Thüringen und die nächste Bundestagswahl

Alle Vereinigungen und Parteien hatten sich seit 2015 unter dem Rufe „Wir sind mehr“ zur Nationalen Front 2.0 vereint gegenüber der patriotischen und freiheitlichen AfD. Sie hatten die Gesellschaft „gerettet“ gegen „Haß und Hetze“. Sie hatten die Stichworte der alten Gesellschaft, „Grenzenlosigkeit, Vielfalt und Solidarität“, als Parole unter ihr Heer ausgeteilt und dem antifaschistischen Kreuzzug zugerufen: „Unter diesem Zeichen werdet ihr siegen!“ Die Gesellschaft wird ebensooft gerettet, als sich der Kreis ihrer Herrscher verengt, als ein exklusiveres Einzel- und Minderheiteninteresse dem weiteren gegenüber behauptet wird. Jede Forderung der einfachsten bürgerlichen Reform, des ordinärsten Liberalismus, der formalsten Verfassungstreue, der banalsten Demokratie, wird gleichzeitig als „Attentat auf die Gesellschaft“ bestraft und als „Faschismus“ gebrandmarkt. Und schließlich werden die Fahrzeuge der Kritiker  bei Nacht und Nebel abgebrannt, sie selbst mit Geldstrafen traktiert oder ins Exil geekelt, ihre Treffpunkte werden der Erde gleichgemacht, ihr Mund wird versiegelt, ihre Feder zerbrochen, ihr Gesetz zerrissen, im Namen der Grenzenlosigkeit, Vielfalt und Solidarität. Die Lokale von Alternativen, Christ- und Liberalbolschewisten werden von bekifften Antifahaufen bombardiert, ihre Häuser werden zum Zeitvertreib mit Farbe beschmiert – im Namen von Grenzenlosigkeit, Vielfalt und Solidarität. Der Auswurf der bürgerlichen Gesellschaft bildet schließlich die antifaschistische Phalanx der Ordnung, und Bodo Ramelow zieht in die Staatskanzlei ein als „Retter der Gesellschaft“.

Das Grundgesetz, der Bundestag, die staatstragenden Parteien, die schwarzen und die roten Republikaner, der Donner der Tribüne, das Wetterleuchten der Tagespresse, die gesamte Literatur, die politischen Namen und die geistigen Renommeen, das bürgerliche Gesetz und das peinliche Recht, die Wahlgesetze und die Wahl vom 28. Oktober 2019 – alles ist verschwunden wie eine Phantasmagorie vor der Bannformel einer Frau, die ihre Feinde selbst für eine Hexenmeisterin halten. Das allgemeine Wahlrecht scheint nur einen Augenblick überlebt zu haben, damit es eigenhändig vor den Augen aller Welt sein Testament mache und im Namen des Volkes selbst erkläre: „Alles, was besteht, ist wert, daß es zugrunde geht“.

Meine literarisch gebildeten Leser werden es bemerkt haben: Ich habe hier den 18. Brumaire des Louis Bonaparte persifliert. Denn in der Tat hatte Dr. Merkel nichts anderes als einen Staatsstreich vollbracht. Aber folgen wir dem roten Faden von Karl Marx weiter, wenngleich desssen Gedenkjahr sich schon lange seinem Ende zugeneigt hatte:

Thetis, die Meergöttin, hatte dem Achilles prophezeit, daß er in der Blüte der Jugend sterben werde. Der CDU, die ihren faulen Fleck hat, wie Achilles, hatte auch ihre Ahnung, wie Achilles, daß sie frühen Todes abgehen müsse. Es genügte den Landtagssitzverwaltern, einen Blick aus dem Wolkenhimmel ihrer idealen Republik auf die profane Welt zu werfen, um zu erkennen, wie der Übermut der Linken, Sozialdemokraten, Grünen und ihr eigner Mißkredit täglich stiegen, in demselben Maße, als sie sich der Vollendung ihres schwankenden Kunstwerks der Tolerierung Ramelows näherten, ohne daß Thetis deshalb das Meer zu verlassen und ihnen das Geheimnis mitzuteilen brauchte. Sie suchten das Verhängnis konstitutionell-pfiffig zu überlisten durch Herauszögerung von Neuwahlen. Sie machten damit nur den ohnmächtigen Versuch, noch als parlamentarische Minorität, als welche sie sich schon prophetisch im Geiste erblickten, eine Macht auszuüben, die in diesem Augenblicke, wo sie über die parlamentarische Majorität verfügten und über alle Mittel einen eigenen Ministerpräsidenten zu wählen, täglich mehr ihren schwachen Händen entschlüpfte.

Während die CDU-Fraktionäre in der Versammlung damit beschäftigt waren, ihre Mitwirkung beim Regieren auszuspintisieren, zu diskutieren und zu votieren, hielt Ramelow außerhalb der Versammlung den Belagerungszustand von Erfurt aufrecht. Der Belagerungszustand durch Antifa und Medien war der Geburtshelfer der Ramelow-Regierung bei ihren parlamentarischen Schöpfungswehen.

