Der unsichtbare liberale Geist

Nachdem die FDP 2014 bei drei ostdeutschen Landtagswahlen die Parlamente geräumt hat, steht in Hamburg die erste westdeutsche Bewährungsprobe nach der verlorenen Bundestagswahl an. Aber gerade in der Hansestadt stellt sich der Liberalismus als verzankt dar. Es ist nicht nur ein Zickenkrieg zwischen zwei liberalen Damen, sondern eine tiefe Verunsicherung über die Auswege aus der Krise steht hinter der Spaltung in FDP und Neue Liberale. Und nicht nur die Spaltung der FDP ist zu verkraften, die harten Wirtschaftsliberalen werden zusätzlich noch von der AfD umworben.

Die FDP predigte jahrzehntelang marktwirtschaftliches Wasser und trank heimlich planwirtschaftlichen Wein. Folgerichtig wurde sie als Mittelstandspartei wahrgenommen. Oder gar als Partei der Besserverdienenden. Der selbständige Mittelstand zelebriert seine ökonomischen Messen in Deutschland traditionell am Altar der Planwirtschaft. Dieser Widerspruch zwischen liberaler Agenda und planwirtschaftlicher Praxis ist infolge des Durchmarsches der Planwirtschaft immer offenkundiger geworden und läutete das Ende des politischen Liberalismus ein.

Rechtsanwälte, Zahnärzte, Beamte, Handwerker, Landwirte, Architekten und Ingenieure, Steuerberater, Gutachter, Wirtschaftsprüfer und -berater, das war jahrzehntelang die Klientel der FDP.  Fast niemand davon existierte in den wenigen verbliebenen marktwirtschaftlichen Pfützen der planwirtschaftlichen Wüste. Oder auf den kapitalistischen Inseln des sozialistischen Ozeans. Ja, gut, ein paar Handwerker, die für Privatkunden arbeiten. Ein paar Einzelhändler ohne Buchpreisbindung. Ein paar Industrielle. Und die liberalen Handwerker bestanden wiederum eisern auf dem Meisterbrief, den der braune Adolf ihnen verschafft hatte.

Am Beginn der Bundesrepublik in den Wirtschaftswunderjahren hatten einige Freiberufler noch keine Honorar- und Gebührentabellen. Die Staatsquote war deutlich niedriger als heute, der Anteil der Marktwirtschaft an der Wirtschaftsleistung höher als jetzt. An der von 40 auf inzwischen 55 % gewachsenen Staatsquote kann man das ermessen. Trotzdem war Deutschland auch 1960 schon sehr verkrustet und überreguliert. Es profitierte davon, daß es in fast allen Nachbarländern noch schlimmer oder viel schlimmer war.

Die Politik der FDP war fast immer darauf gerichtet, den Freiberuflern, Handwerkern und Beamten Vorteile zu verschaffen. Zum Beispiel bekamen Architekten und Ingenieure in den 70ern ihre Honorartafeln.  Alle anderen Freiberufler hatten schon seit dem Dritten Reich oder länger ihre Gebührenordnungen und brauchten sich um marktwirtschaftliche Preisbildung keine Sorgen machen. In der Landwirtschaft sucht man seit 1914 marktwirtschaftliche Keime völlig vergebens.

Während der sozialliberalen Koalition wurde seitens der FDP darauf geachtet, daß der Bund investierte, um den gewerblich-technischen Bereich bei Laune zu erhalten. Dabei kamen solche Untaten heraus wie ein Wärmeschutzförderprogramm, infolge dessen die Ortschaften mit Plastikvorwänden in banaler Ziegeloptik verschandelt wurden. Wurde zu wenig investiert meckerte die Handwerkerschaft, wurde zuviel Geld für Infrastruktur ausgereicht, maulte der Beamtenbund.  Mit diesem Gezerre und Ausgleich zwischen Marktwirtschaft und Planwirtschaft mußte die Partei leben, ohne sich wirklich positionieren zu können. Als die FDP den Bundeswirtschaftsminister stellte, wurden die in dessen Kompetenzbereich fallenden Gebührenordnungen der Freiberufler laufend angepaßt, während sie während Rot-Grün und Schwarz-Rot von 1998 bis 2009 stagnierten. Mit Marktwirtschaft hatte das natürlich nichts zu tun, darum konnte es von der FDP in Wahlkämpfen auch nicht vermarktet werden. Im Gegenteil, die Sozialdemokratie kreidete ihr das als Klientelpolitik an.

Nun hätte sich die FDP ja wenigstens noch gegen Zwangsgebühren, Zwangsmitgliedschaften und Zwangsabgaben wenden können. Das hat sie aber nie getan. Im Gegenteil wurden die Kammern hofiert, instrumentalisiert und nach Möglichkeit mit eigenen Anhängern infiltriert. Oder die GEZ: In allen Bundesländern, in denen die FDP in Landesparlamenten war, hat sie die Zwangsgebühr für das Zwangsfernsehen durchgewinkt. Zum Dank wurde sie von den Medien immer durch den dicken Kakao gezogen.

