Bedenkliches von der Ostfront

Demnächst steht ein Jubiläum an. Auschwitz wurde vor 75 Jahren von der Roten Armee übernommen. Ein Grund mit den Feierlichkeiten besonnen umzugehen. Denn wo die Rote Armee hinkam, wurden die einen befreit, die anderen brutal versklavt.

Über dem Ende des Zweiten Weltkriegs lauert das häßliche Gespenst von Jalta. Es war so wie die „Verträge“ nach dem Ersten Weltkrieg ein schändliches völkerrechtswidriges und menschenverachtendes Diktat. Vertrag kommt von Vertragen. Davon kann weder bei Versailles, Trianon, Sevres noch Jalta die Rede sein. Und darum sollte die Vorbereitung von Jubiläen, die etwas mit WK I und WK II zu tun haben, eher die Stunde der bedachten Diplomaten sein, nicht die der eifernden Haltungsjournalisten und Aktivisten.

Der polnische Präsident Duda hat die Teilnahme an der Feier abgesagt, nachdem ihm eine Rede verweigert worden war. Warum, so fragt er sich sicher, sollen die Enkel der Verbrecher von Jalta reden, während ich wie ein Schuljunge danebenstehen und zuhören muß?

Zwischen Polen, Rußland, den Veranstaltern der Auschwitz-Gedenkstunde und den USA war es im Vorfeld zu tiefgreifenden Unstimmigkeiten gekommen. Der russische Präsident Putin hatte Polen eine Mitschuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gegeben und zugleich die sowjetische Verantwortung relativiert. In seiner Jahrespressekonferenz am 19. Dezember verteidigte er den Stalin-Hitler-Pakt von 1939 und stellte richtigerweise fest, daß die Sowjetunion „der letzte Staat Europas“ gewesen sei, der mit Deutschland einen Nichtangriffspakt unterzeichnet habe. Andere hätten das früher getan, womit er auf den deutsch-polnischen Vertrag von 1934 anspielte. Nun wurde allerdings 1934 nicht ein drittes Land – meinetwegen die Tschechoslowakei – auf dem Altar der deutsch-polnischen Freundschaft geopfert, überfallen und aufgeteilt. Präsident Putin hat sich offensichtlich mal vertan.

Die US-Botschafterin in Polen, Georgette Mosbacher, sagte: „Lieber Präsident Putin, Hitler und Stalin verabredeten sich, ‎den Zweiten Weltkrieg zu beginnen. Das ist eine Tatsache. Polen war Opfer dieses entsetzlichen Konflikts.“

Ein Streiflicht auf die Konstellation im Jahr 1939 wirft die Dichtkunst des deutschen Kommunisten Johannes R. Becher, dem im Moskauer Exil nichts anderes übrig blieb als das Bündnis zwischen Stalin und Hitler zu veredeln, um selbst zu überleben:

Du schützt mit deiner starken Hand
den Garten der Sowjetunion.
Und jedes Unkraut reißt du aus.
Du, Mutter Rußlands größter Sohn,
nimm diesen Strauß mit Akelei
zum Zeichen für das Friedensband,
das fest sich spannt zur Reichskanzlei.

Die Kommunisten machten auf Befehl der Komintern 1939 europaweit Propaganda für Hitler und Stalin, in Frankreich wurden sie deshalb verboten. Wenn sie heute tun, als wären sie gegen den Nationalsozialismus gewesen: Bestenfalls eine Halbwahrheit.

Bei einem Auftritt am 24. Dezember 2019 nannte Putin Jozef Lipski, Polens Botschafter in Berlin von 1933 bis 1939, einen „Drecksack, ein antisemitisches Schwein“. Lipski habe sich „komplett mit Hitler solidarisiert in seinen antijüdischen, antisemitischen Tendenzen“. Daß Stalin in derselben Zeit seine Partei weitgehend von Juden säuberte, und das auch in Deutschland in der KPD durchsetzte: Kein Thema. Wieder messen mit zweierlei Maß. Auch kein Wort über Stalins Kampagne gegen den „Kosmopolitismus“, der tatsächlich eine antisemitische Kampagne war. Kein Wort über die Auslieferung deutscher Juden an die Gestapo.

Daraufhin bestellte Polens Regierung den russischen Botschafter ein. Man habe „Sorge über Propagandabotschaften wie aus der Stalin-Zeit“ und sei „bereit, Rußlands Diplomaten die historische Wahrheit so viele Male, wie es nötig ist, zu erläutern.“

Polens Parlament wird mit parteiübergreifender Mehrheit ein Gesetz verabschieden, das Lügen über die Ursachen des Zweiten Weltkriegs unter Strafe stellt. „Walka z kłamstwem na temat Polski i historii musi być spójna i mocna, by była skuteczna.“ (Der Kampf gegen die Lügen zum Thema Polen und Geschichte muss fest und stark sein, um wirksam zu sein) begründete der stellvertretende Marschall Małgorzata Kidawa-Błońska, Präsidentschaftskandidatin der sonst eher merkelhörigen Oppositionspartei „Bürgerplattform“, das Gesetz, wie der Tagesspiegel berichtete.

