Die Eliten stahlen den Normalos den Sieg

Wer durchbrach das sechssäulige Brandenburger Tor? In den Büchern stehen die Namen von Oppositionellen. Haben die Dissidenten in der Bornholmer Straße vor dem Grenzübergang gedrängelt? Und das ruinierte Sachsen, Thüringen, Brandenburg, wer baute es wieder auf? War es Kanzler Kohl, König Kurt oder das Neue Forum?

Solchen Fragen ging ein Gespräch zwischen Professor Detlef Pollack und Dr. Peter Krause nach, das gestern bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ettersburg, Krs. Weimarer Land stattfand.

In einem einleitenden Vortrag zerpflückte Pollack die einseitige Darstellung, daß die Revolution von 1989 ein Elitenprojekt war. Sicher fanden am Anfang in den geschützten Räumen der Kirche engagierte Oppositionsgruppen zueinender. Sie hatten im Frühjahr 1989 auch einen ersten öffentlichkeitswirksamen Erfolg, als sie die Ergebnisse der Kommunalwahl als Fälschung entlarvten. Doch zu diesem Zeitpunkt habe die Mehrheit noch hinter der Gardine gestanden und abgewartet wie sich die Dinge entwickeln.

Pollack legte im folgenden dar, daß die Demos Ende September/Anfang Oktober in Plauen, Dresden, Karl-Marx-Stadt und Ilmenau nicht durch politische Aktivisten vorbereitet wurden und anlaßbezogen spontan entstanden. Es seien die Bilder aus Sopronköhida und die Ausreiserzüge gewesen, die durch Sachsen fuhren sowie der 40. Republiksgeburtstag.

In Leipzig sei das freilich anders gewesen. Hier fanden über einen langen Zeitraum Friedensgebete statt, die Anfang September jedoch von Ausreisewilligen überrannt wurden. In den Augen der Initiatoren: gekapert. Am ersten September hieß es in Leipzig „Wir wollen raus!“ Erst am 18. September wurde erstmals skandiert „Wir bleiben hier“. Ab dem 25. nahm die Stadtbevölkerung teil, es waren schon einige Tausend. Von hinten wurde geschoben „Losgehen, losgehen“, der ersten Reihe war angesichts der Polizeiketten nicht wohl. Am 2. Oktober waren es 15.000 und es wurde erstmals über den Ring gegangen. Über den 9. Oktober, als es 70.000 waren, berichtet der Professor (er war in Leipzig dabei), man wäre als man rum war, stolz nach Hause gegangen.

Es habe nicht der Avantgarde bedurft, um diese Massenbewegung zu erzeugen, der entscheidende Anstoß dazu kam eigentlich von den Ausreisern. Die DDR-Gesellschaft sei entgegen den Mythen vom Zusammenhalt sehr fragmentiert gewesen. Der Parteifunktionär, der Arbeiter, der Kirchenmann, der Ingenieur hätten ihre eigenen Kreise gehabt, von innen sei das Land weitgehend unzugänglich gewesen. Die Bewohner seien clever gewesen Jahrzehnte stillzuhalten, bis sie wirklich Chancen hatten etwas zu ändern, was auf ihre soziale Intelligenz schließen ließe.

Der Professor beklagte, daß viele Bürgerrechtler ihre Geschichte zum Beruf gemacht hätten. Von den 800 Oppositionellen hätte fast jeder sein Buch geschrieben. In Berlin würden neun Stiftungen die DDR-Geschichte „verwalten“. Das gepflegte Narrativ: Opposition und Stasi hätten sich gegenübergestanden, die Bevölkerung (nach Dr. Krause: das Volk) würde als Akteur am liebsten nicht erwähnt, sondern als Staffage des Revolutionsgemäldes außen vorgelassen.

Im September 89 waren die Oppositionsgruppen wie das Neue Forum nicht das dynamische Element. Es gab keine Aufrufe zu Demonstrationen, im Gegenteil. Man wollte um jeden Preis legal werden, meldete sich bei den Behörden ordentlich an (Lenins Aphorismus, daß sich die deutschen Revolutionäre erstmal eine Bahnsteigkarte kaufen) und warnte vor blindem Aktionismus. Es habe die Tendenz bestanden den Sozialismus in gepflegten Stuhlkreisen zu retten.

Dr. Krause ergänzte: Das DDR-Ende würde von den westlichen Eliten unter dem Gesichtspunkt betrachtet: „wie bekomme ich 89 in eine Modernisierungsgeschichte der BRD heinein. Und wie das heute.“ Es seien Fehldeutungen. „Man will nicht, daß die Normalos Geschichte geschrieben haben. Es sollen die Eliten gewesen sein.

Beitragsbild: Diskussion in Ettersburg, links Prof. Pollack, rechts Dr. Krause