken zum Faschismus zu posten.

Am 20. Februar 1909 wurden die Begründung und das Manifest des Futurismus im Pariser „Figaro“ veröffentlicht. Der Futurismus ist deshalb interessant, weil er Geburtshelfer und nach 1945 Rückzugsraum des Faschismus war. Er war die ideologische Fundamentierung des für erstaunlich viele „linke“ Intellektuelle der Zwischenkriegszeit vorbildhaften Faschismus.

Tommaso Marinetti war wortgewaltig und seine Fundamentierung des Futurismus eine Aneinanderreihung starker Bilder:

„Wir blieben all die Nächte auf, meine Freunde und ich, unter hängenden Moscheenlampen mit Kuppeln aus filigranem Messing, sternbesät, wie unsere Ideen, scheinend wie die gefangenen Strahlen von elektrischen Herzen. Für Stunden kehrten wir unsere atavistische Trägheit unter reiche orientalische Teppiche, diskutierend über die letzten Überzeugungen der Logik und schwärzend viele Bögen mit unserer Wahnsinnsschrift.“

1. Wir wünschen die Liebe zur Gefahr zu besingen, die Gewohnheit der Energie und Verwegenheit.

2. Kühnheit, Frechheit und Revolte werden grundlegende Elemente unserer Poetik.

3. Bis zum jetzigen Zeitpunkt hat die Literatur eine schwermütige Unbeweglichkeit, Verzückung und Schlaf gepriesen. Wir wünschen die aggressive Aktion, ein schlafloses Fieber, des Rennpferds Schritt, die Todesspirale, die Ohrfeige und die Faust zu preisen.

4 Wir behaupten, dass der Welt Herrlichkeit durch eine neue Schönheit erreicht worden ist: die Schönheit der Geschwindigkeit. Ein rasendes Automobil, dessen Karosse mit großen Auspuffrohren verziert ist, wie Schlangen mit explosivem Atem – ein röhrendes Auto, das auf Weinbeeren zu fahren scheint, ist schöner, als die Siegesgöttin von Samothrace.

5. Wir wünschen den Mann am Steuerrad zu besingen, der die Lanze seines Geistes gegen die Erde schleudert, entlang dem Zirkel ihres Orbits.

6. Der Dichter muß sich mit Inbrunst, Freigiebigkeit und Edelmut selbst aufopfern, um das enthusiastische Fieber der primären Elemente anzufachen.

7. Ausgenommen im Kampf, gibt es keine Schönheit mehr. Kein Werk ohne einen aggressiven Charakter kann ein Meisterwerk sein. Die Dichterei muß gefasst werden als eine gewaltsame Attacke auf unbekannte Kräfte, um sie zu verkleinern und niederzuschlagen in Gegenwart von Männern.

8. Wir stehen auf dem äußersten Vorgebirge der Jahrhunderte! … Warum sollten wir zurückschauen, wenn das was wir wollen, das Niederbrechen der geheimnisvollen Tore des Unmöglichen ist? Zeit und Raum starben gestern. Wir leben immer im Absoluten, weil wir die innere, allumfassende Geschwindigkeit erfunden haben.

9. Wir wollen den Krieg glorifizieren – die einzige Hygiene der Welt – Militarismus, Patriotismus, die zerstörerische Geste der Freiheitsbringer, herrliche Ideen, die es Wert sind dafür zu sterben, und Verachtung für die Frauen.

10. Wir werden die Museen zerstören, die Bibliotheken, die Akademien aller Art, werden Moralismus, Weiblichkeit, jede bequeme oder nützliche Feigheit bekämpfen.

11. Wir werden über große Massen, die durch ihr Werk erregt sind singen, im Vergnügen und in der Ausschweifung; wir werden über die bunten polyphonen Wellen der Revolution in den modernen Hauptstädten singen; wir werden über das schwingende nächtliche Fieber der Arsenale und Werften singen, die hell erleuchtet sind von gewaltigen elektrischen Monden; von gefräßigen Bahnhöfen, die von dampfenden Schlangen verschlugen werden; von Fabriken die voll Wolken der gekrümmten Linien ihres Rauchs hängen; von Brücken, die die Flüsse wie gewaltige Gymnasten überspannen und in der Sonne aufflammen, mit dem Glanz von Messern; von abenteuernden Dampfern, die den Horizont wittern; von langbrüstigen Lokomotiven deren Räder auf den Schienen stampfen, wie die Hufen von riesigen Stahlpferden, deren Röhrenwerk im Zaum gehalten wird; und vom weichen Flug der Flugzeuge, deren Propeller mit dem Wind schwatzen wie Fahnen und anzufeuern scheinen wie eine enthusiastische Menge.

