Die Weltwährungen der Zukunft

Wenn der 44jährige Ungar Zoltan Pozsar (gespr. Soltan Poschar) es in der internationalen Finanzwelt zum Starstatus gebracht hat, dann hat er dies dem Ukraine-Krieg zu verdanken. Er klinkte sich bereits am zweiten Tag von Putin sein Angriffskrieg ins Thema ein und erklärte, die Sanktionen des Westens gegen Rußland können das reibungslose Funktionieren der Geldmärkte gefährden – eine Warnung, die Finanz-Medien wie die Agentur «Bloomberg» und die britische Zeitung «Financial Times» bereitwillig breittraten.

Seine Posts auf Twitter, wo er mit #Zoltan ein eigenes Hashtag hat, stoßen auf eine interessierte Gefolgschaft und werden rege diskutiert – auch kontrovers. Denn Pozsar neigt zur großen Erzählung und er kann schreiben. Aufgrund dieser Qualitäten wurde Pozsar auch schon als der Jules Verne des Research bezeichnet, der «Financial Fiction» produziere. «Viel zu viele Analyseberichte sind so verdammt trocken», urteilte er. Man müsse doch eine Story zu erzählen haben – auch wenn dies verlange, daß man sich dazu aus dem Fenster lehne. «Wenn man darauf wartet, bis die Daten einem Recht geben, ist es zu spät.»

Wir wissen natürlich auch: Zwischen Jules Verne und Relotius ist die Grenze verschwimmend. Ich denke viele von Pozsars Annahmen werden wahr werden, nur etwas pomadiger als prophezeit. Nun hat sich auch Daniel Stelter mit seinen Thesen beschäftigt:

Im vierten seiner Aufsätze geht Pozsar genauer auf die Zukunft des Weltwährungssystems ein. Titel: „War and Currency Statecraft“ – zu Deutsch: Krieg und Währungsstaatskunst

Um es gleich vorwegzunehmen: Wahre Staatskunst sieht er im Westen bei dem Thema nicht.

„Zwei Generationen lang mussten wir geopolitische Risiken nicht berücksichtigen. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs war der einzige Großmachtkonflikt, mit dem sich Investoren wirklich auseinandersetzen mussten, der Kalte Krieg, und seit dem Ende des Kalten Krieges erlebte die Welt einen unipolaren ‚Moment‘ – die USA waren der unbestrittene Hegemon, die Globalisierung war die Wirtschaftsordnung, und der US-Dollar war die Währung der Wahl. Aber heute hat die Geopolitik wieder ihr hässliches Haupt erhoben: Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg gibt es einen gewaltigen Herausforderer der bestehenden Weltordnung, und zum ersten Mal in ihrer Geschichte stehen die USA einem wirtschaftlich gleichwertigen oder durch einige Maßnahmen bereit überlegenen Gegner gegenüber.“

Diese Idee hat weltweit Anziehungskraft. Und diese weltweite Anziehungskraft beschreibt Pozsar in seiner Analyse deutlich:

„Eine Welt, zwei Systeme. Wir sollten aufhören, so zu tun, als würde dies nichts für den US-Dollar oder die Nachfrage nach Staatsanleihen bedeuten. Wenn die Welt von unipolar zu multipolar geht; wenn die Welt allmählich von ‚einer Welt, ein System‘ (Globalisierung) zu ‚einer Welt, zwei Systemen‘ (Friendshoring und neue Seiden-Straße) abdriftet; und wenn sich die G20 scheinbar in die ‚G7 + Australien‘, ‚BRICS+‘ und ‚die Blockfreien‘ aufspaltet, ist es unmöglich, dass diese Spaltung das internationale Währungssystem nicht beeinflussen wird.“

Und die Spaltung ist besonders grundlegend.

Darum wiederholen wir das nochmals. Die G20 spalten sich faktisch auf:

„Aus den G20 werden ‚G7 + Australien‘ = 8 Länder auf der einen Seite und ‚BRICS + Neubewerber + thematisch Gleichgestellte‘ = 11 Länder auf der anderen Seite. 8 + 11 = 19. Das verbleibende Mitglied, die Europäische Union (EU), ist vielleicht am unmittelbarsten von dieser globalen ‚Spaltung‘ betroffen.“

  • Weil die EU von beiden Seiten abhängig ist,
  • bei den wichtigsten Zukunftsthemen nicht mitspielen kann oder will
  • und zugleich von Politikern geführt wird, die überwiegend die Dramatik des Umbruchs nicht erkennen können oder wollen.

