Unternehmen als Kindergarten

Meine ersten vierzehn Berufsjahre von 1976 bis 1989 habe ich in Kindergärten für die Großen gearbeitet. Das geht nämlich auch ohne Kinder, wenn man selbst als solches behandelt wird. Es herrschte eine große Unselbständigkeit, obwohl ich die ganze Zeit relativ gute Chefs ausgesucht hatte, die alle bis drei zählen konnten. Aber es waren eben Betriebe, die noch nach dem starren planwirtschaftlichen Stabliniensystem der zwanziger Jahre geführt wurden, wo die Chefs selbst am Gängelband liefen und für ihre Verhältnisse das Beste draus machten. Aber wie das so ist: Wenn ganz oben die Weichen falsch gestellt werden, kann die mittlere und untere Ebene nur noch gutes Krisenmanagement betreiben. Die Eigeninitiative war eingeschränkt, von 1980 bis 1989 arbeitete ich – in welchem Betrieb ich auch gerade tätig war – an der Energieträgerumstellung von Erdöl auf Braunkohle.  Alle wußten, daß das Quark war, aber so funktioniert eben ein Kindergarten. An der Wand des Büros hing das Schild: „Und wieder ist ein Tag vollbracht, und wieder ist nur Mist gemacht. Und morgen mit demselben Fleiße gehts wieder an dieselbe Scheiße.“

Im letzten ef-Magazin las ich von einer Berliner Gesetzgebungsinitiative für ein erweitertes Unternehmensstrafrecht. Der Autor Carlos Gebauer schrieb  darüber: „In den einschlägigen Gesetzesentwürfen wird überlegt, beispielsweise einer deutschen Aktiengesellschaft eine Geldstrafe von bis zu zehn Prozent ihres Weltumsatzes auferlegen zu können, sofern nur irgendwo im Ausland ein subunternehmerisch tätiger Dritter bei Gelegenheit seiner unternehmensbezogenen Arbeiten einen Straftatbestand verwirklicht, was bei gehöriger unternehmensinterner Vorsorge zu verhindern gewesen wäre. (…) Die Unternehmensleitung hat dann – neben den Erfordernissen der ohnehin schon zusätzlich in den Blick genommenen „Corporate Social Responsibilities“ des Umwelt- und Minderheitenschutzes – auch noch eine interne strafrechtliche Überwachungs- und Meldestruktur aufzubauen. Der Vorstand, seine Assistenten, das gesamte Leitungspersonal und bald jeder, der bislang irgendwem zur Wattestabherstellung irgendwelche Anweisungen zu geben hatte, wird damit zum hauseigenen Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft.“

Gebauer vermutet, daß der Staat sich neue Einnahmequellen erschließen will. Ich denke aber, daß das nicht die wesentliche Motivation ist. Der Staat will jedes eigenständige Handeln von Mitarbeitern in Unternehmen ersticken und unterbinden. Jeder Handschlag soll von oben genehmigt und geplant sowie von unten dokumentiert werden. Es geht CDU und SPD darum, den Sozialismus mit seinen unflexiblen starren Leitungsstrukturen wieder einzuführen und die zentrale Planwirtschaft bis in die letzte Ritze zu organisieren. Wie wollen die sonst das Elektroauto und die Windmühlen gegen den Willen der Produzenten und Kunden durchdrücken?

Meine Freundin und ich hatten 1990 bis 2010 vier Planungsbetriebe am Laufen, wo die Mitarbeiter relativ selbständig gegenüber den Kunden agieren konnten. Das hatten wir uns so ausgedacht, weil wir die demotivierenden Fehler der 80er nicht wiederholen wollten. Die Kontrolle war schwach und das Vertrauen groß, was sich bewährt hat. Die Mitarbeiter waren durch ihre Entscheidugsbefugnisse den Kunden gegenüber im Rahmen der Verträge stets handlungsfähig. Und die Kunden schätzten diese dezentralen Verhältnisse, wo man bei einer Bauberatung oder Koordinierungsberatung zu fixen Entscheidungen kommen konnte, ohne auf die Geschäftsleitung warten zu müssen. Es gab eine geringe Fluktuation und ein ruhiges Betriebsklima, beim Management-Buyout gab es keine Probleme, weil viele Leute durch jahrelange Erfahrung selbständig waren und wußten, was zu tun ist.

