Wie eine Elitenpartei unterging

„Die Grünen sind eine Partei für Leute, die Zeit, Geld und Bildung zum Nachdenken haben und die ein gutes Gewissen suchen – und das meine ich nicht sarkastisch. Es ist die Partei für die gesellschaftliche Klasse, der ich selber angehöre.“ So ehrlich twitterte der etwa hundertfache Millionär Jakob Augstein – er rangiert in der Medienlandschaft finanziell auf Augenhöhe mit Dieter Bohlen – seine Blaseninnenansicht in die Welt.

Diese Elitisten, die besonders in den Medien und im Staatsapparat zu Hause sind, hat es immer schon gegeben. Gerade jährt sich zum hundertsten Male der Tag, wo eine soziologisch ganz ähnliche Partei wie die Grünen gegründet wurde. Und binnen zwölf Jahren sang- und klanglos unterging.

Die Deutsche Demokratische Partei DDP wurde Ende November 1918 aus der Taufe gehoben, nachdem das Genesen der Welt am deutschen Wesen gerade gescheitert war. Ein neuer Anlauf sollte genommen werden, wenn schon nicht mit Waffen, so mit der Kraft der Hypnose. Den Gründungsaufruf veröffentlichte am 16.11.1918 der Chefredakteur des „Berliner Tageblattes“ Theodor Wolff. Es sollte „eine große demokratische Partei für das einige Reich“ sein. Am 16. November hatte Wolff in seiner Wohnung am Tiergarten sechs Herren empfangen, die ihm antrugen, die Gründung einer neuen demokratischen Bürgerpartei in die Hand zu nehmen, weil er dazu „wegen seiner Haltung während des Krieges der richtige Mann sei“ und weil „die alten liberalen Parteien ihre Rolle ausgespielt hätten; jetzt müßte eine neue Partei das Bürgertum sammeln und zu politischem Handeln führen, und zwar Schulter an Schulter mit der Arbeiterschaft“. Wolff erklärte sich sofort bereit, „eine Anzahl gut ausgesuchter, nicht kompromittierter Personen“ für die Parteigründung zu gewinnen und einen entsprechenden Aufruf zu verfassen. Zu den handverlesenen Gründungsmitgliedern gehörten Albert Einstein, Max Weber, Alfred Weber, Hjalmar Schacht, Otto Schott, Friedrich Naumann und Hugo Preuß.

Der Großteil des Gründerkreises der DDP speiste sich nicht aus Mitgliedern von Altparteien, sondern vor allem aus bekannten Journalisten, Professoren, Unternehmern und höheren Beamten, die zuvor noch keine parteipolitische Erfahrung gesammelt hatten. Weiterhin fanden sich einige Repräsentanten des Monopolkapitals (damals war dieser später oft mißbrauchte Begriff durchaus zeitgemäß) wie Walther Rathenau, Generaldirektoren und Syndici sowie Verbandsfunktionäre und Gewerkschafter zusammen. Letztere aus Bereichen, die heutzutage von ver.di vertreten werden.

Es war also jene Melange, die Jakob Augstein als „seine gesellschaftliche Klasse“ wahrnimmt. Bei der Wahl zur Nationalversammlung 1919 erreichte die DDP respektable 18,6 % der Wählerstimmen.

Schon ein Jahr später bei der Reichstagswahl 1920 waren nur noch 8,3 % übriggeblieben. Vor allem die Landwirte hatten sich verabschiedet, denn sie mußten in der Nachkriegszeit immer noch zu Festpreisen der Kriegswirtschaft produzieren, die die Kosten kaum deckten. Aber auch das Handwerk war auf der Flucht, denn die produzierenden Stände merken schnell, wenn nur schöne Phrasen herumschwirren. So wie heute der gewerblich-technische Mittelstand zur AfD unterwegs oder schon angekommen ist, so strömte er in Stresemanns Volkspartei DVP. Letztere verbesserte sich zwischen 1919 und 1920 von 4,4 auf 13,9 %.

1920 zählte die DDP rund 800.000 Mitglieder, bis 1927 sank die Zahl auf 117.000.

Ein Moment des Niedergangs der DDP war die Inflation. Während Handwerker und Landwirte in Grund und Boden, Maschinen und Vieh investiert waren, hatte das Bildungsbürgertum vor allem Bankguthaben und Kriegsanleihen. 1924 war das alles rasiert. Die Bauern und Gewerbetreibenden hatten ab 1924 vom Staat auferlegte Zwangshypotheken mühevoll abzustottern, und die Creme der gebildeten Gesellschaft hatte nichts mehr, außer Hochmut und Bitterkeit.

Im Mai 1924 erzielte die DDP noch 5,7 %, die abtrünnigen Wähler liefen in Scharen zu den Antisemiten und Konservativen über. Ende 1924 konnte sich die DDP noch einmal auf 6,3 % berappeln, 1928 mitten in der letzten Konjunkturphase der Republik wurden nur noch 4,9 % erreicht, danach sackte sie in der Weltwirtschaftskrise auf 1 % zusammen. Da half es auch nichts mehr sich in „Staatspartei“ umzubenennen und mit dem Jungdeutschen Orden zu fusionieren. Der Kredit war verbraucht, die Marke ruiniert, die Anhängerschaft fand sich im Umfeld der NSDAP wieder, teilweise auch die Gründerväter. Die Studentenvertretungen beispielsweise waren deutschlandweit am Ende der 20erJahre, also noch vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise, fest in nationalsozialistischer Hand.

Die Statik von Elitenprojekten ist wacklig, weil zu viele Reißbrettdenker und Selbstdarsteller die Bühne bevölkern. Weil zu viele Versprechen gemacht werden, die sich in Luft auflösen. Weil zu wenig ökonomischer Sachverstand da ist und schlicht zu wenige Leute rechnen können. Wenn dann noch die ökonomische Grundlage der Wolkenschlösser ins Ruckeln kommt, die Steuereinnahmen zurückgehen, verläuft sich alles.

Was nützen uns diese Weimarer Betrachtungen? Sie weisen uns den Weg, weil sich alles wiederholt, und wenn auch nur als Farce. Vor ein paar Tagen sind wir mit der Wählerwanderung der Hessenwahl konfrontiert worden. Die interessanteste Größe sind die Stammwähler, also diejenigen, die nicht so flüchtig sind. Die 2013 und 2018 dieselbe Partei oder garnicht gewählt haben. Hier erkennen wir die derzeitige Bindung der Bürger an politische Markenbotschaften.

Stammwähler:
Nichtwähler 73,0 %
AfD 70,1 %
Grüne 54 %
CDU 49,8 %
Linke 44,4 %
SPD 43,9 %
FDP 38,6 %

Die Bindekraft von CDU und SPD sähe wesentlich schlechter ohne die Wähler über 60 aus. Beide Parteien verdanken ihre Stammwähler überdurchschnittlich der Alterskohorte 80 +, wo sie viel stärker sind, als die Mitbewerber.

Die Elitenparteien haben schon heute eine wesentlich geringere Bindung an ihre Anhänger als Nichtwähler und AfD. Wir werden sehen, daß die Bindung bei den Staatsparteien weiter nachläßt, wenn die Steuereinehmen schwächeln. Dann ist nicht mehr jedes Projekt machbar und vielen Schmarotzern und Nutznießern des Systems wird es etwas schlechter gehen. Das sind nicht gleich Weimarer Verhältnisse, aber die Leut sind heute auch etwas druckempfindlicher und allergischer, als vor hundert Jahren. Die Großelterngeneration war im Durchschnitt aus einem härteren Holz geschnitzt, als die Elitekaste Jakob Augsteins.