Womit Pozsar zur Weltkarte kommt – der frühere Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter, Zbigniew Brzezinski hat in seinem klassischen außenpolitischen Buch „The Grand Chessboard“ ausdrücklich auf die Bedeutung von „Eurasien“, also dem europäisch-asisatischen Kontinent hingewiesen. Pozsar zitiert ihn:

„‚Wie die USA Eurasien handhaben, ist entscheidend. Eurasien ist der größte Kontinent der Erde und liegt geopolitisch axial. Eine Macht, die Eurasien beherrscht, würde zwei der drei fortschrittlichsten und wirtschaftlich produktivsten Regionen der Welt kontrollieren. Ein bloßer Blick auf die Karte deutet auch darauf hin, dass die Kontrolle über Eurasien fast automatisch die Unterordnung Afrikas nach sich ziehen würde, wodurch die westliche Hemisphäre und Ozeanien geopolitisch peripher von Eurasien werden würden. […] Eurasien ist somit das Schachbrett, auf dem der Kampf um die globale Vormachtstellung ausgetragen wird…‚‘“

Das ist genau das, was derzeit nach Auffassung Pozsars relevant wird. Russland und China sind gemeinsam auf diesem Eurasischen Schachbrett. Und wie Pozsar bereits eingangs geschrieben hat: Die Rohstoffsupermacht verbündet sich mit der Industriesupermacht.

Und der Angriff erfolgt über die Weltfinanzordnung:

„Der hässliche Teil der Ausweitung der BRICS ist, dass die eine Sache, bei die sich die BRICS am meisten einig sind, die Entdollarisierung ihrer schnell wachsenden, bilateralen Handelsströme ist, und daher bedeutet die Ausweitung der BRIC-Staaten auch mehr ‚Entdollarisierung‘. Alles deutet darauf hin, dass sich der Drang zur Entdollarisierung des Intra-BRICS-Handels und bald des Intra-BRICS+-Handels beschleunigen wird. Sagen Sie mir nicht, dass dies die Vormachtstellung des Dollars nicht gefährdet oder das ‚exorbitante Privileg‘ nicht verletzt. ‚Unsere Währung, Ihr Problem‘ – mit Sanktionen zu weit getrieben – wird zum Bumerang. Der frühere US-Finanzminister Jack Lew hatte recht, als er 2016 sagte: ‚Je mehr wir die Verwendung des Dollars und unseres Finanzsystems von der Einhaltung unserer Regeln abhängig machen, desto größer wird das Risiko einer Migration zu anderen Währungen und anderen Finanzsystemen‘. In der Tat.

Der Verlust des „exorbitanten Privilegs“ wäre bitte für die USA und letztlich den ganzen Westen.

Zur Erinnerung: Der Begriff „exorbitantes Privileg“ („privilège exorbitant“ auf Französisch) bezieht sich auf die Vorteile, die die Vereinigten Staaten aufgrund ihrer eigenen Währung (dem US-Dollar) als internationale Reservewährung haben. Beispielsweise würden die USA nicht in eine Zahlungsbilanzkrise geraten, da sie ihre Importe in der eigenen Währung bezahlen. Man kann auch sagen, sie drucken Geld und bekommen dafür günstige Waren. Auch ist die Finanzierung des Staatsdefizits günstiger.

Nun meiden also die früheren Finanziers der USA den Dollar:

„Die aktuellen und künftigen BRICS-Mitgliedern weisen rekordverdächtige Leistungsbilanzüberschüsse auf, aber Dollars werden nicht in Staatsanleihen gesteckt, sondern für geopolitische Zwecke verwendet – China, Russland und Saudi-Arabien werden zu Bankiers für Schwellenländer, die sich mit erdrückenden Dollarschulden auseinandersetzen müssen: Russland finanziert die Türkei, China finanziert Russland, die Saudis und der Golftstaaten stellen Ägypten mehr Geld zur Verfügung als der IWF, und China und Saudi-Arabien stellen Pakistan Geld zur Verfügung. Das bedeutet, dass die Länder mit Leistungsbilanzüberschüssen einen größeren Abstand zwischen sich und dem US-Finanzministerium und dem westlichen Finanzsystem schaffen. Indem sie Dollarzuflüsse ‚ablenken‘, machen sie auch den US-Dollar zur Waffe, um auf Kosten der G7 außenpolitische Siege im neuen ‚Großen Spiel‘ zu sichern. (…) Seit Ausbruch des Krieges und dem Einfrieren der Devisenreserven Russlands beschleunigten sowohl aktuelle als auch künftige BRICS-Mitglieder ihre Entdollarisierungsbemühungen.“

Und das hat auch zur Folge, dass wir im Westen unsere Haushaltsdefizite selbst finanzieren müssen und sobald das die Notenbanken nur eingeschränkt tun, die Zinsen steigen.

