Fernblick auf Köln

Die deutsche Presse hat nicht den besten Ruf. Titel wie „Der Stürmer“, „Völkischer Beobachter“, „Neues Deutschland“, „Volksarmee“, „Rote Fahne“, „Unsere Zeit“ und „Junge Welt“ haben das Vertrauen in den deutschen Journalismus angekratzt. Auch die Blamage um die Hitler-Tagebücher, die Berichterstattung über den EHEC-Sprossensalat und über die Energiewende haben viel Vertrauen der Leser zerstört. Wenn man eine seit hundert Jahren konstant verläßliche und neutrale Berichterstattung wünscht, ist man mit den Schweizer Zeitungen immer gut gefahren. Egal ob NZZ, BAZ oder Weltwoche, man bekommt auch derzeit einen guten Überblick über Deutschland und die Welt.

Nach der Ho-Ge-Sa-Demo in Köln habe ich am nächsten Morgen den deutschen Medien entnommen, daß 2.500 Teilnehmer gezählt wurden. Ein Blick in die Basler Zeitung am selben Tag hat gleich die richtigere Zahl von 4.500 Demonstranten genannt. Muß man möglichst weit weg sein, um einigermaßen zählen zu können? Die Ferne gewährt eben erst den notwendigen Abstand.

Die deutsche Presse berichtete einstimmig über Ausschreitungen bei der Demo. Ich wollte immer Bilder dazu sehen. Es hat fast eine Woche gedauert, bis Video-Beweise eingestellt waren. Ein Blick aus dem Fenster einer Wohnung auf den Demonstrationszug ließ für das ungeübte Auge nichts verdächtiges erkennen. Daß ein Polizeibus umgestürzt worden war, war gleich mit Fotos dokumentiert. Aber wie haben sich über 40 Polizisten verletzt? Dazu habe ich immer noch kein Video gesehen. Es sind doch angeblich Beweisfilme gedreht worden?

Die Schweizer Weltwoche hat einen Bericht unter dem Titel „Aufbegehren unerwünscht“ von Tatjana Festerling veröffentlicht. „Über die Ereignisse in Köln nun wurden Bilder zu Horrorszenarien zusammengeschnitten, die bürgerkriegsähnliche Schlachten von Rechten suggerieren. Der staatlich-medial geplante Erzählstrang wird ausgeschmückt mit Dra¬matik, Behauptungen und Provokationen. Die Wahrnehmung – alles Rechte! – soll in die Köpfe des Volkes eingebimst werden. Der Innenminister äussert sich. Stellt ein Demonstrationsverbot in den Raum, die Hogesa wird zur Chefsache. Dem widerspricht, dass es «nur» dreizehn Festnahmen und keine Schlägerbilder gab.“

Die Berichterstattung der Basler Zeitung war zwar kritisch, aber die Realitäten ersoffen nicht in Spekulationen: „Offenbar versuchen Rechtsextreme in Deutschland in jüngster Zeit verstärkt, die Hooligan-Szene zu unterwandern. Laut dem aktuellen Jahresbericht der polizeilichen Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) stammten unter den deutschlandweit registrierten «Gewalttätern Sport» bisher jedoch nur 3,3 Prozent aus der rechtsextremen Szene. Die Zahl der gewaltbereiten und gewaltsuchenden Störer im Umfeld von Fussballspielen insgesamt beziffert die ZIS auf gut 17’500 – verteilt auf die Clubs der Bundesliga, der Zweiten Bundesliga, der Dritten Liga bis hinab zu den fünf Regionalligen… Es handele sich um «eine gewaltbereite Hooligan-Gruppe mit Rechtsextremisten in ihrem Sprengel», betonte Freier. «Aber es ist im Moment nach der Einschätzung der Sicherheitsbehörden keine rechtsextreme, sondern eine gewaltbereite Hooligan-Szene».“

Um die Dinge einordnen zu können gibt es zwei Fakten, die eine Rolle spielen: Wie politische Veränderungen die Gesellschaftspyramide von oben nach unten durchlaufen und wer in Düsseldorf die Landesregierung stellt.

Die ganze politische Klasse hat Angst, daß Bestrebungen nach Veränderung aus dem kleinen überschaubaren Zirkel von Reformern, Revolutionären, Weltverbesserern und Querulanten zu den Normalos durchsickern. Daß über Volksabstimmungen, die Krise der EU, die verfehlte Einwanderungspolitik, die ausweglose Energiepolitik und den Euro nicht mehr nur im Lichtschlag-Verlag, in der Blauen Narzisse und in Susanne Kablitzens Blog diskutiert wird, sondern in den Stehkurven der Fußballstadien. Denn wenn die Themen der Eliten unten beim Mann auf der Straße und bei den Frauen im Nagelstudio ankommen, wird es ernst für die Mächtigen. Die Demo in Köln ist wie das Menetekel an der Wand, eine für die regierende Klasse unheilverkündende Botschaft. Die Versuchung für die Altparteien des Bundestags ist groß, alles als Kundgebung der NPD abzubügeln, um das Konsenz- und Vermittlungsproblem deutscher Politik politisch korrekt zu kaschieren.

Man darf den Polizeiberichten nicht alles glauben, denn mit der demokratischen Verankerung der Staatsmacht in Nordrhein-Westfalen ist es nicht weit her: Nach der Landtagswahl von 2010, bei der Rot-Grün keine eigene Mehrheit erreicht hatte, stützte man sich bis 2012 auf die Beihilfe der Linkspartei. Ralf Jäger war schon in dieser kritischen Phase der Düsseldorfer Demokratie Innenminister. An der Seriosität von Lageeinschätzungen des Ministeriums muß man deshalb massive Zweifel anmelden. Wer sich jahrelang von der Linkspartei aushalten ließ, sollte sich hinsichtlich politischer Hygiene erstmal an die eigene Nase fassen und den Ball gegen die Hools sehr flach halten.

Noch ist nicht wirklich klar, was in Köln gelaufen ist. Wer an objektiver Aufklärung der Vorgänge in der Domstadt am Rhein interessiert ist, sollte weiter die Schweizer Presse im Auge behalten.