Hintergründe der Türkeiwahl

Wir werden in einer Woche den Ausgang der Wahl in der Türkei vor Augen haben. In der sog. Qualitätspresse wird teilweise der Eindruck erweckt, es handle sich in der Türkei um eine liberale, sozialdemokratische und grüne Protestwahl gegen die regierende Staatspartei AKP. Wenn man allerdings genauer hinsieht, erweist sich die Protestbewegung als morgenländischer, die deutschen Medienberichte sind durch die eurozentrische Brille betrachtet und auf das beschränkte Verständnis des Abendlands zurechtgeschustert.

Da sind zunächst einmal die versprengten Kemalisten, die von der AKP seit Jahren drangsaliert werden. Der Kemalismus war übrigens ein orientalischer Ableger der deutschen Jugendbewegung. Die Offiziere dieser Bewegung hatten vor dem und im WK I engen Kontakt zu deutschen Kollegen und nannten sich entsprechend Jungtürken. Kemal Atatürk wollte nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg die Türkei nach europäischen Mustern modernisieren. Diese Muster waren aber entsprechend den Gebetsbüchern der 20er und 30er Jahre antidemokratisch, antireligiös und etatistisch. Als Atatürk die Türkei neu ordnete, lag Deutschland gerade am Boden und die Revolutionäre in Rom und Moskau waren eher die Siegertypen. Die Türkei orientierte sich eher an Italien, als an Rußland. Der Kemalismus war vom Programm und der Praxis her orientalischer Faschismus. Derzeit gibt es zwei kemalistische Parteien, die CHP und die traditionellere iYi, die sich bei der Wahl zum „Bündnis der Nation“ verbandelt haben. Die Auguren sagen ihnen 41,6 % der Stimmen voraus.

Erdogans fromme AKP hat sich mit den national orientierten Grauen Wölfen verbündet, die Wahlforscher rechnen mit 44,5 %.

Danaben spielt noch die rotgrüne „Allianz für Arbeit und Freiheit“ eine Rolle, die mit 11,2 % gehandelt wird. Sie bezieht ihre Kraft aus dem Verbot der marxistischen Kurdenpartei, die bisher immer um die 11 % der Wähler hinter sich brachte. Man hat das Programm so zurechtgeschneidert, daß man einerseits auf die Unterstützung der deutschen Linken, andererseits der Oligarchen und der von ihnen gesponserten Grünen hoffen darf.

So, wie in Italien der Faschismus hat sich in der Türkei auch der Kemalismus gewandelt. Wir sind allerdings auf dem Holzweg, wenn wir ihn keiner nationalen und sozialistischen Tendenzen verdächtigen. Das Führungspersonal der iYi entsprang beispielsweise den national gesinnten Grauen Wölfen, es hatte sich wegen dem Verfassungsreferendum 2017 mit der Partei zerstritten und abgespalten. Eine stabile Zusammenarbeit des „Bündnisses der Nation“ mit der „Allianz für Arbeit und Freiheit“ ist wegen der Kurdenfrage kaum vorstellbar. Sollte es eine Nach-Erdogan-Macht geben, so wäre diese fragil und würde den Wünschen in Hollywood und Kreuzberg weniger entsprechen, als erträumt.

Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen, als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, wenn hinten, weit in der Türkei, die Völker aufeinander schlagen.“ (Geh. Rath v. Goethe)