Die Epoche vom 5. Februar 2020 bis zur Auflösung des Landtags umfaßt die Geschichte des Untergangs der thüringischen CDU. Nachdem sie eine Regierung der Linken an die Macht gebracht, die revolutionäre AfD von der parlamentarischen Mitwirkung vertrieben und das demokratische Kleinbürgertum einstweilen zum Schweigen gebracht haben, werden sie selbst von der Masse der Wähler beiseite geschoben. (…) So hatte die Partei der Ordnung selbst das parlamentarische Regime gebrandmarkt.

Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Und an dieser Stelle verlassen wir den Skript von Karl Marx, denn manchmal ereigenen sich Ereignisse auch zweimal als Tragödie. Nach diesem vergleichenden Exkurs ins Thema eines Staatsstreichs, ergibt sich freilich die bange Frage: Wem nützt der von Erfurt.

In der FDP ist der jahrzehntelang schwelende Konflikt zwischen klassischen und romantischen Freiheitsfreunden für jeden offenbar geworden. Die klassischen Freunde von Recht, Eigentum, Markt und Familie sind am 6.2.2020 mit dem Rücktritt von Thomas Kemmerich endgültig und unwiderruflich unter die Räder gekommen. Aber auch die Anhänger lascher Ordnungsrahmen, von ausufernden Minderheitenrechten, von Rauschgiftfreigabe und von Klimadirigismus sind erschöpft, wie am Ende des Hundertjährigen Krieges. Das Hamburger Wahlergebnis mit dem Fast-Rauswurf aus der Bürgerschaft spricht Bände. In den östlichen Bundesländern ist mit dem Rückzug von Kemmerich und der jammervollen Darstellung der Nichtexistenz einer verängstigten Partei am 4.3.2020 im Erfurter Landtag das parlamentarische Ende der FDP besiegelt. Bei deutschlandweiten Prognosen zur Bundestagswahl fielen die ehemaligen Liberalen auf 6 %.

Aber auch der CDU ist Dr. Merkels Staatsstreich von Erfurt nicht bekommen. Ebenso wie die Liberalbolschewisten haben sie sich mit der Ächtung der AfD jeglicher Machtoptionen beraubt. Sie sind in Berlin zu Wasserträgern von linken Mördern, Folterern, Totschlägern und Türzuhaltern herabgestiegen. In ihrem Triumph beginnt der radikale Flügel offensichtlich schon Todeslisten aufzustellen. Zum Vergleich: Als Sebastian Kurz seine Koalitionsverhandlungen mit den Grünen führte, stand in der Ecke immer der blaue Knüppel. Das heißt, er hatte eine Rückkehr zur schwarz-blauen Regierung nie ganz ausgeschlossen, auch wenn er sie aus Rache und verletztem Ego eigentlich nicht wollte. Wenn die CDU sich von vornherein von der AfD abgrenzt, ist sie den Feinden der bürgerlichen Gesellschaft auf Gedeih und Verderb ausgeliefert und betreibt wie ehedem ihr politisches Kapitulantentum gegenüber Sozialisten aller Sorten.

Die jüngsten Wahlprognosen der CDU und FDP sind düster. Nicht alle ihre enttäuschten Anhänger werden das nächste Mal gleich AfD wählen. Viele werden zu Hause bleiben.  Bei sinkender Wahlbeteiligung werden die drei Linksparteien die Bundestagswahl gewinnen und die Grünen werden den Bundeskanzler stellen. Und das zu einem Zeitpunkt, wo Dr. Merkel Deutschland das industrielle Rückgrat gebrochen hat, die Steuern nicht mehr wie Milch und Honig fließen werden, ein Blackout droht und wo rund um Deutschland ein patriotischer Wind des Wandels weht. Sicher wäre Grünrotrot in Europa ein Anachronismus, eine weitere Isolierung Deutschlands wäre erst mal Folge.

Eine ähnliche Situation herrschte nach dem Ersten Weltkrieg. Die Sozialdemokraten kamen ausgerechnet 1918 an die Macht, als die wirtschaftlichen und rechtlichen Fundamente völlig zerstört waren und Deutschland der Paria Europas war. Kein ausländisches Regime dankte Deutschland seine Republikanisierung. Und die Sozialdemokratie fand mit ihren katholischen und elitistischen Regierungspartnern nicht den marktwirtschaftlichen Notausgang, den Ludwig Erhard 1948 betreten hatte. Fast alle Instrumente der 1914 eingeführten Plan- und Kriegswirtschaft blieben aus ideologischer Verblendung durchgehend bis 1948 intakt und wurden als Einstieg in den Sozialismus immer wieder schöngeredet. Niemand kam in den 20er Jahren auf die Idee, daß nicht eine marxistische, sondern eine nationalsozialistische Planwirtschaft draus werden könne. Es kam nicht zu einer wirklichen wirtschaftlichen und politischen Konsolidierung, 1948 nach dreißig Jahren hatte sich die Lage gegenüber 1918 immer noch nicht gebessert.

