Warschau nach dem Kanzlerbesuch

Die Zeitung Do Rzeczy veröffentlichte heute ein Interwiev mit dem Historiker Prof. Bogdan Musiał. Man kann es als politischen Kehraus nach dem Scholz-Besuch in Warschau werten.

Scholz hatte die EU-Fördergelder mit Weltkriegsentschädigungen in Verbindung gebracht. Aber warum bekommen Portugal, Spanien, Zypern, Irland, Schweden dann EU-Gelder? Die waren am Stalin-Hitlerpakt, am WK II und an Jalta doch garnicht beteiligt? Die Scholzsche Argumentation hat auch den Makel, daß die EU-Zahlungen an Polen gerade gestoppt werden sollen, obwohl Polen, die Baltenstaaten, die Tschechoslowakei, Ungarn, Sachsen, Thüringen, Brandenburg, Mecklenburg, Bulgarien und Rumänien die Verlierer des Weltkriegs waren.

War es überhaupt im deutschen Interesse, die EU-Zahlungen an Polen in Frage zu stellen? Es ist eine alte Erkenntnis, daß immer in Streitzeiten die Reparationsforderungen wieder auf dem Tisch landen, die vormals in einer Lade friedlich geschlummert hatten.

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Do Rzeczy: Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz besuchte Polen und traf mit Ministerpräsident Mateusz Morawiecki zusammen. Wie beurteilt der Herr die neue deutsche Regierung und ihren Umgang mit Polen?

Prof Bogdan Musiał: Es ist schwer zu sagen, wie sich die Situation in den polnisch-deutschen Beziehungen entwickeln wird. Ein Plus ist der Wille der deutschen Regierung, ein Maß an Verständigung zu suchen. Bedenken Sie, daß Scholz einen sehr engen Kalender hat, aber er kam gleich nach seinem Besuch in Paris nach Warschau. Deutschland interessiert sich für die Ostflanke der EU, und wir sprechen insbesondere über Migrationsprobleme. Die neue Regierung hat in den Koalitionsvertrag heikle Punkte der Migrationspolitik aufgenommen. Die SPD hat einen anderen Zugang zur Migration als die Grünen. Bundeskanzler Scholz ist Pragmatiker und betonte, dass die Haltung Polens für Deutschland von zentraler Bedeutung sei. Wir haben es hier mit einer gewissen Heuchelei der linken Eliten zu tun, die nicht bereit sind, die deutsche Migrationspolitik oder das Asylrecht zu ändern, aber keine Migranten nach Deutschland holen wollen. Deshalb wird Druck auf andere EU-Staaten wie Polen und Ungarn ausgeübt, Migranten aufzunehmen. Schließlich wissen wir, daß diese Leute nach Deutschland wollen. Bis Berlin seine Migrationspolitik ändert, wird der Druck auf die Grenzen daher anhalten.

Do Rzeczy: Polen wird also von Deutschland dringend benötigt?

Prof Bogdan Musiał: Ja, sicher. Wenn die SPD länger regieren will, muss sie sich mit dem Migrationsproblem auseinandersetzen. Deshalb machen die Deutschen im Moment den Spagat. Scholz weiß genau, was er tut. Polen macht die Drecksarbeit für Deutschland. Berlin zeigt, daß es humanitär ist, es will helfen, und andererseits sollen die polnischen Dienste die Einreise dieser Menschen in die EU blockieren, damit niemand nach Deutschland geht. Denn wenn Berlin diesen Menschen wirklich helfen wollte, wäre es kein Problem, Flugzeuge für Migranten nach Minsk zu schicken. Die deutsche Außenpolitik wird vom Kanzler geprägt. Deshalb kam Scholz nach Polen und unterstützte klar die polnische Haltung an der EU-Grenze, wo der Zustrom illegaler Wirtschaftsmigranten blockiert wird.

Do Rzeczy: Die neue Bundesregierung betont jedoch, dass die EU mit einer Stimme sprechen sollte, und im Zusammenhang mit Polen wurde das Thema Rechtsstaatlichkeit betont. Wird es in diesem Bereich keine Einigung mit Deutschland geben?