2016 hatte der Sejm bereits ein Gesetz beschlossen, das es verbietet, von „polnischen Konzentrationslagern“ zu sprechen – wie es die deutschen MSM taten – oder Polen eine Kollaboration bei der Judenvernichtung vorzuwerfen. Auf diesem Blog wurde bereits darüber berichtet. Das ist insofern logisch, als es Polen damals nicht gab. Es wurde erst 1945 als sowjetisches Protektorat in weitgehend neuen Grenzen, die in Jalta ohne polnische Mitwirkung verabredet wurden, installiert. Von einer polnischen Verantwortung für die Politik zwischen Bug und Oder kann also erst nach der Unabhängigkeit ab 1990 wieder die Rede sein.

Wladimir Putin und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeiner werden bei der Auschwitz-Zeremonie als Erben des Stalin-Hitler-Pakts reden, Präsident Duda bockt. Nun steht die Büchse der Pandora offen, die Geister der Vergangenheit sind daraus entwichen, die Judenvernichtung und die jahrzehntelange Unterdrückung Mitteleuropas sind ohne Not – und ich denke durchaus absichtsvoll – zu einem kompakten gordischen Knoten verwoben worden.

In der jüdischen Szene ist der Umgang mit Mitteleuropa durchaus umstritten. Es gibt die Globalisten um Soros, die Mitteleuropa gern in die dunkelbraune Ecke stellen wollen, um im Sinne der Open Society dort eine stürmische Islamisierung voranzutreiben. Andererseits gibt es Realisten, die Mitteleuropa als Gegengewicht gegen wachsenden Antisemitismus im Westen erhalten wollen. Bei der Vorbereitung des Auschwitz-Jubiläums haben sich offensichtlich die Falken durchgesetzt.

In Mitteleuropa besteht neuerdings die Tendenz, sich stärker an die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich anzulehnen, als bisher. Das betrifft durchaus nicht nur Polen. Der Brexit ist dabei ein Katalysator. Die amerikanische Reaktion auf Nordstream II hat gezeigt, daß sich Republikaner und Demokraten in außenpolitischen Fragen nicht so weit voneinander entfernt haben, als es Berlin lieb wäre. Die Verlegung von weiteren US-Militärkontingenten von Deutschland nach Polen und Litauen ist nicht ausgeschlossen. Es ist geopolitisch suboptimal, wegen der zunehmenden Skurrilität deutscher Politik jedoch unvermeidbar. In der EU drohen tiefergreifende Konflikte, als wie wir sie bisher kennen. Zentrifugale Kräfte werden stärker werden, der Einfluß Deutschlands ist – wie schon die Kür der Kommissionspräsidentin und das Gezerre um die „Flüchtlingsverteilung“ gezeigt hat – äußerst gering geworden. Das ist eigentlich noch geprahlt. In Wirklichkeit machen sich die Nachbarn – egal ob Frankreich, die V4 oder Österreich – einen Spaß daraus die konfuse und irrlichternde Merkelregierung zu brüskieren. Die deutschen MSM malen sich das immer noch schön und führen ihre Konsumenten an der Nase herum. Die Berichterstattung erinnert an 1944/45, wo sich die Haltungsreporter des Völkischen Beobachters „totsiegten“, während die Fronten real immer näher an Berlin heranrückten.

Für die deutsche Politik der Nach-Merkel-Zeit wird es schwierig und teuer sein, in Mitteleuropa – und nicht nur dort – wieder eine akzeptierte Rolle zu spielen, wie das noch unter Helmut Kohl und Gerhard Schröder der Fall war. Zu viel Porzellan ist in der Asylkrise, in der Energiepolitik und bei der verweigerten Aufarbeitung der Nachkriegsgeschichte zerschlagen worden. Das von den deutschen Eliten ignorierte oder gar schöngeredete Jalta (Stichwort: gerechte Strafe für den Holocaust) betrifft insgesamt zehn Staaten und die deutschen Ostländer, die heute EU-Mitglied sind und vom Westen, insbesondere von Berlin, immer noch als arme zurückgebliebene Irre behandelt werden. Als Dunkeldeutschland und Dunkeleuropa. Es wird der Tag kommen, wo Berlin dafür Buße tun muß.