Wie Polen vor 100 Jahren auferstand

In ein paar Tagen wird es in Warschau wieder richtig krachen. Der hundertste Unabhängigkeitstag wird würdig gefeiert werden. Mit der Nationalhymne, Böllern, bengalischen Feuern und Fahnen. PEGIDA ist Kindergeburtstag dagegen. Die elitären deutschen Mainstreammedienhuren werden vor Wut schnauben und vor Ekel Pickel bekommen.

Die Wiedergründung des polnischen Staats erfolgte während des Ersten Weltkriegs scheibchenweise. 1915 wurde das von Russland eroberte Kongresspolen in zwei Generalgouvernements eingeteilt, ein vom deutschen General Hans von Beseler verwaltetes in Warschau, ein vom österreichischen Feldmarschall-Leutnant Karl Wilhelm Eglisius Kuk verwaltetes in Lublin. Sehr schädlich für die prinzipiell mittelmächtefreundliche Stimmung in Polen wirkten sich allerdings geplante Gebietsabtretungen an Preußen und Österreich aus. Am 5. November 1916 wurde im Säulensaal des Warschauer Schlosses von General Hans von Beseler das Königreich Polen proklamiert, allerdings ohne Grenzen und ohne einen König. In der Deklaration der Kaiser von Deutschland und Österreich-Ungarn am 5. November 1916 war eine klare Kundgebung enthalten, daß Polen nicht Großpolen und Westpreußen umfassen würde.

Das waren jedoch früher polnische Kronlande gewesen. Großpolen entsendete seit 1871 fast nur polnische Abgeordnete in den deutschen Reichstag, Westpreußen die knappe Hälfte. Etwa 55 % der Einwohner von Westpreußen waren 1905 deutsch.

Es entstanden in Polen zwei polnische Parteien; eine deutschfreundliche und eine deutschfeindliche, letztere naturgemäß besonders in Großpolen, das zu Preußen gehörte und keine Aussicht auf die Unabhängigkeit sah. Am 22. Januar 1917 sprach sich Präsident Roosevelt im amerikanischen Senat für ein unabhängiges und geeintes Polen aus, was die Unabhängigkeitsbewegung stärkte. Am 22. Juli 1917 nahm das Unglück seinen Lauf: Staatsrat Pilsudski wurde von General von Beseler in Schutzhaft genommen, nachdem man sich über die Eidesformel für die polnische Armee verstritten hatte. Pilsudski saß bis Oktober 1918 in der Zitadelle Magdeburg.

Derweilen kam es im Dezember 1917 zu neuen Irritationen. Der von Deutschland initiierte Landesrat von Litauen proklamierte einen Staat mit der etwa hälftig polnisch bewohnten Hauptstadt Wilna, was in Polen zu erneuter Verärgerung führte. Bis zum 18. Jahrhundert waren Polen und Litauen vereint, so daß dieses Problem der Grenzziehung neu war. Am 9. Februar 1918 waren die Friedensverhandlungen zwischen Deutschland und der Ukraine soweit gediehen, dass es zur Unterzeichnung eines Friedensvertrags kam. Chelm sollte an die Ukraine abgetreten werden, was in Polen zu erneuter Unruhe führte. Am 22. März 1918 beschloß der deutsche Reichstag den Aufbau von nationalen Verwaltungen in Polen, Litauen und Kurland, kurze Zeit später wurde diese freundliche Geste durch die polenfeindliche Haltung des preußischen Herrenhauses konterkariert.

Nach der Ernennung von Max von Baden als deutscher Reichskanzler bat der polnische Regentschaftsrat am 6. Oktober 1918 um die Freilassung Pilsudskis. Gleichzeitig übergab Hans von Beseler die Verwaltung an polnische Beamte. Am 15. Oktober 1918 fielen Galizien und Lodomerien von Österreich ab und erklärten sich als Bestandteil des polnischen Staates. Die polnischen Regimenter des österreichischen Heeres, die Reste von Pilsudskis Legion und die blaue Armee General Hallers, die in Frankreich aufgestellt worden war, vereinigten sich zur polnischen Armee. Am 8. November entsandte Max von Baden den Diplomaten Harry Graf Kessler nach Magdeburg, um die Freilassung Pilsudskis vorzubereiten. Nun musste man den Führer der Unabhängigkeitsbewegung freilassen und versuchte die Stimmung Pilsudskis in einem Moment zu erkunden, ja Garantien und Versprechen von ihm zu erlangen, wo er eindeutig der überlegene Part war.