In Unternehmen wird gehobelt und da fallen Späne. Jeden Tag sind hundert Entscheidungen zu treffen. Wenn davon 80 richtig sind, läuft ein Betrieb richtig gut, insbesondere wenn es die wichtigen Entscheidungen sind. Die zwanzig suboptimalen Entscheidungen sind wiederum fast zu 100 % nicht rechtswidrig, sondern in der Regel nur unwirtschaftlich. Ab und zu kam es vor, daß ein Bauleiter mit einem Baubetrieb gekungelt hat. Mal weil es die Bauherrschaft so wollte, mal aus Eigeninteresse. Gegen solche Dinge kämpfen Götter selbst vergeblich. Dummerweise ist das deutsche Arbeitsrecht so organisert, daß man solche Fälle – wenn sie überhaupt ruchbar werden – nicht umstandslos durch eine Kündigung bereinigen kann.

Auch die Kontaktzonen von Vertrieblern und Käufern sind oft unsauber. Ich habe es als Aufsichtsrat einer Firma mal erlebt, daß ein Leasingangebot billiger war, als der Kauf. Die Sache stank zum Himmel, trotzden hatte der Aufsichtsrat mehrheitlich dem Leasing zugestimmt. Später stellte sich heraus, daß es illegale Geschäfte zwischen dem Käufer und dem Leasinggeber gab und das Leasing in der Abwicklung dadurch erheblich teurer war. Hier hatte ein ganzes Aufsichtsgremium versagt, die Schuld im strafrechtlichen Sinne resultierte aus Betrug des Geschäftsführers. Aus meiner Sicht sollten Straftaten individuell verfolgt und geahndet werden. Kollektivstrafen gehören nach Asien und in den Sozialismus. Sonst regen sich die Medien immer über den Nationalsozialismus und die damals propagierte Sippenhaft auf. Wenn es gegen Unternemen geht, ist Kollektivbestrafung  plötzlich fein. Die Merkelfaschisten riechen eben aus jedem Knopfloch nach Sozialismus.

Carlos Gebauer schreibt unter Bezugnahme auf das Betriebsklima: „Man muss ein äußerst sonniges Gemüt haben, will man nicht vermuten, dass ein damit angestoßenes gegenseitiges Bewachen und Bespitzeln ohne seelische Auswirkungen auf das Betriebsklima bleiben könnte. Aus kooperierenden Kollegen dürften recht schnell vorsorglich denunzierende Widersacher werden. Arbeitskraft würde in Bespitzelung gesteckt werden müssen, und weniger Energie bliebe für die Herstellung des eigentlich interessierenden Produktes.“

Was sicher genauso schwer wiegt: Die Rechts- und Complianceabteilungen in den Betrieben werden immer mehr zu ausgreifenden Kraken, die Betriebsabläufe stören, was auch teuer ist. Ich habe noch die Zeit erlebt, wo die Betriebe Arbeitssicherheitsinspektoren hatten und TKO-Leiter. Weder auf die Zahl der Arbeitsunfälle noch auf die Qualität der Erzeugnisse hatte das irgendeinen Einfluß. Die Rechtsabteilung von VW hat die Abschalteinrichtung im Motor nicht verhindert. Kontrollsysteme mit autoritären Strukturen sind Quark, ein Vertrauensklima ist bei der Schaffung von Rechtskultur immer überlegen. Deswegen gab es ja bis weit in die Herrschaft von Dr. Merkel die Unschuldsvermutung in der Rechtssprechung.

Das römische Recht als auf die einzelne Person zugeschnittenes Recht und Möglichkeiten der Eigeninitiative haben Europa stark gemacht. Je mehr diese Grundpfeiler ruiniert werden, je kollektivistischer die Prozesse organisiert werden, desto schneller geht Europa wirtschaftlich den Bach runter. Das hat Dr. Merkel als sozialistisches Sumpfblütengewächs nie verstanden. Sie hat selbst nie in der sozialistischen Produktion gearbeitet, sondern war wie mein damaliger Chef Dieter Merkel aus der ZBOWL (Zwischengenossenschaftliche Bauorganisation Weimar Land) diese ahnungslose Existenzform nannte: Ein Sesselpforzer, ein Weißkittel. Sie richtet mit ihrem Null-Praxisbezug die Wirtschaft zugrunde.