Zusammenrottungen antisozialistischer und rowdyhafter Elemente

Das Demonstrationsrecht wurde dem deutschen Michel in der Vergangenheit immer großzügig gewährt, wenn öffentlicher Protest nicht erforderlich war. Wenn die demokratischen Abläufe im wesentlichen funktionierten. Wenn dagegen öffentlicher Aufruhr angezeigt war, weil das politische System kläglich am Versagen war, war das Demonstrieren natürlich strengstens verboten.

Sowohl während des Dritten Reichs wie auch in der Deutschen Demokratischen Republik konnte man mit anderen Leuten auf die Straße gehen, aber unter Anleitung der Partei bitte. Und mit Parolen, die eine Woche vor dem Ersten Mai im „Neuen Deutschland“ gestanden hatten oder die vom Führer oder seinem Propagandaminister in den Aufmarsch gebrüllt wurden. Pinselig wie er war, hatte Adolf sogar ein Handbuch für politische Events herausgegeben.

Das Grundgesetz der Bundesrepublik, welches unter dem Eindruck der Fehlentwicklungen in der Weimarer Republik und im Dritten Reich beschlossen wurde, sieht in Artikel 8 das Recht auf friedliche Versammlungen der Deutschen unter freiem Himmel vor. Es wird allerdings durch das Versammlungsrecht flankiert. Verboten ist das Tragen von Waffen und von Uniformen oder Uniformteilen zur Darstellung einer politischen Gesinnung und die Vermummung des Gesichts. Verfassungswidrigen Parteien und Organisationen ist das Demonstrieren verboten. Versammlungen müssen angemeldet, aber nicht genehmigt werden. Es gibt kein Demonstrationsverbot, es sei denn die Demonstration gefährdet unmittelbar die „Öffentliche Sicherheit und Ordnung“. Bei Demonstration gilt für alle Beteiligten vorrangig das Versammlungsrecht, nicht das dem jeweiligen Landesrecht zugehörige Polizeirecht. So die Theorie.

Die Praxis sieht natürlich anders aus. Um eine kürzlich in Hannover stattgefundene Demo gab es juristischen Streit. Sie sollte auf Grund eines Antrags der Polizeidirektion Hannover gesetzwidrig verboten werden. Nach der Ausurteilung durch das Verwaltungsgericht Hannover fand die Versammlung statt, jedoch unter zahlreichen Auflagen. Wenn das Versammlungsrecht gilt, und nicht das Polizeirecht: Warum stellt dann eine Polizeidirektion den Verbotsantrag? Das Procedere war keine Anmeldung, sondern hatte durch die Hannoveranischen Begleitumstände den Geruch einer Genehmigung. Das Demonstrationsrecht wird von den deutschen Linken offensichtlich ausgehöhlt. Es sind bezeichnenderweise dieselben Parteien, die den DDR-Bürgern die deutsche Staatsangehörigkeit aberkennen wollten und die kommunistische Herrschaft im Osten akzeptiert haben. Und denen die Demos in Leipzig ein Graus waren.

Die Genehmigung einer Demo ist nicht kriegsentscheidend. Die Leipziger Montagsdemos 1989 bis 1990 waren nicht genehmigt und in den anderen ostdeutschen Städten schon gar nicht. Es ist lächerlich Demonstrationen vom jeweiligen Adressaten der Proteste genehmigen zu lassen. Es sind politische Pygmäen, die versuchen so eine Genehmigung zu erlangen. Darum haben die Verfassungsväter mit gutem Grund die Anmeldung vorgesehen und nicht die Genehmigung.

Bei wem sollte man 1989 eine Demo anmelden? Die SED hatte ein klares Bild von Demonstranten: Es handele sich um Provokateure des Westens und antisozialistische Aktivitäten in der Stadt Leipzig. „Leipzigs Innenstadt wird zum antisozialistischen Wallfahrtsort hochgejubelt, um öffentliche Ordnung und Sicherheit zu belasten und das normale Leben der Bürger empfindlich zu stören“, so ein Geheimpapier der Leipziger Genossen. Die linksextreme Leipziger Volkszeitung schrieb von einer „ungesetzlichen Zusammenrottung größerer Personengruppen, die die öffentliche Sicherheit und den Straßenverkehr der Innenstadt beeinträchtigten.“ Der 2. Sekretär der Bezirksleitung schrieb an Honecker, daß die „Zusammenrottungen“ sich immer mehr als Sammelbecken „antisozialistischer und rowdyhafter Elemente“ erweisen würden. Wer erkennt da nicht sofort Parallelen zu Hannover?

Auch die Leipziger Genossen versuchten den Verlauf der Demos zu steuern und stellten am 2. Oktober 1989 am Friedrich-Engels-Platz einige Polizeifahrzeuge und eine Polizeikette in den Weg. Das Ganze wäre als Rowdyprovokation und nicht als friedliche Revolution in die Geschichte eingegangen, wenn nicht nächste Woche 70.000 Leute zum Demonstrieren erschienen wären und 200.000 nach zwei Wochen. Geschichte wird immer von den Siegern geschrieben. Auch die Geschichte von Revolutionen.