Der Tanztaumel als Vorläufer des Klimataumels

Die Greta-Hüpfdemos wurden bereits mit den Kinderkreuzzügen, mit Hitlerjugend und BDM, sogar mit den Thälmannpionieren und der FDJ verglichen. Denken fängt eben immer mit Vergleichen an. Ich finde die größte Übereinstimmung mit den „kein-Blut-für-Öl-Demos“ 1991. Dieses perfekte Zusammenspiel zwischen Medien und Lehrerschaft bringt in der Übereinstimmung die meisten Treffer.

Ich habe noch einen Vorläufer entdeckt, der hinsichtlich des Hüpfens, also der Ableitung des jugendlichen Bewegungsdrangs interessant ist.

Auf einem Treffen der Wandervögel Pfingsten 1920 in Kronach scharte Muck Lamberty 25 junge Mädchen und Männer um sich und begann von dort aus seinen spektakulären Zug durch Franken und Thüringen. Mit der sogenannten „Neuen Schar“ erregte er viel Aufmerksamkeit und hielt überall den gleichen Vortrag: „Die Revolution der Seele, der Zusammenbruch des Alten und die Empörung der Jugend.“

„Seit Pfingsten durchzieht ein revolutionärer Stoßtrupp, der sich die ‚Neue Schar‘ nennt, Thüringen. Maschinengewehre, Handgranaten und ähnliche von ihm für veraltet gehaltene Revolutionsrequisiten führt er nicht mit sich. Er will nämlich ’nur‘ die Herzen revolutionieren.“ So die „Die Weimarer Botenfrau“, 2. Jg. Nr. 2, Oktober 1920.

Die Neue Schar lebte in der Spielbewegung und in ihrem Gemeinschaftsleben die von ihnen erstrebte Volksgemeinschaft vor, wie sie Mucks idealistisch-völkischen Vorstellungen entsprach. Die Spiele und Tänze sollten echte Freude und ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl geben. Die Neue Schar glaubte an die Jugend als einzige Kraft, die die neuen Wege weisen könnte. Im Stil des Wandervogels lehnten sie das veräußerlichte kulturelle Leben, den Kinoschmutz und die modernen Schiebetänze, den Alkohol und das Rauchen ab. Die Neue Schar zog über Kronach, Coburg, Sonneberg, Leutenberg, Rudolstadt, Saalfeld, Pößneck, Kahla, Jena, Weimar, Erfurt, Gotha, Eisenach zur Leuchtenburg.

Öffentliche Gebäude und einige Kirchen wurden ihnen geöffnet. In Jena war das Volkshaus zu klein, in Weimar konnte die Herderkirche, in Erfurt die Barfüßerkirche und in Eisenach die Georgenkirche den Ansturm der Anhänger der Neuen Schar nicht fassen. Auf dem Domplatz in Erfurt hörten 15.000 bis 20.000 Menschen am 26. August 1920 Mucks Rede, die er von der Außenkanzel über dem Barfüßertreppchen am Dom hielt. Vormittags zeigte die Neue Schar den Kindern Tanz- und Volksspiele. Nachmittags spielten sie für Erwachsene und Jugendliche. Am zweiten, am dritten Tag war die ganze Stadt von einem Taumel erfaßt. Vor allem in Erfurt erschienen Kinder und Jugendliche in großer Zahl. Je einer der Neuen Schar kam bei der Anleitung zum Tanz auf 100 bis 300 Kinder. Der gesamte Domplatz war eine wogende, tanzende Masse. Eine wesentliche Rolle spilten die Lehrer, die mit ihren Schützlingen in Klassenstärke anrückten.

Auch die Vorträge Mucks über „Die Revolution der Seele“ verstand die Neue Schar emotional wirkungsvoll auszugestalten. Die bekannten Gärtnereien Erfurts hatten Astern in Überfülle geschickt, mit denen die Neue Schar die Barfüßerkirche stimmungsvoll schmückte.

Die Astern wurden in kürzester Zeit zu Kränzen gewunden. Mit staunenswertem Form- und Farbensinn wurden die Blumen angebracht, über die Kanzel, die Orgelempore, um die mächtigsten Säulen gewunden. Eichenlaubkränze, Kerzenbeleuchtung und von der Neuen Schar aus Weimar einstimmig vorgetragene Marienlieder bildeten die stimmungsvolle Kulisse für Mucks Rede.