Richtige Männer und wehrhafte Frauen hätten sich aufgelehnt, die Medien als Lügenpresse angeprangert und eine eigene Medienmacht aufgebaut. Die FDP-Waschlappen haben dagegen jedem niedersten Abgesandten eines Chefredakteurs den Steigbügel geküßt. Und sie haben in den Gremien von ARD und ZDF als Rundfunkräte rumschmarotzt, ohne etwas zu bewegen. Morgens beim Kaffee haben sie die Gazette gelesen und festgestellt, daß nur Schlechtes über sie berichtet wurde. Pickel haben sie beim Lesen bekommen. Die meisten haben nicht mal den Mut gehabt, ihre Zeitung abzubestellen.

An dieser Kriecherei  hat sich bis heute nichts Substantielles geändert. Der einzige wirkliche Freund der FDP im Zeitungsbetrieb ist Ulf Poschardt und beim Staatsfernsehen gibt es nur Feinde. Die FDP ist trotzdem, das zeigt das letzte Dreikönigstreffen, immer noch auf der Schleimspur.

Dabei hatte die FDP in vier Jahren Berlin nicht alles verkehrt gemacht: Außenminister Westerwelle verweigerte die deutsche Teilnahme am Libyen-Feldzug. Und Wirtschaftsminister Brüderle brachte das elektronische Entgeltnachweis-Verfahren ELENA zu Fall, über das seit dem 1. Januar 2010 in allen deutschen Lohnbüros nur noch geflucht wurde. Seltsamerweise hatte die FDP ihre beiden einzigen Regierungs-Heldentaten im Wahlkampf 2013 nicht vorangestellt.

In der etatistischen Energiepolitik zum Beispiel hätte die FDP von 2009 bis 2013 den Zwergenaufstand  gegen die grüne CDU wagen können. Aber wer sich von Solarfirmen den Wahlkampf finanzieren läßt, kann das nicht durchziehen.  Die letzte Gelegenheit die Partei zu retten, unternahm Frank Schäffler mit seiner Initiative gegen den Rettungsschirm ESM.  Diese Initiative ist 2011/2012 sehr knapp gescheitert und damit die Partei.

Das Thema Rettungsschirme hat die AfD gekapert, das Thema Energiewende hält die AfD besetzt und das Feld der Fernseh-Zwangsgebühren ist – wie der Leser bereits vermutet – in der Hand der AfD.  Bei allen guten liberalen Themen ist eine Alleinstellung nicht mehr zu erreichen. Sie sind inzwischen fremd vergeben.

Der derzeitige Parteivorsitzende Christian Lindner will mitten in der Parteikrise der Klientelpolitik nun adé sagen. Es ist wirklich Zeit, das zu tun. Das allerdings zu einem Zeitpunkt, wo die FDP medial nicht mehr beachtet wird. Die FDP müßte sich von den Freiberuflern und Beamten verabschieden und sich den in der verbliebenen Marktwirtschaft Tätigen zuwenden. Das ist der gewerblich-technische Bereich und der Handel. Sie müßte für Verkäuferinnen, Handwerker und Facharbeiter attraktiv werden, wenn sie über 5 % kommen will. Bei einer konsequenten Agitation gegen den Kammerzwang und Armensteuern wie EEG, Stromsteuer, Rundfunksteuer, Tabaksteuer und andere Zwangsgebühren könnte das klappen. Allerdings sind Lindner und Kubicki dafür Fehlbesetzungen. Beide verkörpern den Schulterschluß mit dem niedergehenden Mittelstand nicht glaubwürdig. Die Avantgarde der ausgeplünderten produktiven Schichten sieht anders aus. Die neue Farbe Magenta bringt für die Werbung beim bodenständigen Mittelstand keine Punkte. Lindner fehlt der politische und mediale Instinkt. Es wird beim unfruchtbaren Spagat zwischen Nettosteuerzahlern und Nettosteuerempfängern bleiben, alles bemäntelt mit dem wohlfeilen Wort vom mitfühlenden Liberalismus. Bei 40 % Staatsquote ging der Spagat noch, bei demnächst 60 % ist das ein Todesurteil für die FDP. Liberalala nennt das sein innerparteilicher Gegner Frank Schäffler diese Verweigerung einer Entscheidung.

Christian Morgenstern dichtete 1910 folgende Zeilen über Herrn von Korf. Wenn es damals Christian Lindner gegeben hätte, hätte es auf ihn gepaßt:

In Berlin empfängt man ihn …
Zwar erblickt man ihn nicht leiblich,
denn wie ja schon dargeziehn,
ist er weder männ- noch weiblich,
sondern schlechterdings ein Geist,
dessen Nichtsehn unausbleiblich.“