Erneuerung geht nur in der Opposition

Der Kreisparteitag begann mit der Eröffnung und mit Grußworten. Zunächst durfte der Bürgermeister der Stadt, zufällig ein Parteimitglied, ein paar salbungsvolle Worte sagen. Dann kam eine endlose Reihe von Ministern und Staatssekretären an die Reihe, die den Anwesenden erklärten, welche gefährlichen Machenschaften der Opposition sie durch ihre Arbeit – in der Russenzeit hieß das „revolutionäre Wachsamkeit“ – vereitelt hätten. Der Kreisvorsitzende hielt den Rechenschaftsbericht als Hauptreferat, nicht ohne die Mitgliederzahl zu erwähnen. Von diesen Mitgliedern waren etwa 5 % zum Parteitag anwesend, alle wußten, daß 10 bis 20 % schon jahrelang keine Beiträge mehr bezahlt hatten. Die Kartei wurde nicht bereinigt, da die Mitgliederzahl über die Anzahl von Delegierten für Landes- und Bundesparteitage entscheidet.

Über den Reden waren bereits drei Stunden vergangen. Die Rechnungsprüfung wurde verlesen und die Kreisvorstände wurden da die Zeit schon fortgeschritten war, im Block gewählt. Sie waren bereits vorab vom Kreisvorsitzenden ausgewählt und kontaktiert worden. Die meisten waren Bürgermeister und Mitarbeiter von Landtagsabgeordneten. Einer der beiden Landtagsabgeordneten aus dem Kreis wollte selbst auch noch etwas sagen. In der Zählpause durfte er die sich unterhaltenden Mitglieder mit krähender Stimme übertönen. Das Ergebnis der Wahl wurde bekanntgegeben, die Nationalhymne wurde gesungen, ein Foto von den Gewählten gemacht und alle eilten nach Hause. Es war nicht ein einziges Mitglied ohne Posten und ohne Mandat zu Wort gekommen.

Liebe Leser, dreimal dürfen Sie raten, um welche Partei es sich handelt. Ich denke, daß es ein generelles Problem von Regierungsparteien ist. Der Apparat überrollt alles. In der Regierung kann sich eine Partei nicht erneuern. Sie wird von Funktionären regelrecht besoffen gequatscht.

Wenn die SPD sich in der Regierung erneuern will, so ist das eine schöne Illusion. Es wird alleine mehrere Parteiwahlen brauchen, bis die Vorstände und Parteitagsdelegierten ausgewechselt sind. Parteiwahlen finden in der Regel alle zwei Jahre statt. Man muß also vier bis sechs Jahre Geduld haben und die Oppositionsbänke drücken, bis im günstigsten Fall eine personelle und damit möglicherweise inhaltliche Erneuerung in Gang kommt. Denn die Minister und sonstigen Hofschranzen müssen erst mal in die Wüste verbannt sein. Leider bleiben die meisten Wahlkreis- und Fraktionsmitarbeiter der Partei erhalten. Wenn eine Partei wie in Bayern oder Sachsen nur 10 % der Mandate erringt, ist das für die innerparteiliche Demokratie ein Glücksfall. Frau Kohnen sollte dem Lieben Gott danken und in allen bayrischen Kirchen Kerzen anzünden und die Glocken läuten lassen.

Früher trat das Führungspersonal nach einer Wahlniederlage zurück, um die Entschlackungsprozesse zu beschleunigen. Heute sind fast alle mit Pattex angeklebt und müssen zusammen mit dem Stuhl herausgetragen werden.  Das Ergebnis der Bundestagswahl hätte eigentlich zu Konsequenzen führen müssen. Aber außer dem unglücklich agierenden Spitzbart hat es niemanden ausgeschert.

Es ist zwar relativ weltfremd, was ich jetzt fordere: Eine Reduzierung der üppigen Fraktionsgelder im Bundestag und in den Landtagen wäre gerade für die Lebendigkeit der Auseinandersetzung in Oppositionsparteien hilfreich. Denn die hauptamtlichen Apparate erdrosseln die Demokratie und blockieren notwendige Korrekturen.