Prof Bogdan Musiał: Dies können wir ausschließen. Lassen Sie mich brutal sagen, dass die deutschen Medien Bürger und Politiker einer Gehirnwäsche unterzogen haben. In Deutschland herrscht die Überzeugung, daß in Polen schreckliche Dinge passieren. Hier kommt Ministerpräsident Mateusz Morawiecki eine wichtige Rolle zu, der gute Kontakte zu Scholz hat und in direkten Gesprächen die reale Lage darstellen kann. Ich stimme der Aussage zu, daß Polen nicht gesetzestreu ist. Es ist einfach keine Entscheidung der jetzigen Regierung. Wenn Polen gesetzestreu gewesen wäre, wäre Jaruzelski nicht in Frieden gestorben, und Iwulski wäre kein Richter gewesen. (Józef Iwulski ist in den 1980er-Jahren an Prozessen gegen die Opposition beteiligt gewesen, PB). Wie spricht man über Rechtsstaatlichkeit in einem System, das Banditen schützt? Die Justiz braucht eine absolute Reform und den Kampf gegen die Korruption. Polen braucht Reformen. Es kann Situationen geben, in denen Kriminelle wie „Hoss“, der Urheber der „Enkel-Mafia“, vom Gericht freigelassen wurde und polizeilich verfolgt werden mußte. Wenn ich privat mit Deutschen spreche, sind diese Leute überzeugt, daß die polnische Regierung nicht mit kommunistischen Richtern abrechnen soll. Sie verstehen die polnische Situation nicht, weil sie glauben, daß die PiS die Kommunisten vor Gericht bringen will. Natürlich ist hier die Rolle der polnischen Opposition oder von Leuten wie Olga Tokarczuk wichtig, denn diese Leute verbreiten über Polen eine schlechte Meinung in der Welt. (Tokarczuk ist Schriftstellerin und war Mitglied bei den Grünen und im umstrittenen PEN-Club, PB)

Do Rzeczy: Während des Treffens zwischen dem Ministerpräsidenten und dem Kanzler wurde das Thema Wiedergutmachung angesprochen. Olaf Scholz antwortete, daß die Angelegenheit rechtlich geklärt und abgeschlossen sei. Gleichzeitig betonte der Kanzler, daß Deutschland für die Folgen des Zweiten Weltkriegs moralisch verantwortlich sei. Wie bewertet der Herr Professor diese Haltung?

Prof Bogdan Musiał: Scholz hätte nicht anders antworten können. Der Kanzler konnte nicht nach Warschau kommen und sagen, die Deutschen würden alles bezahlen, weil sie sich moralisch verantwortlich fühlten. Natürlich sagt er die Angelegenheit sei erledigt. Das wars. Dies ist die Position der Bundesregierung, die für Berlin sehr günstig ist. Die Argumente, die behaupten, der Rechtsakt sei eine Mitteilung der polnischen Presseagentur gewesen, sind nicht seriös. Es gibt keinen Rechtsakt, in dem Polen auf Reparationen gegen Deutschland verzichtete. Ich betone – es gibt keinen Rechtsakt. Ich gebe ein umgangssprachliches Beispiel. Wenn die Agenturen PAP oder DPA bekannt geben, dass ein Politiker geheiratet hat und es dafür keinen Rechtsakt gibt, heißt das dann, daß er geheiratet hat?

Do Rzeczy: Immerhin gab es 1953 eine Erklärung der kommunistischen Regierung, in der Warschau auf die Reparationen verzichtete.

Prof Bogdan Musiał: Sie hat keine Rechtskraft. Ich würde es sogar „Fake news“ nennen. Denken Sie daran, dass die Deutschen sich wohl fühlen und behaupten, die Angelegenheit sei erledigt. Ich spreche an dieser Stelle nur von moralischer Verantwortung.

 

Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „Das Fell gehört mir, schließlich habe ich den Bären ja getötet.“ (Stalin in Jalta) Der Bär stand für Hitler, das Fell für Osteuropa.