„Wie es kam, konnte später niemand mehr beschreiben; aber es ist eine verbürgte Tatsache, daß überall biedere Bürger plötzlich zu tanzen begannen, ganze Städte wurden wie von einem Taumel ergriffen, die Werkstätten standen still, man hörte auf zu arbeiten, alles tanzte zu den Klängen des Muck und seiner Schar. Und wenn die Begeisterung am höchsten war, dann sprach Muck-Lamberty zu der fanatisierten Menge und überzeugte sie, daß die Wirklichkeit nur Schein sei, daß Armut, Alltag und Gegenwart nichts gelten und daß das wahre Leben das Leben im Tanz sei.“ So nachzulesen in: Fritz Borinski, Werner Milch, Jugendbewegung. Die Geschichte der deutschen Jugendbewegung 1896- 1933, Ffm, S. 45 f.

Die Neue Schar hatte auf ihrem Zug durch Thüringen einen überwältigenden Erfolg und zog Zehntausende in ihren Bann. In den meisten Städten, durch die sie gekommen waren, bildeten sich nach ihrem Vorbild Jugendkreise, die sich Neue Schar nannten. Zeitgenössische Beobachter faszinierte diese Bewegung, sie verglichen sie mit den Kinderkreuzzügen, dem Rattenfänger von Hameln, mit tanzenden Derwischen und den Flagellanten des Mittelalters. Aber es gab auch viele kritische Stimmen, die sein reformistisches Programm ablehnten. Die Deutschnationalen nennen ihn einen Kommunisten, die Kommunisten schalten ihn einen Reaktionär.

Überall verteilte die Neue Schar Handzettel mit ihrem Programm. Obenan stand ein Leitsatz von Muck Lamberty:

So kommt es sicher, daß die Jungen sich verbinden, gegen alles Morsche und Faule und gegen die Verderbtheit der heutigen Gesellschaft zu kämpfen, die Jugend, die über allen Parteien steht, um des Lebens willen.

Typisch für die Neue Schar war auch das ohne Verfasserangabe abgedruckte Gedicht:
„Bursche, laß was flattern, wehen,
Tut mir doch nit so gesetzt
Bissel stürmisch muß es gehen,
Soll was Freudiges geschehen,
Tut was, was die Leut entsetzt!
Tut mir nit so vereist!
Glut ist Geist!“

„Acht Tage lang habt Ihr Euch auf dem Vogelschießen Bauchtänze und andere seichte Sachen alter ‚Kultur‘ zeigen lassen, habt Dreck geschluckt und Eure Ohren und Sinne durch Drehorgeln, allerlei Blödsinn, seelenlosen Kram betäuben lassen. Alles andere – nur kein Sichfreuen, kein Sichkennenlernen, kein gesundes, herzhaftes Fröhlichsein, kein Volksleben. Besinnt Euch! Unser Volk muß untergehen, wenn die Jungen und Junggebliebenen nicht aufstehen und an sich arbeiten. Wir wollen in den Tagen, die wir bei Euch sind, mit Euch leben und kämpfen gegen Vergnügungen aller Art, die die Jugend ausbeuten an Leib und Seele aus Geldinteressen, und rufen Euch auf, die Tage mit uns zu verbringen in rechter Fröhlichkeit. Das soll aber nur ein Anfang sein, wir wollen mehr als spielen! Wie wir mit Euch leben wollen, steht auf der Umseite.“

Während Muck für das Brauchtum des Mittelalters und unschuldige Reigen warb, schwappte parallel wie nach jedem Krieg eine Welle seichter Vergnügungssucht durchs Land. Die Überlebenden der Schützengräben und die unfreiwilligen Witwen wollten tanzen, vergessen und Bekanntschaften schließen, die Berlinbesucher strebten in fragwürdige Revuen. Im Schutze der Dunkelheit wurde vor allem nachts gegen den Geist Lambertys gesündigt, tags darauf wurden verkatert Gänseblümchenkränze gewunden, Reigen getanzt und Volkslieder gesungen.

Aber nicht nur das Morsche und Faule der damaligen Gesellschaft stank vor sich hin; Muck selbst wurde nachts von lüsternen Dämonen heimgesucht. Zwei oder drei seiner Vortänzerinnen des Zugs durch Thüringen wurden gleichzeitig von ihm schwanger. War dieses das Sichkennenlernen, das gesunde, herzhafte Fröhlichsein der Jungen und Junggebliebenen? Das ausschweifende Liebesleben nahm ihm die abstinente Jugendbewegung übel und sein kalter keuscher völkischer Stern verglühte im barocken Firmament weiblicher Fruchtbarkeit so schnell wie er grad aufgestiegen war.

Der zeitweilige Erfolg Lambertys als Wanderprediger, Vorhüpfer und Volksliedbarde beruhte auf dem Erkennen der eigentlichen Grundstimmung im Lande, die nicht nur heut, sondern auch 1920 rückwärtsgerichtet, jugendoptimistisch und antidemokratisch-elitaristisch war.

Eine fleißig recherchierte Quelle zum Tanztaumel mit viel Bildmaterial ist >hier zu finden: