Die Befreier von Butter und Eier
Die Wissenschaft war immer schon eine Hure, soweit sie vom Staat bezahlt wurde. Früher machten sich die Leute noch drüber lustig, heute gibt es Gläubige, die der verluderten und verkommenen Schlampe blind folgen.
Es muß etwa 1963 gewesen sein. In Eisenach wurde eine Rüstzeit veranstaltet und wir sangen ein Spottlied über die Ernährungspropaganda der Partei.
Mitschurin hat festgestellt, festgestellt, festgestellt, daß die Butter Gift enthält, Drum essen wir auf jeder Reise, jeder Reise, jeder Reise Margarine eimerweise, eimerweise. Margarine, Margarine, Margarine, die essen wir alle so gern.
Das war freilich eine Provokation gegenüber der Heimat der Werktätigen. Im alten Russland war Mitschurin nach eigenen Worten noch „ein unbedeutender Einzelgänger“ des experimentellen Gartenbaus. Doch erst der „große Lenin“ habe seine Arbeit verstanden und ihr den Weg in das sozialistische Leben geebnet und auch Genosse Stalin habe ihn weiterhin unterstützt. Mitschurin war der Ansicht, dass Obstsämlinge durch Erziehung und geeignete Pfropfpartner und nicht gemäß den mendelschen Regeln beeinflusst werden. Die so erzielten Veränderungen hielt Mitschurin irrtümlich für erblich. Seine Ansichten wurden zur Grundlage der offiziellen Parteilehre und für die Sowjetunion obligat. Auf der Grundlage von Mitschurins Ideen entstanden im Ostblock Schulen und wissenschaftliche Einrichtungen, die nicht die Vererbungslehre von Gregor Mendel, sondern die Methoden des Sowjetbürgers Mitschurin weiterentwickeln und lehren sollten. Die Botanik wurde zur Klapsmühle. Bis 1964 waren die wirren Gehirnfürze seines Lehrlings, des Russen Lyssenko in der Botanik obligat.
Natürlich wußte jeder wie gesund die Butter ist, aber sie war eben ein knappes Gut. Sie wurde in Blöcken in den Handel geliefert und im Kaufmannsladen wurde entsprechend den Lebensmittelmarken davon abgeschnitten, gewogen, verpackt und verpreist. Das war umständlich und dauerte seine Zeit Wenn das Edelfett geliefert wurde, bildete sich eine lange Schlange. Die Rente betrug bis 1960 50 Ostmark, ein Pfund Butter kostete 2,50, weil es der Führer 1936 so festgelegt hatte. Der wollte auch immer den Gebrauch von Butter einschränken. Es war von Anfang an ein politischer Preis, NSDAP und KPdSU unterschieden sich in der Butterfrage nicht um ein Jota.
In der BRD war die Butter schon fertig verpackt, wie das folgende Video beweist. Dort gab es die Lebensmittelmarken nur vom 27.08.1939 bis zum 22.01.1950. Als die Butterwerbung präsentiert wurde, war Butter schon frei verkäuflich.
Über Westberlin war bis 1961 der Blick in den Westen möglich. Rentner wurden auch nach 1961 rübergelassen, immer in der Hoffnung, daß sie dort bleiben. Wenn man ihre Arbeitskraft ausgebeutet hatte, wollte man sie loswerden.
Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „Es gibt keine bekannten Zitate von Goethe, in denen explizit Butter erwähnt wird.“ (KI)
Wie lange gab es Lebensmittelmarken in der DDR? Zur besonderen „Gesundheit“ von Butter gegenüber anderen Speisefetten habe ich keine Meinung. Ich mag zB auch die schlesische Küche mit Speck / Zucker / Essig und als dilettierden Hobbykoch fiel mir inzwischen eine gute Seite der damaligen Mangelwirtschaft auf: frische saisonale Zutaten: Kräuter. Spargel, Erdbeeren, Frühkartoffeln, Tomaten, Zwiebeln, Gemüse pipapo. [NB Ein Wessi staunte Bauklötze, als er zusah, wie Stampfkartoffeln / Kartoffelbrei aus KARTOFFELN zubereitet wurden. Und: was hält eigentlich die Partei – Führung von der 36er Weisheit „Kanonen statt Butter“?]
Nach meiner Erinnerung so bis 1962. In Ostberlin war es etwas früher, die Buletten wurden immer vorgezogen.
Ach ja, das Lied ist mir mit einer Strophe „die Wissenschaft hat festgestellt, festgestellt, festgestellt, daß Zigarette Heu enthält, Heu enthält“ aus Kindertagen (in den 1960ern) erinnerlich. Zu finden war das in einem „Mundorgel“-Buch, in dem auch ein unbekümmertes Lied „der Globus quietscht und eiert – wohl aus den 1950ern noch – sowie Makaberes wie „Negeraufstand ist in Kuba“ und „Wir lagen vor Madagaskar, und hatten die Pest an Bord“ enthalten war. Leider ist es mir nicht gelungen, diese Ausgabe nochmal aufzutreiben, sind wohl alle „verloren gegangen“. Mit der Mitschurin-Version wird es wohl ähnlich sein…
Was die Butter-oder-Margarine-Glaubensfrage angeht, die stellte sich mir soziologisch in den 1960ern so dar: Arbeiterschaft und Lebensreform-angehauchte Beamte, eher evangelisch=Margarine; Handwerker-Nachkommen von Landwirten, eher katholisch=Butter. Im örtlichen *Konsumm (nicht Kon’suhm ausgesprochen!), einem damals noch bestehenden gewerkschaftseigenen Unternehmen, gab es x Sorten Margarine, aber kaum Butter. Wie sich das in der DDR darstellte, weiß ich nicht. Meine Beobachtung ist aus einem seinerzeitigen Industrie- und Bauerndorf in BaWü.
Schon Rasputin hat festgestellt, das Marmelade Fett enthält!