Aus Italien lancieren wir dieses unser gewalttätiges, umstürzlerisches brandstiftendes Manifest in die Welt. Mit ihm etablieren wir heute den Futurismus, weil wir dieses Land zu befreien wünschen von seinen stinkenden Kraken von Professoren, Archäologen, Fremdenführern und Antiquitätenhändlern. Zu lange ist Italien ein Verkäufer von Gebrauchtwaren gewesen….“

„Du hast Einwände? – Genug, Genug! Wir kennen diese… Wir haben verstanden!…Eure feine trügerische Intelligenz sagt uns, dass wir die Wiedergänger und Seelen unserer Vorfahren sind – Vielleicht!… Wenn es nur so wäre! – Aber wer sorgt sich? Wir wollen nicht verstehen!… Jammer über jeden, der uns diese infamen Parolen wieder sagt! Hebt eure Hände! Aufrecht zum Gipfel der Welt, immer wieder schleudern wir Trotz gegen die Sterne!“

Wie sich die deutschen Eliten zum Faschismus verhielten, kann man der „Weltbühne“ entnehmen, die von Tucholsky herausgegeben wurde. In den zwanziger Jahren immer wieder Elogen auf Mussolini in dieser angeblich linksliberalen Zeitung. Das verschärfte sich im Laufe der Zeit. Nach der Reichstagswahl von 1930, bei der die NSDAP zweitstärkste Kraft geworden war, attackierte die Weltbühne die Sozialdemokraten, weil sie ihren Wahlkampf nicht gegen die herrschenden Katholiken vom Zentrum geführt hatten, sondern gegen die NSDAP. Ab 1932 übernahm die Weltbühne die stalinistische These, dass in Deutschland unter der Herrschaft der Katholiken der Faschismus herrschen würde.

Mit dem Faschismus war nach der Sprachregelung des VI. Weltkongresses der Komintern vom Juli 1928 nicht der italienische Faschismus gemeint, auch nicht der deutsche Nationalsozialismus, sondern der sozialfaschistische Sozialdemokratismus.

Unter dem Titel: „Sowjetstern oder Hakenkreuz; Die Rettung Deutschlands aus der Youngsklaverei und Kapitalknechtschaft“ umriß der Kommunistenfunktionär Remmele am 8. Juli 1930 die Rolle der Bedeutung des Sozialfaschismus:

„…aber der Sozialfaschismus, der in alle Poren des kapitalistischen Staatsapparats eingedrungen ist und bei fetten Sinekuren die räuberische „Staatsordnung“ hütet, ist heute in- und außerhalb der Regierung der eifrigste Verfechter des faschistischen Terrorregimes gegen die Arbeiterklasse. Die Sozialdemokraten Braun und Waenting waren es, die die sofortige Entlassung aller Beamten, die sich zum Kommunismus bekannten, proklamierten. Die Zörgiebelei ist weltberühmt. Sozialfaschistische Polizeipräsidenten und Offiziere sind es, die bei den Arbeitermorden der Faschisten hilfreich zur Seite stehen. Alle diese, sich ständig wiederholenden Wahrheiten und Tatsachen müssen wir immer und immer wiederholen, die sozialdemokratischen Arbeiter und Anhänger von diesen Tatsachen, die sich ebenso gegen sie richten als Arbeiter wie gegen die Kommunisten, zu überzeugen, welch schädliche Henkerrolle die sozialfaschistische Führerschaft spielt. All das muß man immer und immer wiederholen, um zu erkennen, wie notwendig der revolutionäre Kampf gegen den Faschismus in all seinen Formen ist und der Faschismus nicht geschlagen werden und besiegt werden kann ohne den Sieg gegen den Sozialfaschismus“.