Die deutsche Politik tat viel Richtiges und viel Falsches, aber das Richtige meistens zum falschen Zeitpunkt und das Falsche zum „richtigen“ Termin, wo es den außenpolitischen Schaden unbehindert entfalten konnte. Graf Kessler sollte das in Jahren Versäumte nun an zwei Tagen richten.

Graf Kessler und der aus der Gegend von Wilna stammende Kleinadlige Jozef Pilsudski kannten sich bereits aus ihrer Offizierszeit an der russischen Front 1915. Die Zugehörigkeit zur Offizierskaste war dem damals herrschenden elitären Zeitgeist der Jugendbewegung entsprechend prägender für das Miteinander, als die ethnische Herkunft der Personen. Das galt für die k. u. k. Armee noch mehr, als für die preußische. Der erreichte Rang verband.

Pilsudski sprach damals mit Kessler über die Notwendigkeit des Zusammenschlusses von Galizien und Kongreßpolen aber bekräftigte damals nicht den Anspruch auf Westpreußen wie auch auf Großpolen, also im preußischen Sprachgebrauch der Provinz Posen. Beide konnten jedoch nicht voraussehen, daß die Westmächte im Falle einer deutschen Niederlage dem polnischen Staat Westpreußen offerieren würden. Interessant ist auch folgende Feststellung Pilsudskis, notiert durch Kessler über die Notwendigkeit gutnachbarschaftlicher Beziehungen zu Deutschland. Kessler notierte 1915 in das Tagebuch:

„Für jedermann indessen ist es die Hauptsache, daß Deutsche und Polen ihre alte Feindlichkeit vergessen, sogar Freundschaft lernen wie zwischen Nachbarn, und schließlich klüger werden“.

Während der Waffenstillstandsverhandlungen mit den Westmächten sandten die deutschen Räte den Grafen Kessler am 31. Oktober 1918 nach Magdeburg, um den Standpunkt Pilsudskis gegenüber Deutschland zu sondieren. Wie er in sein Tagebuch schrieb, meinten die deutschen Räte, dass General-Gouverneur von Beseler seine Macht verlieren würde und hofften, daß „die Katastrophe in Polen nur verhindert werden könnte durch einen Volkshelden“. Kessler sollte bewirken, dass Pilsudski dem Chef des deutschen Stabes, General Hoffmann seine Unterschrift geben würde, keine Aktionen gegen Deutschland zu unternehmen. Kessler – wie er in sein Tagebuch schrieb – missbilligte den Plan einer solchen Deklaration. Gemäß der Erinnerung von Pilsudskis Mitgefangenen Sosnkowski sprach Kessler mit Pilsudski über die Grenzen. Er drückte sein Verständnis für den Anspruch der Polen auf das bis dahin preußische Großpolen aus, aber der Verbleib von Danzig und Schlesien bei Deutschland sei eine Bedingung sine qua non (ohne die es nicht geht). Darauf entgegnete Pilsudski „non possumus. (das kann ich nicht) Ihr haltet mich im Gefängnis, ihr könnt mir keine Bedingungen stellen.“