Natürlich kann man dem entgegenhalten, dass die Kreditvergabe für China auch nicht immer so gut läuft. So meldete das Kiel Institut für Weltwirtschaft dieser Tage:

„Immer mehr Schwellen- und Entwicklungsländer, die von China für den Bau von Infrastruktur im Rahmen der Neuen Seidenstraße Kredite aufgenommen haben, können diese nicht mehr planmäßig bedienen. Laut Studie sind mittlerweile 60 Prozent aller chinesischen Auslandskredite von einem Zahlungsausfall bedroht. 2010 lag dieser Anteil noch bei gerade einmal 5 Prozent. Um die Ausfälle zu verhindern, vergibt Peking Rettungskredite im großen Stil. Bis Ende 2021 zählen wir 128 Rettungsdarlehen an 22 Schuldnerländer im Gesamtwert von 240 Milliarden US-Dollar. Ein Großteil davon – 170 Mrd. US-Dollar – wird über Zentralbankkredite vergeben, die für internationale Organisationen und Ratingagenturen besonders schwer nachzuvollziehen sind.“

Das klingt zunächst so, als würde die Strategie Chinas nicht aufgehen. Doch dann geht es bei den Forschern aus Kiel weiter:

„Chinas entschlossenes Handeln in Finanzkrisen des globalen Südens könnte ein Vorbote eines neuen, fragmentierten globalen Finanzsystems sein, in dem Rettungspakete nicht mehr allein aus Washington DC vergeben werden. Ehemalige Schwellenländer wie China oder Indien, die früher vom Westen abhängig waren und Notkredite erhielten, werden heute immer häufiger selbst zu aktiven Gläubigern.“

Und weiter:

„Peking hat ein neues globales System für grenzüberschreitende Rettungsdarlehen geschaffen, aber auf undurchsichtige und unkoordinierte Weise. Sein strikt bilateraler Ansatz hat die Koordinierung der Aktivitäten aller wichtigen Kreditgeber erschwert, was bedenklich ist, da die Lösung von Staatsschuldenkrisen in der Regel ein gewisses Maß an Koordination zwischen den Gläubigern erfordert.“

Das passt in das Bild, welches Pozsar hier entworfen hat.

Doch damit nicht genug. Jetzt kommen noch die digitalen Zentralbankwährungen ins Spiel. Wie bereits angesprochen, sind die Staaten des BRICS Umfeldes hier sehr stark:

„Die BRICS-Zentralbanken nutzen Digitale Zentralbankwährungen – CBDCs -, um das globale Korrespondenzbankensystem zu replizieren, auf dem das US-Dollar-System läuft, mit potenziell tödlichen Folgen für die Vormachtstellung des Dollars. Als der Dollar zur Waffe wurde, beschleunigte sich die Dynamik für CBDCs: China hat offensichtlich eine; Indien hat auch eine; Brasilien und Russland werden bis 2024 eine auf den Markt bringen; und Südafrika hinkt etwas hinterher, ‚erkennt aber den Wert einer solchen‘, und man kann davon ausgehen, dass es schnelle Hilfe von anderen Mitgliedern des BRICS-Clubs erhalten wird. Darüber hinaus haben die VAE unter den aufstrebenden BRICS-Mitgliedern bereits eine, und die VAE und Saudi-Arabien prüfen eine ‚einzelne digitale Währung mit doppelter Ausgabe‘ für die inländische und grenzüberschreitende Abwicklung zwischen ihren Ländern. Wenn die VAE und Saudi-Arabien an einem doppelt ausgegebenen CBDC arbeiten, wird dieser CBDC wahrscheinlich für alle Golfstaaten in Frage kommen.“

Digitales Zentralbankgeld erleichtert naturgemäß die Abwicklung von Zahlungen und ist damit ein wichtiger Baustein dieser Strategie.

Für Pozsar steht fest:

„Digitale Zentralbankwährungen und die Idee, ‚das US-Dollar-Netzwerk‘ mit einem Netzwerk von Zentralbanken über Digitale Zentralbankwährungen zu replizieren, ist revolutionär.“

Dazu muss man wissen, dass heute die internationalen Zahlungen sehr ineffizient ablaufen. Wenn man beispielsweise aus Ungarn nach Singapur überweist, läuft das über HUF in EUR, EUR in USD und USD in SGD. In der digitalen Welt geht das direkt.

Das Fazit von Pozsar mit Blick auf die Weltwährungsordnung lautet:

„Die Welt spaltet sich in zwei Teile. So auch das Geldsystem. Der Dollar steht an einem Scheideweg.“