Als Buchhändler hätte Martin Schulz ja mal ein wenig lesen können. Von diesem Gebrauch der Faschismuskeule gegen die SPD hat er jedoch scheinbar keine Ahnung. Sonst würde er mit diesem Propagandawerkzeug nicht so fahrlässig umgehen. Doch bei Schulz bilden pathologische Geltungssucht und bodenlose Torheit immer wieder eine gefährliche Melange.

Den Aphorismus „Die gefährlichsten Wahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt“ hat uns Georg Christoph Lichtenberg hinterlassen. Er trifft auf das folgende zu.

Die Nationalsozialisten bezeichneten sich selbst als Nationalsozialisten und die Faschisten bezeichneten sich selbst als Faschisten. Die Nationalsozialisten wurden und werden von verschiedenen sozialistischen und reformistischen Gruppierungen gern als Faschisten bezeichnet. Die Frage ist, ob sie in wichtigen Belangen dem italienischen Vorbild genügend nacheiferten, um diese Bezeichnung sich auch zu verdienen, ob sie sich auch als Faschisten verhielten. Bei aller Gemeinsamkeit gab es nämlich auch Trennendes zwischen den fasci und den Nationalsozialisten.

Dem Grunde nach hatte der deutsche Nationalsozialismus einige ähnliche gesellschaftliche Vorstellungen und Ziele, wie der italienische Faschismus. Das betraf die Regierungs- und Staatsform, die säkularen Ideen des Vitalismus und Idealismus, die Idee der Schaffung eines Neuen Menschen, einer überlegenen neuen Kultur, die physische und künstlerische Vortrefflichkeit, Mut und Kühnheit sowie die Überwindung von Grenzen ins Werk setzen sollte. Auch die Politik der Schönheit, die bei jeder passenden Gelegenheit in den Vordergrund gestellte Darstellung des männlichen und weiblichen nackten Körpers, die Politik als inszenierte Massenveranstaltung und der Kult des Willens waren gemeinsame Schwächen. Gemeinsam war den Nationalsozialisten und Faschisten der Nitzscheanismus.

Von der Soziologie und der Parteigeschichte her hatten italienische und deutsche Volksgenossen Wurzeln, die nicht ganz identisch waren. Hitler war von Anfang an kein bekennender Marxist gewesen, war in der Münchner Räterepublik als Vertrauensmann eher ein kleines Licht und hatte sich statt dessen jahrelang in einem lebensreformerischen Schwabinger Milieu bewegt, während Mussolini zeitweilig der wichtigste Führer der italienischen Sozialisten gewesen war. Ähnlich verhielt es sich mit der Anhängerschaft der Parteien: Die Faschisten kamen zu einem weit größeren Anteil aus der Gewerkschaftsbewegung, als die Nationalsozialisten.

Der italienische Faschismus entstand in der italienischen Gewerkschafts- und Avantgardebewegung, also in einem industriellen und intellektuellen Umfeld. Von den Gründungsmitgliedern der Faschisten waren etwa ein Viertel Juden. Das wäre bei Adolf von Anfang an nicht gegangen.

Während in Deutschland die abstrakte Kunst teilweise unter das Verdikt der Nationalsozialisten fiel, waren die italienischen Futuristen und Dadaisten nicht nur Anhänger, sondern Antreiber der faschistischen Bewegung. Die 1932 eröffnete Ausstellung Mostra della Rivolutione Fascista zeigte vornehmlich modernistische und rationalistische Kunst. Mit der sowjetischen Staatskunst stand die italienische Kunst seit der Biennale 1924 in ständigem Kontakt. Stalin gab Mussolini 1932 Hinweise zur Anreicherung der faschistischen Liturgie.

Während die NSDAP von Anfang an antisemitisch ausgerichtet war, waren noch 1938 über 10.000 Juden Mitglieder von Mussolinis Bewegung. Der Antikapitalismus war in Italien nicht von jenem tierischen Ernst begleitet, als in Deutschland.