Es war wohl nicht nur Zufall, daß am 8. November 1918, dem Tag, an dem Kessler zum zweiten Mal zur Magdeburger Zitadelle strebte, ein deutscher Feldwebel Pilsudski und Sosnkowski die Zeitung „Die Woche“ übergab. Es war dort auf der ersten Seite ein großes Porträt Pilsudskis mit der Unterschrift „General Pilsudski, der neue Oberbefehlshaber der polnischen Armee“ abgedruckt. Der polnische Regentschaftsrat hatte Pilsudski in Abwesenheit ernannt. Kessler füllte seine Mission aus. Er begleitete Pilsudski und Sosnkowski nach Berlin und brachte sie ins Hotel Continental. Im Continental sprach Kessler noch einmal mit Pilsudski über die Grenzen. Er konnte schlecht von Pilsudski erwarten, dass er die westlichen „Geschenke“ der Entente nicht annehmen würde. Und er warnte vor der Wegnahme Westpreußens, weil das Rache herausfordern würde. Aber jeder blieb bei seinem Standpunkt. Als Kessler Pilsudski und Sosnkowski nach Warschau verabschiedete, war in Deutschland die Revolution ausgebrochen.

Der Heimmarsch der deutschen Truppen durch Polen verlief zunächst weitgehend im Einvernehmen, Graf Kessler wurde wegen seiner Expertise und wegen der Bekanntschaft mit Pilsudski vom Vollzugsrat des Arbeiter- und Soldatenrates Groß-Berlin am 18. November 1918 als erster deutscher Botschafter in Warschau bestätigt. Auch er konnte die Zerrüttung des deutsch-polnischen Verhältnisses im Zuge der Versailler Verhandlungen nicht aufhalten und mußte nach Abbruch der diplomatischen Beziehungen bereits nach einem Monat nach Berlin zurückkehren.

Die alte Rzeczpospolita („gemeinsame Sache“) des 18. Jahrhunderts, wo Polen, Litauer, Ukrainer, Deutsche, Weißrussen, Juden und Letten, zeitweise auch Sachsen und Thüringer relativ konfliktarm in einer Republik bzw. unter einer Krone lebten, konnte nicht wieder hergestellt werden. Das wollte auch niemand wirklich. Erstens war durch die französische Revolution und die anschließenden Napoleonischen Kriege das Konzept des Nationalstaats in ganz Europa zum unumstrittenen Staatsmodell geworden. Zweitens war inzwischen ein staatliches Bildungswesen entstanden, welches automatisch den Sprachenstreit und die Abgrenzung der Völker befeuerte. Und drittens hatte staatliches Papiergeld das private Goldgeld abgelöst. Die Wirtschaft mußte staatlichen Gesetzen gehorchen, die nicht mit der Kultur aller Nationalitäten gleichmäßig kompatibel waren. Die Zeit, wo jeder machen konnte, was er wollte war mit Papiergeld definitiv vorbei, auch in Polen. Über hundert Jahre war Polen von Russen, Preußen und Österreichern bürokratisiert worden, nun liefen die Polen so, wie sie es bei ihren Kolonialmächten gelernt hatten. Es wurde in der Zwischenkriegszeit ein „normales“ europäisches Land und war nicht mehr die freiheitliche, manchmal anarchische Adelsrepublik.

1918 konnte man das Polen des 18. Jahrhunderts nicht adäquat wiederherstellen, weil 130 Jahre vergangen waren und völlig andere Bedingungen herrschten.

Ich denke bei diesem Fakt an die anstehende Wahl des CDU-Vorsitzenden. Viele Bürger und einige CDU-Mitglieder denken, man könne mit Friedrich Merz die Uhr auf 2005 zurückdrehen. In den 13 Jahren der Merkel-Herrschaft sind jedoch auch Fakten entstanden, die eine einfache Rekonstruktion der guten alten Zeit verhindern werden. Deutschland muß entmessert und entspargelt werden, die Ablehnung des Migrationspakts steht auf der Tagesordnung, die Zensur und die GEZ müssen abgeschafft und die Autoindustrie gerettet werden. Alles Maßnahmen und Aktivitäten, an die 2005 keiner gedacht hat.

2005 konnte man von der Steuererklärung auf dem Bierdeckel träumen, 2018 muß der Stall des Merkel-Augias ausgemistet werden. Da braucht es einen Chef mit den Kräften von Herakles.

Literatur:

Wikipedia: Das Regentschaftskönigreich Polen

Anna M. Ciencala: Jozef Pilsudski i niepodleglosc Polski