Meine schlechte Erinnerung an Gundermann

Im Juli 1994 gab Bob Dylan in Gotha ein Konzert. War nicht gerade billig, eine Karte kostete 25 DM. Aber ich verdiente damals gerade gut. Es war die Zeit, als der Meister schon etwas desillusioniert war und seine Lieder am liebsten zersang.

Vor dem Einlaß waren ein paar Althippies kollabiert. Nicht weil man da so lange stehen mußte, sondern weil sie Rauschgift genommen hatten. Die Ostsanitäter wußten damit nicht routiniert umzugehen.

Dylan tritt erst auf, wenn die Sonne untergeht. Das dauert im Juli. Bei dem Konzert in Gotha schien sie wirklich, es war ein wunderschöner Sommerabend im Schloßgarten. Vor seinem Auftritt rackerte sich ein Sänger ab. Es war Gundermann. Zahlreiche Leute aus dem Publikum schrien immer wieder „Aufhören!“, aber er sang unbeirrt weiter. Textlich paßte er nicht zu Dylan. Letzterer ein Meister der textlichen Vieldeutigkeit und Verschwurbelung, Gundermann eher ein Agitator mit dem Holzhammer.

Aber schauen wir mal was Gundermann zu berichten hatte. Quelle: Schütt, Hans-Dieter: Tankstelle für Verlierer, Gespräche mit Gerhard Gundermann, Eine Erinnerung, Berlin 2006, S.40-41.

Hans-Dieter Schütt: Man hat dich den Springsteen des Ostens genannt und den Dylan des Tagebaus. Und eines Tages, nach der Wende, hast Du mit Bob Dylan auf einer Bühne gestanden.

Gerhard Gundermann: Wir standen nicht mit ihm auf der Bühne. Wir standen vor ihm. Wir waren die Vorband.

HDS: Hat er euch wenigstens gehört?

GG: Ach! Der hörte gar nichts, der hörte ja nicht mal sich selber. Und seine Band auch nicht. Seine Musiker sind wahrscheinlich gar nicht so gut, nur eines müssen sie möglichst perfekt beherrschen: beizeiten herauskriegen, welche Harmonien der Meister gerade spielt. Er wurde aus seinem Wohnwagen herausgeführt, ich glaub´,der wusste nicht mal, ob er in Gotha oder in Dresden ist. Der Weg zur Bühne war mit Klebestreifen markiert. Die Bühne muss immer gleich sein. Dann spielt er, wortlos, tritt wieder ab. Von der Band war später zu hören, es sei die beste Tournee seit Jahren gewesen, denn die Musiker hätten sehr früh geahnt, was Bob spielen würde, und er selbst hätte auch meistens in der richtigen Tonart gesungen. Das Höchstmaß an Kommunikation war in Halle zu erleben: ein kleiner Schrei am Ende des Konzerts. Auch auf Dylan traf zu: Die Kunst ist oft besser als der Künstler. Also wir sind nicht vor Glück umgefallen, vor ihm zu spielen. Wesentlicher als Dylan sind seine Songs. Songs sind wie Kinder, die man in die Welt setzt und die sich dann allein bewegen. Man sollte die Kinder nich in den Eltern suchen, sondern als eigene Persönlichkeiten behandeln. Dylan ist kein Denkmal, sondern Produzent von Denkmälern. Er geht, die Lieder bleiben.

Dylan spielte sich nach anfänglichen emotionalen Problemen warm. Eine Wiisenschaft war die Auswahl der zahlreichen Gitarren. Er hatte da einen Spezialisten, der ihm immer die richtige zureichte. Die zweite Hälfte der Darbietung entsprach den Erwartungen des Publikums. Ein bißchen Rolling Thunder der verpaßten und verpatzten 80er. Nach dem Ende des Konzerts war aus Gotha kaum rauszukommen. An jeder Ampel Stau. Mitten in der Nacht.

Daß man aus Gundermann nun einen Film gemacht hat, erstaunt mich. Er kam wirklich schlecht an als Vorgruppe. Vielleicht hat er auch nur zum Dylan-Publikum nicht gepaßt. Wer musikalisch mit Renft und Diestelmann groß geworden war, und im Untergrund krächzende Bänder (die dritte Kopie von einem Radiomitschnitt bei Gewitter) mit Dylantiteln gehört hatte, war eher oppositionell. Das hatte die Agentur falsch eingeschätzt.