Gedanken zum Homeoffice

Selbst habe ich viele Jahrzehnte im Bereich der Bauplanung gearbeitet. Bis 1989 in Betrieben, die unter dem Gesichtspunkt der Organisation eher Kindergärten waren und in denen man schon morgens um 7 Uhr antreten mußte. Diese Zeit lasse ich als zu skurril für eine ernsthafte Betrachtung mal weg. Nach 1990 war ich in einem größeren hessischen Büro mit über 400 Leuten beschäftigt und seit 2000 in den Betrieben meiner Freundin, die zusammengezählt auch 50 Mitarbeiter hatten. Da hat man ein Gefühl, was im Homeoffice geht, und was eher schlecht funktioniert.

Helmut Jahn ist einer der ganz Großen der Branche. Er hat neben vielen anderen Hochhäusern auch den Messeturm in Frankfurt geplant, die Branche nannte ihn liebevoll „Turmvater Jahn“. Von seiner Arbeitsweise habe ich viel gelernt. In der ganz frühen Planungsphase pflegte er einen Großraum zu mieten, in dem er Architekten, Statiker, Haustechniker, Brandschutzgutachter, Baugrundexperten, Bauphysiker und Kostenplaner etwa zwei bis drei Wochen zusammensperrte. Das ist ganz grundlegend für ein hochtechnisiertes Gebäude, das funktionieren soll. In einem Hochhaus kann man zum Beispiel Probleme der Leitungsführung nicht nachlaufend mit Gipskartonkoffern lösen, die Grundgeometrie mit allen Schächten muß stimmen und Reserven für Nachrüstung haben. Die Fachleute müssen den Planungspartnern ständig über die Schulter schauen, damit nicht alles auseinanderläuft. Wenn das Grundkonzept steht, kann man alle wieder getrennt arbeiten lassen. Dann reicht das wöchentliche Treffen. Dann geht auch begrenzt Homeoffice.

Telekonferenzieren hat von der Erreichbarkeit seine Grenzen. Mein Chef aus den 90ern sagte mir: „Wenn es schnell gehen soll, schreib ich einen Brief“. Das Zusammentrommeln einer Videokonferenz ist nicht so aus dem Stand machbar. Oft werden fixe Zeiten ausgemacht, und dazwischen ist eben tote Hose. Ich habe es mal erlebt, daß ein Erfurter Architekturprofessor eine ganze Woche in die Sackgasse entworfen hat, bis ihm sein Produkt beim nächsten Jour fixe um die Ohren gehauen wurde. Da ist ein Präsenzarbeitsplatz, wo die Projektbeteiligten nur ein paar Türen auseinandersitzen Gold wert.

Wenn man Sachen aus dem Büro auslagert, will man trotzdem wissen, was jeder macht, und wieviel. Das Messen der Leistung in Geld ist sehr problematisch, weil verschiedene Projekte gemessen an der Arbeitsleistung  sehr unterschiedliche Vergütungen bringen. Die Zumessung eines Arbeitspensums für das Homeoffice ist deshalb nicht einfach. Weil das so ist, werden sich die Tendenzen zum Freien Mitarbeiter verstärken. Dessen Position ist keinesfalls besser, als die eines fest angestellten Mitarbeiters. Der Freie Mitarbeiter schrubbt Werkverträge, das unternehmerische Risiko trägt er und nicht mehr der Hauptauftragnehmer.

Das System des klassischen Klein- und Mittelbetriebs ist eben insofern noch feudal und eine Spur vorbürgerlich, indem es Loyalitäten gibt, gegenseitige Verpflichtungen, die über die Zahlung des Entgelts hinausgehen. Da ziehen leistungsstärkere Leute die leistungsschwächeren noch mit durch, und der Chef weiß das und duldet es bis zu einem gewissen Grad. Diese Bindungen sind bei Freier Mitarbeit im Homeoffice eben weg.

Etwa viermal im Jahr bin ich zu jedem Mitarbeiter gegangen, habe den aktuellen Arbeitsstand besichtigt und den entsprechenden Arbeitsvorrat eingeschätzt, auf neue Aufgaben vorbereitet. „Vorschau“ hieß das intern. Das geht bei Homeoffice so auch nicht. Man kann zwar ein System der Ablage von Daten schaffen, wo der Chef allem hinterherspionieren kann, aber das war gerade nicht mein Arbeisstil. Es gab schon vor 30 Jahren Chefs, die jeden Feierabend rumgegangen sind und geguckt haben, wieviele Striche auf dem Zeichenbrett neu waren. Aber solche perfektionistischen Anführer sind nie über drei Mitarbeiter hinausgekommen. Wenn man einen funktionierenden Betrieb führen will, braucht es auch Eigenverantwortung und Grundvertrauen, was allerdings wieder nur funktoniert, wenn man die Grundprozesse in einer Präsenzsituation im Auge hat.

Es gibt nichts, was nicht auch Vorteile hat. Nachmittags, wenn die Schule aus war, hingen viele Mitarbeiter mit Kindern (insbesondere mit welchen in der Pubertät) am Telefon wie an der Nadel, um ihre Sprößlinge zu instruieren. Da mag es einen Vorteil des Homeoffice geben. Die Eltern haben die häuslichen Prozesse besser im Griff.

Ein Problem hatte ich schon angedeutet: Das Archiv. Ich hatte neben den Dateien immer auch eine Ablage mit Papierdokumenten im Bürokeller. Wenn man zum Beispiel bei einem Rechtsstreit was sucht, was vor fünf Jahren passiert ist, findet man sich besser in Papier zurecht. Schon weil man mit wenigen Blicken und Handgriffen einen Überblick über den Umfang der vorhandenen Dokumente hat. Ein befreundeter Baubetrieb hatte an einer Schulbaustelle einen Freien Mitarbeiter als Bauleiter, der nichts ordentlich gespeichert, abgelegt und übergeben hatte. Dank der Beweismittel aus meinem Archiv hat der Baubetrieb einen Millionenprozeß gewonnen. Bei Homeoffice entsteht so eine Ablage nicht, was bei der Flüchtigkeit von Dateien ein Risiko birgt. Dateien verschwinden beim Ausscheiden von Mitarbeitern manchmal, Akten nicht.

Es gibt sicher Routinearbeiten, die im Homeoffice problemlos erledigt werden können. Für Arbeiten mit einem hohen Koordinierungsbedarf erscheint mir die Lösung als suboptimal. Das pauschale Recht auf Homeoffice – wie vom Bundesarbeitsminister angedacht – ist wie die Ausrüstung eines Scharfschützen mit einem Schrotgewehr.

 

Grüße an den V-Schutz: „Ich habe nie erlebt, daß viel Gutes von denen erreicht wurde, die vorgaben, für das öffentliche Wohl zu handeln.“ (Adam Smith)