Der korporatistische Ansatz unterschied sich in Deutschland und Italien kaum. Bereits im Italien der achtziger Jahre des 19. Jh. hatte Pasquale Turiello die Notwendigkeit eines „organischen Staates“ behauptet, Ruggiero Bonghi forderte korporative Strukturen. Um 1900 verschärfte sich der Kampf gegen den politischen und wirtschaftlichen Liberalismus. Vorkämpfer des antipositivistischen Aufstands waren die beiden Anführer der florentinischen Avantgarde Giovanni Papini und Giuseppe Prezzolini, der Schriftsteller Enrico Corradini und der neoromantische Dichter Gabriele D´Annunzio. Dieses reformistisch-avantgardistische Quartett predigte nichts als brutale Gewalt, Elitedenken, Krieg und Blutverspritzen. Am Vorabend des Weltkriegs im Oktober 1913 überschlug sich Papini in der Zeitschrift „Lacerba“ fast vor Blutrunst:

„Die Zukunft…braucht Blut auf ihrem Wege. Sie braucht Menschenopfer, Gemetzel. Krieg im Innern und nach Außen…Das Blut ist der Wein der starken Völker; das Blut ist das Öl, welches die Räder jener riesigen Maschine braucht, die aus der Vergangenheit in die Zukunft fliegt.“

Begleitet von diesen radikalen Tönen entwickelte sich die italienische Sozialdemokratie ähnlich als die deutsche. Der überwiegende Teil der deutschen SPD blieb dem Marxismus verpflichtet, ein elitaristischer Teil spaltete sich als USPD ab. Auch in Italien gab es von der Kulturrevolution beeinflußte Abspaltungen. Der Wert der Gewalt wurde neu gedeutet und der Sozialdarwinismus und die Elitetheorie fanden Eingang in das sozialistische Denken, in Italien wie in Deutschland. Im Dezember 1914 verließ der Parteiführer und Redakteur Benito Mussolini die gegen den Kriegseintritt eingestellte Sozialistische Partei und schloß sich den Fascio Revoluzionario an, die den Kriegseintritt Italiens forderten und förderten. Übertroffen wurden sie darin nur von den noch blutrünstigeren Fasci Politici Futuristi. Nach dem Weltkrieg, am 23. März 1919 vereinigten sich die beiden genannten Fasci mit Kämpfern des Weltkriegs, den arditi zu den Fasci Italiani di Combattimento. Unter den 104 Gründungsmitgliedern waren 21 Schriftsteller und Redakteure, aber nur 12 Arbeiter. Damit war Mussolinis Bund perfekt, seine Entstehung unterscheidet sich von der Entstehung der NSDAP, so wie sich Mussolinis Herrschaftsausübung von der Hitlers insgesamt unterschied.

Die ideologisch gefärbte Auffassung der Kommunisten besagte und besagt, daß Nationalsozialisten Faschisten seien, weil Nationalsozialismus nichts mit Sozialismus zu tun hätte. Der Sozialismus-Begriff werde durch den Nationalsozialismus-Begriff beschmutzt.

Natürlich hat der Nationalsozialismus mit dem elitaristischen Stalinismus und dem Faschismus Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Gemeinsam ist das wesentliche: die Ablehnung von Demokratie und Marktwirtschaft. Unterschiedlich sind die sozialen Wurzeln. Der Nationalsozialismus bediente vorrangig vorbürgerliche Gesellschaftsschichten mit vorbürgerlichen Ideen, während der Stalinismus ehemalige Kronbauern und Leibeigene mit vorbürgerlichen Ideen belieferte. Der Faschismus schließlich schaffte es zwei Jahrzehnte lang, vorbürgerliche Gesellschaftsschichten, die Avantgarde und die Industriearbeiterschaft mit vorbürgerlichen Ideen zu infizieren.

Nach diesen Hinweisen zum Faschismus frage ich Martin Schulz und die SPD: Was am Programm der AfD ist denn faschistisch? Es erscheint mir eher als Programm zur Wiederherstellung bürgerlicher Werte und Freiheiten, die in der Merkelzeit verloren gingen.

Wenn ich mich nicht täusche, bastelt doch eher die Bundesregierung im Schulterschluß mit den Medien am Neuen Menschen. Und nicht die AfD. Wer den Splitter im Auge des Nächsten sieht, sollte auch den Balken im eigenen Auge wahrnehmen. Soweit reichts bei Martin nie. Seine Glupschaugen hält er für porentief rein. Er ist im biblischen Sinne der typische Pharisäer. Selbstgerecht.