Ein Energietropfen auf den heißen Stein

Wieder einmal wird ein energiepolitischer Beruhigungsluftballon aufgeblasen, der dem Verbraucher suggerieren soll, daß am Ende der Energiewende alles gut wird. Dieses Mal sollen die norwegischen Wasserkraftwerke angezapft werden.

Zwischen Norwegen und Deutschland wird eine Hochspannungs-Gleichstromübertragungsleitung (HGÜ-Leitung) errichtet. Es ist die 623 km lange NordLink- Leitung. Sie hat eine Übertragungsleistung von 1.400 MW. Das sind umgerechnet 1,4 Gigawatt. Ein Gigawatt (GW) sind eine Milliarde Watt. Um zu erkennen, ob das gemessen an den Problemen der sogenannten Energiewende viel oder wenig Übertragungsleistung ist, wollen wir es mal an der installierten Nettokraftwerksleistung des deutschen Kraftwerksparks von 2014 messen.

Aus Wikipedia können wir folgende Daten entnehmen: Steinkohlekraftwerke haben eine installierte Leistung von 26,9 GW, Braunkohlekraftwerke von 20,9 GW. Erdgaskraftwerke bringen 22,5 GW, Atomkraftwerke 12,1 GW und Wasserkraftwerke 14,4 GW. Die installierte Leistung der Windmühlen beträgt 34,6 GW und die der Photovoltaikteppiche 37,4 GW.

Nun muß man wissen, daß 26,9 Gigawatt Leistung der Steinkohlenkraftwerke eine viel größere Energiemenge ergeben als 34,6 Gigawatt Leistung der Windmühlen. Bei Wind und Sonne ist die Energieausbeute aus meteorologischen Gründen gemessen an der installierten Leistung praktisch sehr niedrig. Photovoltaikstrom wird nachts und im Winter in recht geringen Mengen erzeugt und bei Wind gibt es manchmal wochenlange Flaute. Einem Steinkohlekraftwerk ist das Wetter egal. Solange die Nordsee nicht dick zugefroren ist und die Bundesbahn noch fährt, kann so ein Kraftwerk produzieren, wenn nicht der Flatterstrom aus Sonne und Wind gerade Vorrang hat.

Wenn wir die Übertragungsleistung der neuen Unterwasser-Trasse, die vor allem norwegischen Strom aus Wasserkraft nach Deutschland übertragen soll und umgekehrt der Verklappung von überschüssigem deutschem Windstrom dient, an der installierten Leistung der Kernkraftwerke messen dann sind 1,4 GW gleich 11,5 % der deutschen installierten Kernkraftwerksleistung.

9 Kernkraftwerke sind in Deutschland noch in Betrieb, davon 6 in Baden-Württemberg und Bayern. Zufällig hat jedes dieser Kraftwerke eine Leistung von etwa 1,4 GW. Das Wunderkabel nach Norwegen kann also nur ein einziges Kernkraftwerk ersetzen. Und zwar theoretisch. Die HGÜ-Kabel sind für die deutsche Energiesicherheit der Tropfen auf den heißen Stein. Der Propaganda, daß mit dem neuen NordLink-Kabel alles gut wird sollte man nicht glauben.

Zufällig entspricht die Energieerzeugung aus Wasserkraft in Norwegen etwa der erzeugten Energiemenge der deutschen Kernkraftwerke. Das Dumme ist nur, daß der norwegische Strom zu 98,5 % aus Wasserkraft gewonnen wird und daß die Norweger ihren Strom ganz überwiegend selber verbrauchen. Nur 10 bis 15 % gehen in den Export. Also etwa das Äquivalent eines deutschen Atomkraftwerks. Und Deutschland wird keineswegs der einzige Importeuer norwegischen Stroms sein. Norweger haben in vielen öffentlichen Gebäuden keine Lichtschalter, weil die Energie aus Wasserkraft spottbillig ist und verbrauchen pro Kopf etwa viermal soviel Elektroenergie wie die Deutschen. Für den deutschen Windstrom werden die Nachkommen der Wikinger nicht viel bezahlen wollen.

Wann das NordLink-Kabel fertiggestellt wird, weiß man natürlich nicht genau. In Schleswig-Holstein ist aber immerhin der Planfeststellungsbeschluß gefaßt worden. Damit ist das Baurecht gesichert. Wie die Energie von Schleswig-Holstein nach Süddeutschland kommen soll? Zu einer Trasse nach dem Süden gibt es derzeit kein Baurecht und es ist auch keins in Aussicht. Es wäre aus der Sicht der Bundesregierung schön, wenn Norwegen an Baden-Württemberg grenzen würde, oder an Bayern. Energie erzeugen und übertragen kann allerdings nur der Habich und nicht der Hättich…