Eine grünrotrote Regierung wird mit immer neuen planwirtschaftlichen Folterinstrumenten die wirtschaftliche Lage sicher nicht verbessern. Selbst wenn in einigen Köpfen ein dünnes Lichtlein brennen sollte, Reformer hätten immer auch mit Kevin, Langstreckenluisa, NWB und Saskia zu tun. Bei Kanzler Schröder reichten fünf Querulanten in den eigenen Teihen, um ihn parlamentarisch zur Strecke zu bringen, heute gibt es im Bundestag die zehnfache Zahl von abgefahrenen Phantasten, die den Faden völlig verloren haben.

Die Zeit zwischen 2021 und 2025 könnte während eines wirtschaftlichen und kulturellen Niedergangs  eine Zeit der Neubesinnung auf die Tugenden der Nachkriegszeit werden. Nach den gedanklichen Ausschweifungen des derzeitigen politischen Expressionismus folgt gezwungenermaßen sicher eine lange Zeit des Neobiedermeiers mit Sparsamkeit, Fleiß, Anspruchslosigkeit, Pünktlichkeit und Gesetzestreue. Nach den Ausschweifungen der französischen Revolution und des Napoleonismus dauerte die wirtschaftliche und finanzielle Konsolidierung zwanzig bis dreißig Jahre, in denen für hehre Gedanken kaum Raum war. „Daran will ich morgen denken“ war der Leitspruch von Scarlett O´Hara nach einem verlustreichen Krieg. Ähnlich verlief die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Westen dauerte es etwa fünfzehn Jahre bis auch für Vertriebene der Vorkriegsstand erreicht war, im Osten über vierzig Jahre. Viele reisende Glücksritter, die gekommen sind, um ihre wirtschaftliche Lage zu bessern, werden weiter flüchten. Viele eingeborene Dienstleister werden ihre berufliche Perspektive neu definieren müssen. Deutschland wird auch ein freundlich gesinntes Umfeld benötigen. Vielleicht eine modernisierte Heilige Allianz, wie in der Metternichzeit.

Laschet, Merz und Röttgen träumen davon, daß sie das Kanzleramt von Merkel übernehmen können, wie man eine Erbschaft antritt. Doch ihr Amt hat sie zu einem schaurigen Hades ausgebaut, einem politischen Totenreich, an dessen Ausgang Wahlen stehen werden, bei denen an der strengen, unerbittlichen, Göttern und Menschen verhaßten Kanzlerin Rache genommen werden wird. Die CDU wird die Wähler auch durch Bitten und Schmeicheln nicht erweichen können; den Bürgern wird es egal sein, ob Kobold-Annalena oder Friedrich Merz die Nationale Front von allen außer der AfD anführt. Die Alternativlosigleit des Kampfes gegen die Alternativen wird dem verwunderten Beobachter nicht verborgen bleiben. Der Kanzlerkandidat der CDU wird in diesem verklebten Mehltau keine Aufbruchstimmung erzeugen können. Sachsen ist ein schönes Exempel, wo man sich mit einer polizeifeindlichen grünen Ministerin arrangiert hat, sehr zur Verwunderung der Sachsen.

Die gerupfte CDU wird 2021 mit den noch unter Merkel geformten Kerberussen einer verknöcherten Funktionärskaste auf den harten Bänken der Opposition landen und sich nur regenerieren können, wenn sie sich vom Sozialismus und der Klimareligion wieder lossagt. Das wird voraussichtlich länger dauern, als der Wähler Geduld hat. Denn Parteivorsitzende und Beisitzer kann man während einer Regierungsperiode mehrmals auswechseln, Abgeordnete nicht. Sie kleben fest bis zur nächsten Wahl. Am Ende für die Freunde der politischen Literatur noch ein Blick auf den Schlußsatz des 18. Brumaire:

Von den widersprechenden Forderungen der Medien gejagt, zugleich wie ein Taschenspieler in der Notwendigkeit, durch beständige Überraschung die Augen des Publikums auf sich gerichtet zu halten, also jeden Tag einen Staatsstreich en miniature zu verrichten, bringt Dr. Merkel die ganze bürgerliche Wirtschaft in Wirrwarr, tastet alles an, was den Revolutionen von 1948 und 1989 unantastbar schien, macht die einen revolutionsgeduldig, die andern revolutionslustig und erzeugt die Anarchie selbst im Namen der Ordnung, während sie zugleich der ganzen Staatsmaschine den Heiligenschein abstreift, sie profaniert, sie zugleich ekelhaft und lächerlich macht.